D/MK/F/Kosovo 2015 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Visar Morina Drehbuch: Visar Morina Kamera: Matteo Cocco Darsteller: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi, Enver Petrovci, Xhevdet Jashari, Alban Ukaj u.a. |
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Wer wird zurückgelassen, auf dem langen Weg der Migration? |
Seit Monaten werden die Nachrichten von den Strömen der nach Hilfe suchenden Menschen dominiert, die unfassbare Strapazen auf sich nehmen, um Zuflucht in Europa zu finden. Tagtäglich erreichen uns Berichte über die schrecklichen Schicksale der auf der Flucht befindlichen Menschen. Zudem gehen mit den Menschenströmen zahlreiche unbeantwortete Fragen in Bezug auf die Zuteilung, Finanzierung und der bestehenden humanitären Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen einher. Regisseur Visar Morinas Debütlangspielfilm Babai erweist sich als emotional packendes Vater-Sohn-Drama vor dem Hintergrund der desolaten wirtschaftlichen Lage im Vorkriegskosovo der 90er Jahre und schlägt eine thematische Brücke zwischen der Flüchtlingswelle des letzten Jahrzehnts und der heutigen Situation. Dabei erzählt Babai von der Perspektivlosigkeit, von der Flucht und dem temporären Ankommen aus der Sicht eines Zehnjährigen, der alles in seiner Macht stehende tut, um bei seinem Vater sein zu können.
»Das [politische] Klima ist die Grundstimmung, von der der Film getragen wird und der Rahmen, in dem meine Geschichte ihren Anlauf nimmt. Der Film selbst erzählt eine sehr persönliche und höchst subjektive Vater-Sohn-Geschichte in Zeiten der Fremdbestimmung.« – Regisseur Visar Morina
An einem ländlichen Grenzübergang zwischen dem Kosovo und Serbien müssen zwei Männer aussteigen und ihr Auto kontrollieren lassen. Dabei ahnen sie nicht, dass sich der zehnjährige Nori (Val Maloku) in den Kofferraum geschmuggelt hat, um seinen Vater Gezim (Astrit Kabashi) auf dessen geplanter Flucht in den verheißungsvollen Westen zu begleiten. Der blinde Passagier führt in der Eröffnungssequenz von Babai zur Abweisung des Vaters durch die Grenzbeamten. Nori hat es ein weiteres Mal geschafft, die Ausreise seines Vaters zu vereiteln, fürchtet der Junge doch nichts mehr, als von dem Vater bei der Familie des Onkels zurückgelassen zu werden – seine Mutter ist vor Jahren ohne ein Wort des Abschieds einfach verschwunden. Die wachsamen Augen des niemals lächelnden Zehnjährigen haften daher beständig angsterfüllt auf dem migrationswilligen Vater, der die Flucht nach Deutschland für viel zu gefährlich für den Sohn hält, aber sich gleichzeitig auch nicht von der Idee abbringen lässt, allein im Ausland sein Glück versuchen zu wollen.
Neuentdeckung Val Moloku verkörpert eindrucksvoll den willensstarken, gewitzten Nori, der sich stets selbst zu helfen weiß und nie in die Rolle des bemitleidenswerten Opfers fällt. Wild entschlossen, seinen Vater wiederzufinden, wird sich der resolute Zehnjährige allein auf den abenteuerlichen Weg nach Deutschland begeben. Dabei schreckt er weder vor unorthodoxen Handlungen noch halsbrecherischen Mitteln zurück und handelt dabei genauso ruchlos wie sein Umfeld. Allerdings mit dem Unterschied, dass der Junge noch in der Lage dazu ist, tiefes Vertrauen zu Personen zu fassen – was ihm bei seiner Reise noch auf schmerzliche Weise ausgetrieben werden soll. Malokus Augen verraten beständig die wahre Befindlichkeit Noris – ängstlich, hoffend, anklagend lassen sie an den Gedanken des mutigen Kindes teilhaben, das sich meist wortkarg seinen Platz in der unmenschlichen, durchtriebenen Erwachsenenwelt erkämpft. Und obwohl seine kindliche Naivität und Vertrauensseligkeit ein ums andere Mal ausgenutzt werden, gibt der kleine Ausreißer nicht auf.
Mit einer sich auf Augenhöhe des Jungen befindlichen Kamerabetrachtung lässt sich Regisseur und Drehbuchautor Morina, der selbst mit vierzehn Jahren vom Kosovo nach Deutschland auswanderte, ganz auf das Wahrnehmungsfeld seines Protagonisten ein. Aus Noris Sicht wird dem Zuschauer das trostlose Leben im Kosovo und der Traum vom Aufbruch ins Ausland geschildert, für dessen Verwirklichung die Menschen alles stehen und liegen lassen. Einfach nur weg, einfach die Chance auf ein besseres Leben nutzen, lautet ihre Devise. Das Verschwinden der Mutter wird dabei nie wirklich thematisiert und wenn der Junge nach ihr fragt, wird er vom Vater auch nur mit schroffen Worten abgekanzelt. Auf Grund seiner kindlichen Betrachtungsperspektive weist der Film dann auch einige geschichtliche Auslassungen und erzählerische Sprünge auf, gleichzeitig gelingt es Morina aber scheinbar nebenbei einen Eindruck der verkrusteten patriarchalischen Strukturen und Bräuchen sowie der prekären wirtschaftlichen Lage zu vermitteln. Die Härte der Lebenswirklichkeit, die Strapazen der Odyssee und die Enttäuschungen des Flüchtlingsdasein bekommen durch den subjektiven Erlebnisblick dabei etwas besonders Eindrückliches.
Morinas Debütfilm zeichnet sich insbesondere durch die realistisch geschilderte, komplizierte Vater-Sohn-Beziehung aus, die von tiefer Zuneigung, sowie großer Enttäuschung und Wut geprägt ist. Beinahe zärtliche Momente zwischen Nori und seiner einzigen Bezugsperson stehen dabei Augenblicken der Ablehnung und der tiefen kindlichen Enttäuschung gegenüber. Gezim zeigt wenig Geduld und fühlt sich von seiner Vaterrolle überfordert, was in aufbrausendem Verhalten gegenüber seinem Sohn resultiert, das der Vater alsbald aber auch wieder bereut. Wie traumatisiert der Junge von seiner Odyssee nach Deutschland und dem unentschuldbaren Vertrauensbruch durch seinen ihn einfach zurücklassenden Vater sein muss, wird schließlich durch eine erschütternde Alptraumszene offenkundig. So ist Babai nicht nur anlässlich seines brandaktuellen Themas, sondern vor allem auf Grund seiner unsentimentalen Schilderung der Emigration eines ambivalenten Vater-Sohn-Gespanns sehenswert.