USA 2002 · 80 min. · FSK: ab 16 Regie: Paul Hough Drehbuch: Paul Hough Kamera: Paul Hough Darsteller: Bo Gates, Justin Gates, Scar, Chaos u.a. |
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Backyard Wrestling – nur ein Sport |
Stolze Mütter sind doch alle gleich: Ist es nicht schön, wie kreativ die Söhne sind? Gucken Sie nur – alles selbst ausgedacht, alles selbst gebastelt! Mit ganz bescheidenen Mitteln, hier im eigenen Garten! Mami hat ein bisschen mitgeholfen, klar – Hobbys gehören gefördert. Freudig präsentiert die etwas verlebt wirkende Mutter das alles der Kamera, gleich wird die große Show weitergehen. Und dann wird ihr einer Sohn seinen Bruder in eine selbst ausgehobene Grube donnern, die mit Stacheldraht und Glühbirnen ausgelegt ist. Ohne Tricks und doppelten Boden. Der Akt mit dem Lebendig Begraben soll dann später kommen.
»Backyard Wrestling« ist einer der frappierendsten Beweise, dass Fernsehen tatsächlich zu jeder Vernunft trotzendem Nachahmungsverhalten anstiften kann: Backyard Wrestling, das sind amerikanische Teenager, die daheim bei sich im Garten ihren Idolen aus den großen, mit Millionen Zuschauern gesegneten Wrestling-Ligen nacheifern, den Hulk Hogans, Randy Savages, The Rocks. Catch as catch can, nur dass die Hobbyisten – zumindest bei der ziemlich verbreiteten Hardcore-Variante ihres Freizeitvergnügens – weiter gehen, als ihre professionellen Vorbilder es je wagen würden, was die Bereitschaft zur Verletzung des eigenen Körpers angeht. Stacheldraht, Scherben, Reißzwecken, Klingen, Keulen, Feuer – all das setzen sie ein, ohne abgeschliffene, stumpf gemachte Ecken und Kanten.
Aber: Es geht keineswegs darum, Aggressionen am Gegner abzureagieren. Backyard Wrestling ist nicht »Ultimate Fighting Challenge« – es ist vielmehr ein kooperativer »Sport«. Wie beim Profi-Wrestling ist der Ausgang, die Dramaturgie, teils sogar der Detail-Ablauf der Matches vorher abgemachte Sache. Die Opponenten arbeiten zusammen, auch wenn die Schmerzen, die sie sich zufügen, echt sind. Das Ziel ist nicht der Sieg über den anderen. Das Ziel ist, gemeinsam eine möglichst spektakuläre Show zu bieten.
Diese Garten-Auftritte sind zugleich krasser und unspektakulärer, als man meinen würde. Krasser als die gewöhnliche Vorstellungskraft suggerieren würde ist, was diese Jungen (und ein paar wenige Mädchen) bereit sind, sich anzutun / antun zu lassen und dabei das Ganze dennoch rechteigentlich als Vergnügen ansehen. Andererseits wirken, ähnlich wie bei »Jackass«, die tatsächlichen Aktionen, wenn man sie dann sieht, in den allermeisten Fällen viel weniger schlimm, aufregend,
dramatisch, als die Fantasie sie anhand der bloßen Beschreibung ausgemalt hat. Der menschliche Körper ist erstaunlich widerstandsfähig, und all der professionellen Einkleidung durch Lightshow, Musik, Fernseh-Dramaturgie ledig, die professionelles Wrestling so aufsehenerregend scheinen lassen. Auch ohne die Inszenierungs-Ästhetik, die im Spielfilm Verletzungen des Körpers zum Ereignis werden lassen, kommt die Selbstverstümmelung, die die Jugendlichen in The Backyard betreiben, oft recht einsam, blass, schlicht unsinnig rüber.
(So schockierend die Vorstellung von Schnitt-, Stich-, Verbrennungswunden ist: Die weitaus größere Gefahr stellen in Wirklichkeit wohl all die Würfe, Sprünge, Stürze dar, die die Freizeit-Athleten ohne jegliche vorherige Ausbildung absolvieren, stets Hals- und Wirbelverletzungen riskierend.)
Das Schöne an Paul Houghs unaufwendigem, aber phänomenal faszinierendem Dokumentarfilm ist eben ihr ziemlich vorurteilsfreier, neugieriger Blick. Mit Verdammung ihres Sujets hat sie überhaupt nichts am Hut, genauso fern liegt ihr Verherrlichung – der Ansatz ist eher ein amüsiert anthropologischer: Gucken, was Menschen so alles tun, und dabei vielleicht auch ein paar Erklärungsansätze finden für’s Warum.
Der Gefahr einer zu simplen Erklärung kommt der Film am nächsten, als er einen seiner Protagonisten (einen der beiden anfangs erwähnten Söhne) ausführlich erzählen läßt, was ihn zur Storyline seines Multistage-Matches inspiriert hat, das er mit seinem Bruder für ein selbstgedrehtes Backyard Wrestling-Video ausgetragen hat: Der Junge breitet seine traurige Geschichte aus vom gewalttätigen Vater, die er sehr bewusst in dem Match verarbeitet hat. Für ihn ist das sicher ein entscheidender Auslöser für die seltsame Freizeitbeschäftigung, die er da gewählt hat. Aber es dürfte zu kurz gegriffen sein, daraus ein allgemeingültiges Muster abzuleiten. Zu vielfältig sind die Biografien, Motivationen, Ausprägungen, die in The Backyard zu erleben sind.
Da ist beispielsweise Matthew, in der Szene unter dem Künstlernamen »Scar« für geradezu verrückte Nehmerqualitäten bekannt. Matthew kommt nicht aus white trash-Verhältnissen, scheint von seinen Eltern auch stets die nötige Liebe bekommen zu haben. Aber Matthew hat den Großteil seiner Kindheit in Krankenhäusern verbracht, wurde wieder und wieder operiert. Das Backyard Wrestling, die absichtsvolle Selbstverletzung, scheint für ihn eine verquere Art, sich mit seinem verräterischen Körper zu arrangieren – und dabei seine angestammte Rolle als Außenseiter, als Freak, bewusst anzunehmen und positiv umzudeuten, sie in einer Gemeinschaft zu etablieren, in der sie ihm paradoxerweise Anerkennung einbringt. Oder da ist Lizard, der unerschütterlich von einer professionellen Wrestlingkarriere träumt, obwohl er mit seinen 30 Jahren nicht mehr lange Zeit hat, sich weiterhin die üblichen Absagen einzuhandeln.
Dann gibt es die Buben mit Unternehmergeist, die sich als Impressarios ihrer Nachbarschafts-Ligen aufspielen, die Backyard-Wrestler aus der Umgebung zu organisieren und über lokale Fernsehsender zu vermarkten suchen. Und da gibt es einen ganzen kleinen Ort, wo Schule und Eltern das Backyard Wrestling ihrer Schützlinge offiziell unterstützen, fördern, mitveranstalten, nach dem Motto: Dann wissen wir wenigstens, was sie am Wochenende machen; besser als wenn sie Drogen nehmen; und wenn sie ihre Flyer am Computer entwerfen, lernen sie dabei gleich nützliche Fähigkeiten, und man kann ein Auge drauf werfen, dass auf diesen Flyern auch keine bösen Wörter vorkommen. So schnell kann es zur gesunden Normalität weren, dass Teenager sich in ihrer Freizeit brennende Mülltonnendeckel über die Köpfe hauen...
Im Lauf des Films wird angesichts dieser Vielfalt klar: Backyard Wrestling ist kein einfaches Symptom einer Gesellschaft, in der irgendwo irgendwas schieflaufen muss. Es ist nicht spezifischer, vorhersehbarer Auswuchs der immergleichen sozialen Ursachen. Backyard Wrestling ist eine eigene kleine Kultur, ein amerikanischer Mikrokosmos. Backyard Wrestling ist eine Ausdrucksform, die sich entwickelt hat in einem Niemandsland von Orten, die irgendwo an »America’s Lonliest
Highway« liegen. Backyard Wrestling ist eine Sprache der Schmerzen, buchstabiert mit jungen Körpern, die ihre Identität suchen.
The Backyard schafft es, eine Ahnung zu geben, dass es für diese Teenager – aus den unterschiedlichsten Gründen – tatsächlich wichtigere Dinge geben könnte als leibliche Unversehrtheit. Dass es für manche nicht darum geht, ohne Verletzungen durch’s Leben zu kommen, sondern sie ihr Glück schon finden, wenn sie einen
hinreichenden Grad an Selbstbestimmung über die Schädigung ihres Körpers erlangen.
Es gibt in The Backyard noch eine genz andere Mutter als die ganz zu Anfang geschilderte. Die kann im »Hobby« ihres Sohnes nichts anderes erkennen, als dass der Bub verletzt wird. Sie heult, schreit, versucht das improvisierte Match ihres Kleinen zu unterbrechen, schmeißt den raufenden Jungen ihre Hilfmittel weg. Man kann sie gut verstehen. Aber The Backyard lässt zumindest die Frage zu, welche der beiden Mütter letztlich mehr Recht hat.