RO/L/HR/GB 2021 · 106 min. · FSK: ab 18 Regie: Radu Jude Drehbuch: Radu Jude Kamera: Marius Panduru Darsteller: Katia Pascariu, Claudia Ieremia, Olimpia Malai, Nicodim Ungureanu, Alexandru Potocean u.a. |
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Die Geste der Unschuldigen | ||
(Foto: Neue Visionen) |
Nur wenige Filme dieses Jahres reflektieren den Zustand des Corona-Confinements. Der diesjährige Berlinale-Gewinner, Radu Judes experimenteller Spielfilm mit dem aberwitzigen Titel Bad Luck Banging or Loony Porn, ist eins der wenigen Beispiele, die sich trauen, das neuralgische Objekt ins Bild zu setzen: den Mund-Nasen-Schutz, die medizinische OP-Maske, die man vor den FFP2-Masken tragen durfte. Erinnert sich noch jemand?
Die Operationskonnotation ist in dem Film kein Zufall. Judes Bad Luck Banging ist ein Moritat auf unsere – unter Corona besonders – entfesselte Gesellschaft, die nicht mehr zur Ruhe kommen will. Seit eineinhalb Jahren befindet sie sich im Ausnahmezustand, hyperventiliert, was auch immer sie unter die Finger bekommen kann. Der Skandal muss die Gemüter erhitzen, damit dem Organismus Vitalität zurückgegeben werden kann, wie zum Beispiel hochgekochte Phänomene wie #allesdichtmachen zeigen, und was sich im Pseudoskandal um das »Plagiat« von Annalena Baerbock fortsetzt.
»Die« Gesellschaft, die Konservativen, die nicht wollen, dass sich etwas ändert, oder die Angepassten, die Angst haben vor der Lücke und der unbeschriebenen Leerstelle, die sie selber durch ihre Interpretation füllen müssen, möchten gerne diejenigen richten, die sich die Freiheit nehmen – ja für was, zu leben? Das wäre plakativ, geht aber in die richtige Richtung. Auch bei Bad Luck Banging geht es um diese große Lebensfreiheit. Eine Frau hat entfesselten Sex, ihr rosa Spitzenschlüpfer ist schnell heruntergezogen, ihre Brüste sind erregt, aber sie ist nicht nackt, sondern trägt: einen Mund-Nasen-Schutz. Die Bilder sind durchaus als pornografisch zu bezeichnen – Jude erfüllt die Versprechungen des Titels, auch wenn alles durch Schnitttechnik suggeriert ist. Wir aber können die diegetischen – also von der Figur, nicht dem Film produzierten – Bilder überhaupt nur deshalb sehen, weil die Frau sich beim Sex filmt, und die erotische Spirale allein deshalb noch eine Umdrehung weitergeschraubt wird, weil das Video ins Netz gestellt wird.
So weit die Anfangssequenz. Vom schäbigen rosa Spitzenschlüpfer geht es dann direkt in das mausgraue Kostüm. In der Uniform der Unauffälligen gehorcht die Frau, eine Lehrerin, im Weiteren den Ritualen der rumänischen Gesellschaft – sie bringt Blumen an das häusliche Krankenbett (ein Zitat der »alten« rumänischen Schule), geht durch das postsozialistische Bukarest und wird zum Vehikel für eine nahezu ganz im Dokumentarischen aufgehende Binnenerzählung, in der die Protagonistin im Panorama der Stadt fast verschwindet. Wunderbar sind falsch geparkte Monster-SUVs als Sinnbild für eine rücksichtslos gewordene Gesellschaft. Das lässt auch an das absurde Theaterstück »Die Nashörner« des rumänischen Autors Eugène Ionesco denken.
Radu Jude lässt seinen Film in diesem sehr dem rumänischen Kino verpflichteten Mittelteil ganz im Dokumentarischen, Provisorischen, Improvisierten, Leichten und sogar Aktuellen aufgehen, denn der Mundschutz ist allgegenwärtig, auch im Stadtbild. Auch das ein Sinnbild für die »Nashörner«, die Chiffre gewordene Ideologiekritik für Massenbewegungen – ohne dass sich dahinter ein #allesdichtmachen-Reflex verbergen würde. Jude ist allgemeiner, weiter gefasst, meint immer auch noch die postsozialistische Realität, hier auch mit den Statussymbolen des Kapitalismus, die das Stadtbild, aber auch die Gesellschaft verändert haben: Überall wird für etwas geworben, die Menschen scheinen dem Materialismus zu huldigen.
Das alles aber meint Jude keineswegs ernst. Die satirische Absicht von Bad Luck Banging or Loony Porn wird durch moritatenähnliche Zwischentitel unterstrichen und mit einem dreifachen Endkommentar des Erzählers – »1. The film was just a joke; 2. We've only kept you a moment; 3. The film was but a joke and here it ends« – als poetologisches Prinzip zementiert. Dennoch hat der Film die Gemüter erhitzt, denn der Schlussteil zeigt ein Tribunal empörter Eltern, die die Lehrerin wegen des Videos nicht nur moralisch richten wollen. Sie soll aus dem Schuldienst entfernt werden, einer von ihnen hat das Video im Netz entdeckt. Aber ist deshalb Radu Jude selbst schon allzu moralisch?
Die Reaktion auf das Video nimmt die Rezeption des Films insgesamt vorweg, auch das ist Teil des perfiden Schelmenstücks, das uns Jude vorlegt. Denn der Auftakt war oder ist ein Schock für das Arthouse-Kino – auf der Pressekonferenz der Berlinale kam sogar die Diskussion auf, ob für eine Kinoauswertung »zensiert« werden sollte, Produzentin Ada Salomon zeigte sich nicht abgeneigt – aber der Verleih hat den Teufel getan. Dies wäre das Hineintappen in die moralische Falle gewesen, die Radu Jude stellt.
Radu Jude ist nicht Michael Haneke, zum Glück. Er findet nichts an dem Video verwerflich, ihm geht es nicht um Medienkritik und das böse Internet, und auch nicht um die Anprangerung von Sexploitation – denn da ist keine. Radu Jude stellt die Unschuldsvermutung für die Bilder des Sexuellen auf, für die Pornographie insgesamt, und streitet mit der Lehrerin vor dem Elterntribunal auch für die Selbstbestimmung der Frau und die Diversität der eigenen Persönlichkeit in all ihren Facetten. Und auch dafür, dass man im Kino auch mal was anderes machen kann, leichthändig und aus dem Ärmel geschüttelt, mit einem großen Augenzwinkern.