USA 2024 · 116 min. · FSK: ab 16 Regie: Halina Reijn Drehbuch: Halina Reijn Kamera: Jasper Wolf Darsteller: Nicole Kidman, Harris Dickinson, Antonio Banderas, Sophie Wilde, John Cenatiempo u.a. |
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Die Milch: Symbol der Selbstbeherrschung oder Infantilismus? | ||
(Foto: Constantin Film) |
Die große Zeit des Erotikdramas im Kino ist inzwischen längst vergangen. In den 80er und 90er Jahren galten Filme wie Basic Instinct oder Eine verhängnisvolle Affäre als Tabubrüche, die eine Prise Leidenschaft und Erotik auf die sonst sehr brave Hollywood-Leinwand zauberten. Nachdem Genre-Altmeister Adrian Lyne zuletzt mit Tiefe Wasser an einem Revival des Genres scheiterte, schickt sich nun die Niederländerin Halina Reijn an, den Erotikthriller wieder salonfähig zu machen. Dabei hat sie jedoch ein großes Problem – wir schreiben das Jahr 2025. Wäre dieser Film mit Starbesetzung vor 35 oder 40 Jahren erschienen, hätte er vermutlich das Potential für einen Skandalfilm gehabt. Durch die sozio-kulturelle Entwicklung von Sexualität und dem Umgang der Gesellschaft mit ihr liest sich Babygirl eher wie eine behäbige Fan-Fiction oder Schuljungen-Fantasie.
Dabei spielt Nicole Kidman als toughe CEO Romy so stark auf wie lange nicht. Sie setzt sich dabei auch mit ihrer eigenen popkulturellen Rezeption auseinander, wenn ihre Film-Tochter findet, dass Romy durch Botox-Eingriffe »komisch« aussieht. Dies aber wird nur angespielt. Damit entfällt die filmische Katharsis wie zuletzt für Demi Moore in The Substance. Für einen derartigen offensiv-ironischen Umgang mit der eigenen Person fehlt es hier außerdem an Ironie und Innovation. Ebenso werden die Rolle der Frau in der Businesswelt, eingeschlafene Leidenschaft im Eheleben oder Sexismus am Arbeitsplatz nur beiläufig erwähnt. Der Fokus des Films liegt auf der Leidenschaftsbeziehung zwischen Romy und Samuel (Harris Dickinson), einem Praktikanten aus ihrer Firma. Mit seinem dominanten Verhalten fordert er sie heraus, wogegen sich Romy zunächst wehrt. Die sexuelle Erfüllung aber findet sich, die ihr das Leben mit ihrem Ehemann (Antonio Banderas) nicht bietet. Die Chefin und der Praktikant: Schon klar, die Affäre der beiden basiert auf einem umgestülpten Dominanzverhältnis zur Realität des Arbeitslebens.
Romys Fantasien werden dem Zuschauer noch deutlicher gemacht, wenn wir zu Beginn und am Ende einen Hund sehen, der von Samuel liebevoll gestreichelt wird. Diese Metapher wirkt jedoch eher albern, und auch sonst bietet der Film kaum ästhetische Schauwerte. In kühler Thriller-Optik (Kamera: Jasper Wolf) verfolgen wir die Affäre der beiden. Anspannungen am Arbeitsplatz und in Romys Privatleben folgen. Für den großen Skandal oder Tabubruch geht es aber deutlich zu brav zu, während für eine psychoanalytische Auseinandersetzung den Figuren die Tiefe und Komplexität fehlt. Wirklich aus sich heraus kommt der Film nur, wenn Romy und Samuel in einem Club in Ekstase durch die verschwitzte Menge und flackerndes Licht tanzen. Hier spürt man einen Hauch von Leidenschaft, der jedoch ebenfalls schnell verfliegt.
Alles in allem bemüht sich der Film, nach mehr auszusehen, als er ist. Während die Schauspieler allesamt eine gute Leistung zeigen, allen voran Nicole Kidman, die den Film auf ihren Schultern trägt, kommen sie gegen das Drehbuch und die eindimensionalen Figuren nicht so recht an. Schließlich findet man sich in einem allzu braven Erotikdrama wieder, einem Thriller, der in der Redundanz der Szenen langweilt, und die Figuren in merkwürdige, nicht genug ausgearbeitete Konstellationen schickt. Das lässt erstaunlich unberührt. Nachwirkend bleibt die Frage, ob Erotik im Kino überhaupt noch zum Skandalfilm reicht. So sind doch Themen wie hierarchische Vorlieben beim Sex schon längst kein gesellschaftliches Tabu mehr, sondern eher eine Frage der persönlichen Präferenz. Was wollte der Film gleich nochmal?
Samuel: »It’s about giving and taking power.«
Romy: »What did you do? Go to a library, and pick that up?«
(Dialogauszug)
Eine verhängnisvolle Affäre. Und in der Kombination aus Sexualität und Schuldgefühlen einer Gattin ein Hauch von Ibsen.
Der Clou des Films Babygirl ist so schlicht wie wirkungsvoll: Regisseurin Halina Reijn dreht unsere übliche Wahrnehmung und das, was man heute gerne sehr unkonkret und etwas oberflächlich »die Machtverhältnisse« nennt, einfach mal um. Wir haben eine sehr sehr mächtige Powerfrau, die man durchaus auch in die politisch wie kulturell
gemeinte Kategorie »alte weiße Frau« einordnen kann, und wir haben einen jungen aufstrebenden, knackig aussehenden Praktikanten. Macht trifft Sex.
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Vielleicht hätten wir Zuschauer und die von Nicole Kidman so eiskalt-kristallin wie gläsern-zerbrechlich gespielte Hauptfigur Romy ahnen müssen, dass bei dem jungen Mann mehr als eine Schraube locker sitzt.
Das mit Abstand Interessanteste an diesem Film ist diese Hauptfigur. Allein wie sie in den ersten Minuten des Films eingeführt wird: Man sieht, wie sie Sex mit jenem Mann hat, der sich bald als ihr Ehemann entpuppen wird. Vor allem aber sieht man, dass sie kurz danach aufsteht und sich aus dem Schlafzimmer schleicht – offensichtlich hat sie ihren Höhepunkt nur vorgetäuscht. Dann sucht sie auf ihrem Laptop eine Pornoseite auf, befriedigt sich und erlebt nun auch selbst einen Orgasmus.
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Romy ist leitende Managerin eines großen »bösen« erzkapitalistischen Robotik-Unternehmens mit entsprechend durchgetaktetem Arbeitsalltag. Sie steht unter dem Druck aller Chefs: »Everyone is just waiting for me to buckle under pressure.«
Zugleich sagt sie immer die richtigen – sprich angesagten – Dinge: »Being a CEO means to be collaborator and a nurturer.«
Und ihre Firma erscheint schon auf den ersten Blick als ein Modell neoliberaler Tugendprotzerei
durch »Greenwashing« und Brownwashing und auch ihr Zuhause ist der Inbegriff linksliberaler Offenheit: Mami verdient das Geld, Papa (Antonio Banderas) macht Kunst, und die lesbische Tochter ist für diese »modernen Familie« eine Selbstverständlichkeit – dass die Regisseurin all dies nur ironisch meint und als potemkinsches Dorf aufbaut, um es
Stück für Stück einzureißen, wird während des Films erst mit der Zeit klar.
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Es dauert nicht lang, da ist klar: Romy ist innerlich ängstlich und ein kleines »Babygirl«, sie hegt Unterwerfungsphantasien, wie angeblich – Klischeealarm! – viele mächtige Leute, und als jemand kommt, der mit psychologischer Sensibilität und moralischer Skrupellosigkeit genau diese Phantasien bespielt und manipuliert, ist es um sie geschehen.
Dieser Jemand ist der junge Praktikant Samuel (Harris Dickinson). Romy gibt sich zunächst als
»verantwortungsbewusste Erwachsene«, willigt aber vorhersehbar schnell in eine dumme und von Anfang an zum Scheitern verurteilte Affäre ein.
So entwickelt sich Babygirl zu einer Geschichte über Kontrolle, Begierde und Beherrschung, vor allem aber auch über Moralismus, moralische Hybris und puritanische Schuldgefühle.
Denn Romy kann ihren Instinkten nicht widerstehen. Das ist ihre Schwäche. Diese bedroht sowohl die Stabilität ihrer Familie als auch ihre Stellung im Unternehmen.
Nichts, was nicht schon in vielen anderen, sogenannten »Erotikthrillern« über Beziehungen, über Macht und Erpressung gesagt worden wäre.
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Dieser Film bricht gleich mit mehreren Tabus: Das geht nur, weil die Hauptfigur eine Frau ist und zwar eine Frau, die genau das macht – auf nachvollziehbare Weise und aus nachvollziehbaren, gewissermaßen »unschuldigen« Gründen –, was man heutzutage gern sehr vereinfacht und oberflächlich »Missbrauch« und »Übergriffe« nennt. Denn wenn eine solche Figur männlich gewesen wäre, wäre es für die Macher augenblicklich politisch vollkommen unmöglich gewesen, sie aus
so einer verhängnisvollen Affäre heil herauskommen zu lassen.
Denn die eigentliche interessante Frage dieses Films ist aber, wer hier denn eigentlich den Übergriff vornimmt und wer hier wirklich Missbrauch begeht.
So klar liegen die Dinge nämlich nicht – wie meistens im Leben.
Der Film jedenfalls zeigt einen Typen mit obsessiven Allüren und ungelösten Problemen. Wir Zuschauer denken (und sollen denken): Von dieser Seite aus denken wir: »Die Arme, die von dieser ruchlosen Kreatur namens Mann manipuliert wird.«
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Gegen Ende gibt es noch einen weiteren Aspekt: Einen Konflikt zwischen zwei Frauen, Kidmans Figur und ihrer jungen Assistentin Esme (Sophie Wilde). Die ist auch eine Schwarze. Und genau diese Figur tut sich mit Samuel zusammen, um Romy zunächst moralische Vorhaltungen zu machen, sie aber im nächsten Satz mit Enthüllungsdrohungen zu erpressen, um ihre eigene Karriere zu befördern. Diese Figur der Esme ist die einzige vermeintlich »überzeugte Feministin« des Films, die aber Moral mit Ehrgeiz vermischt und ihren Feminismus letztlich nur als tödliche Waffe einsetzt, um die Unternehmenspyramide zu erklimmen.
Der moralische Unterton dieser Geschichte hat vor allem lächerliche Seiten. Babygirl möchte gewagt sein, aber alle Tabuverletzungen dieses Films sind nur bürgerliche Übertretungen,
Am Ende ist der Film unglaublich puritanisch und in diesem Sinn typisch amerikanisch. Gewohnter Kitsch jenes Hollywood, das im Gegensatz zum alten Studiokino die gesellschaftlichen Verhältnisse und die konservative Moral der amerikanischen Mehrheit nur bestätigt und noch nicht einmal ironisch in Frage stellt.
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Ein bisschen lächerlich ist das Ganze auch in anderer Hinsicht, jedenfalls dann, wenn man sich nicht mit den abgedroschenen sadomasochistischen Sexpraktiken identifizieren möchte, die die Hauptfigur bevorzugt. Wenn sie nämlich für den Jüngling in ihrem Bett »ein Hund« ist, auf allen Vieren kriecht und ihm gehorcht, um mit Leckerli belohnt zu werden, dann sind das Szenen, bei denen man sich fragt, was der Film nun genau mit uns Zuschauern vorhat.
Man muss auch sonst in diesem Fall gar mehr nicht groß anfangen, über Male Gaze und Female Gaze herumzuphilosophieren, solche akademischen Diskurse über Blickrichtungen lenken eher ab von Fragen der Macht, der Politik und der Erotik.
Babygirl ist nämlich, klar und einfach gesagt, kein erotischer Film. Der Film blickt Kidman nie ins Gesicht. Sie ist ein distanziertes Objekt, das weder Liebe noch einen lasziven Blick der Kamera verdient hat. Wir sehen nie,
wie sie sich richtig hingibt, alles ist gefilmt wie in der Pornografie. Es gibt keinen anderen Blick für die Schauspielerin, nur Verachtung.
In dem Moment, in dem aber Dickinson sein Hemd auszieht und für die Regisseurin und ihre Kamera tanzt – mit Kidman als Statistin – verbringt der Film viel Zeit damit, seine Bauchmuskeln, seinen definierten Rücken, und den sich bewegenden Bizeps zu betrachten. Mit anderen Worten, eine Kamera, die von Kidman wegläuft und sich ihrem
psychopathischen Praktikanten nähert – ist kein »weiblicher Blick«.
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Stattdessen geht es vor allem um die niederländische Regisseurin Halina Reijn, die mit Babygirl ihren internationalen Durchbruch ins »große Kino« erlebt. Nicole Kidman ist das trojanische Pferd in dieser Machtoperation.
Reijn, die als Schauspielerin begann, hat zuvor in Instinct (2019) von einer Knastpsychologin erzählt, die eine quasi-romantische Beziehung zu dem Serienvergewaltiger entwickelt, und in Bodies Bodies Bodies (2022) eine chorische schwarze Komödie mit einem Hauch von Slasher über den pathetischen Narzissmus der Generation Z.
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In jedem Fall geht es im Film um Sex und Erotik, post »me too« und das in einem doppelten Sinn. Dieser Film denkt die »me too«-Welle nämlich immer mit, wo er provoziert und wo er zurückzuckt, und gleichzeitig überwindet er sie.
Ja man könnte sagen: er gibt sie bis zu einem bestimmten Grad der Lächerlichkeit preis, genau wie die Diversitäts- und Rassismusdiskurse, die den amerikanischen Alltag inzwischen umklammern, und tatsächlich ist ja vieles lächerlich und manches auch gefährlich an einer gesellschaftlichen Haltung, die Anschuldigungen unüberprüft übernimmt und mit der notwendigen Absicht, den Opfern eine Stimme zu geben, anonymen Anklägern Tür und Tor öffnet und den Angeklagten die Stimme und die Möglichkeit der Verteidigung versagt oder diese sofort unter Verdacht stellt.
Allerdings wird hier das Kind mehr als einmal mit dem Bade ausgeschüttet und ganz überzeugen kann der Film nicht. Denn es handelt sich einfach um den Fall eines Films der Zeit, wie sich die Zeiten und die Begierden, auch die Sehnsüchte geändert haben. Babygirl ist ein Symptom des grassierenden Revisionismus in Kinofilmen.
Am Ende bleibt eine wenig aufschlussreiche Darstellung der Ökonomie der Lüste und die Anprangerung der Possen und des Pharisäertums der Bourgeoisie, die mit Sex die Kompensation für den Schwachsinn und die Oberflächlichkeit des Arbeitsalltags verbindet.
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So oder so muss man den Mut der Hauptdarsteller Nicole Kidman und Harris Dickinson sowie der Regisseurin und Drehbuchautorin Halina Reijn anerkennen. Im Jahr 2024 einen erotisch angehauchten Thriller über Machtspiele, Verführung und Zustimmung am Arbeitsplatz zu drehen, scheint nicht die einfachste und bequemste Option zu sein. Zugleich erinnert Babygirl immer wieder an Filme wie Fatal Attraction, Stalking, Basic Instinct, 9 1/2 Wochen, Indecent Proposal und Unfaithful – und die aus heutiger Sicht absurde Welle der »Erotikthriller« der 80er und 90er.
In diesem Fall muss man titeln: Fifty Shades of Grey trifft Die Klavierspielerin. Babygirl ist naiv, lauwarm und so subtil wie die Implantate von Nicole Kidman.