USA 2014 · 102 min. · FSK: ab 6 Regie: Don Hall, Chris Williams Drehbuch: Jordan Roberts, Daniel Gerson, Robert L. Baird Musik: Henry Jackman Schnitt: Tim Mertens |
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Zwischen Michelin-Männchen und Meister Proper: Baymax |
Disney und Marvel sind große Namen am Firmament der Popkultur. Ganz unterschiedlich in ihren Erzählansätzen und doch vereint, seit der Disney-Konzern 2009 Marvel Entertainment erwarb. Wie fruchtbar eine »hausinterne« Zusammenarbeit sein kein, belegt das Animationsprojekt Baymax – Riesiges Robowabohu, das nach seiner Veröffentlichung in den USA ganz unerwartet die Einspiellisten stürmte. Überraschend war der Erfolg vor allem deshalb, weil die Marvel-Reihe »Big Hero 6«, auf deren Figurenpersonal der Film basiert, zu den eher unbekannten Comicserien zählt. Auch wenn der Streifen seine verschiedenen Komponenten nicht immer sinnvoll vereinen kann, präsentiert sich das bestechend animierte Abenteuer insgesamt erstaunlich facettenreich. Angefangen bei der ausführlichen Vorstellung der Protagonisten, die in nicht allzu ferner Zukunft in der von amerikanischen und japanischen Einflüssen durchdrungenen Stadt San Fransokyo leben.
Held der Geschichte ist der Teenager Hiro Hamada. Ein cleverer Bursche, der seine ausgeprägten technischen Fähigkeiten in erster Linie für die Verfeinerung der Roboter nutzt, mit denen er illegale Wettkämpfe bestreitet. Was sein großer Bruder Tadashi mit Bedauern zur Kenntnis nimmt. Schließlich würde er Hiro nur zu gerne für seine Arbeit an der hiesigen Universität begeistern. Eines Tages kann er den kleinen Draufgänger tatsächlich in die Welt der Roboter-Forschung einführen und bringt ihn so auf andere Gedanken. Hiro will sich schnellstmöglich um ein Stipendium bewerben und entwickelt für die Aufnahmeprüfung sogenannte Mikrobots, Mini-Roboter, die telepathisch steuerbar sind. Am Präsentationstag zieht er zunächst alle Aufmerksamkeit auf sich, doch dann bricht ein verheerendes Feuer aus, das Tadashi und den berühmten Professor Callaghan in den Tod reißt. Hiro ist tief getroffen und zieht sich fortan zurück, bis er durch Zufall auf die letzte Entwicklung seines Bruders stößt: den aufblasbaren, auf Mitgefühl programmierten Gesundheitsroboter Baymax, der das Leid des Teenagers umgehend zu lindern versucht. Als plötzlich ein Unbekannter die Stadt bedroht, schließt sich das eigenwillige Gespann mit Tadashis Freunden zusammen, um das Unheil abzuwenden.
Das langsam aufkommende Superhelden-Szenario – die Marvel-Vorlage lässt grüßen – ist ohne Frage das Uninteressanteste, was der Film zu bieten hat, da es sich eher konventionell und vorhersehbar entfaltet. Weitaus spannender sind die tiefgründigen Zwischentöne, die das Animationswerk aus dem Gros ähnlich gelagerter Produktionen hervorstechen lässt. Schon gleich zu Anfang wird die enge, aber nicht unproblematische Beziehung der beiden Brüder thematisiert, die als Waisen bei einer Tante aufwachsen. In gewisser Hinsicht nimmt Tadashi eine Vaterrolle ein und versucht dementsprechend, Hiro auf dem Weg in die Erwachsenenwelt zu begleiten. Parallel dazu wirft das Drehbuch die Frage auf, wie man am besten mit seinen Talenten umgehen solle. Hiro ist ein echter Technik-Crack, will von einem sinnvollen Einsatz seiner Begabung anfangs allerdings nichts wissen. Erst nachdem er erkannt hat, womit sein Bruder an der Universität befasst ist, lässt er sich anstecken vom Forscherdrang.
Genau an diesem Punkt behält der Film jedoch seine ambivalente Haltung bei. Die von Hiro entwickelten Mikrobots sind eine echte Sensation, da sie etwa das Transport- oder Bauwesen entscheidend revolutionieren könnten. Gleichzeitig wären sie aber auch ein Fluch, da sie menschliche Arbeitskräfte überflüssig machen würden. Zudem erweisen sie sich, wie so manche Errungenschaft unserer Zeit, in den falschen Händen als gefährliche Waffe, mit der sich unglaublicher Schaden anrichten lässt. Ungezwungen und doch recht deutlich verhandelt Baymax auf diese Weise die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit technischen Neuerungen.
Eher ungewöhnlich ist sicher auch, dass sich das actionreiche Animationsabenteuer häufig Zeit nimmt, um das junge Publikum mit »schwierigen« Emotionen zu konfrontieren. Aspekte wie Tod, Trauer und Abschied werden in den einfühlsamen Gesprächen zwischen Hiro und dem drolligen Hilfsroboter ebenso diskutiert wie fragwürdige Rachegelüste, die den jungen Tüftler nach Tadashis Ableben zu übermannen drohen. Der Protagonist hat Ecken und Kanten, schießt mit seinem Verhalten des öfteren über das Ziel hinaus, lässt aber auch einen Reifeprozess erkennen. Sein Gegenüber Baymax, der heimliche Star des Films, bildet das emotionale Zentrum des Geschehens und sorgt für zahlreiche gelungene Slapstick-Momente – schließlich ist der tollpatschige, etwas unbewegliche Gesundheitsassistent nicht gerade für rasante Verfolgungsjagden gemacht und lernt nur schrittweise, über seine eigentliche Programmierung hinauszuwachsen.
Trotz überhandnehmender Superhelden-Mechanismen im letzten Drittel bleibt zu konstatieren, dass nur wenige Animationsfilme in letzter Zeit Spaß und Ernst derart eindrucksvoll verbinden konnten.