USA 2000 · 118 min. · FSK: ab 16 Regie: Danny Boyle Drehbuch: Alex Garland, John Hodge Kamera: Darius Khondji Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tilda Swinton, Virginie Ledoyen, Guillaume Canet u.a. |
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Leo on the beach |
Wetten, dass Alex Garland ein Fan von Francis Ford Coppola ist? Jedenfalls ist The Beach die reinste Schwärmerei. Ein über 400 Seiten langer Liebesbrief an den Meisterregisseur und recht eigentlich das Buch zum Film.
My film is not a movie – sagte Coppola damals als er endlich fertig war mit sich und der Welt und wider Erwarten auch mit seinem Film Apocalypse Now. My film is not about Vietnam. It is Vietnam. It is what it was really like. It was crazy. Und einfach geil. Krieg ist geil. Fragt Typen wie Lieutenant Kilgore, der besonders gern in der Brandung surft im Kugelhagel. (Übrigens ist auch Apocalypse Now ein Strandabenteuer!) I love the smell of Napalm in the morning.
Laurence Fishburne, der damals dabei war bei Coppola, hat auch geschwärmt. Gerade vierzehn war er, sie hätten ihn auch nach Vietnam schicken können, aber er ist stattdessen bei Coppola gelandet, dieser Ein-Mann-Armee, und war restlos begeistert vom Kriegspielen. War is fun, sagt Fishburne, Shit, you can do anything
you want to. That’s why Vietnam must have been so much fun for the guys who were out there. I know this one dude who came back, shit, and he’s nothing but a dope-smoker and all he does is smoke dope, he says: Vietnam is the best they could have done for my ass.
Wir lieben den Geruch von Napalm am Morgen. Den Dschungel, der in Flammen steht. Surfen in feindlicher Brandung. Hubschrauber-Rotoren-Walkürengesänge. Coppola sagt: The way we made it was very much like the way the
Americans were in Vietnam. We were in the jungle. There were way too many of us. We had access to too much money, too much equipment and little by little we went insane. Welcome to The Beach.
Wer jetzt nur noch Bahnhof versteht, hat wahrscheinlich die deutsche Übersetzung von »The Beach« gelesen. Lektoratsarbeit ist der reinste Dschungelkrieg. In diesem Fall haben die Partisanen eine ziemliche Schneise geschlagen in Garlands Text und mal eben den gesamten Prolog rausgehauen. Missing in Action heisst das wohl im Fachjargon. Wir sagen dazu nur: The Horror. The Horror.
Denn wir lieben Alex Garland. Wir lieben sein Buch zum Film Apocalypse Now. Wir lieben es, weil es ein Monument ist, errichtet für den weltbesten aller Filmregisseure. Wir lieben es, weil es etwas von dem politisch unkorrekten Geist transportiert, der Krieg als rasend aufregendes Spiel begreift. Wir lieben es nicht zuletzt, weil es eine indirekte Absage ist an das fade Agit-Prop-Theater des Saving Private Ryan, der unseretwegen verrecken kann irgendwo in Europa. Spielberg go home – Wir wollen Kilgore und Willard! We love the smell of Napalm in the morning!
Danny Boyle hat sich also einiges vorgenommen. Der Film zum Buch zum Film. Und wer jetzt behauptet, dass er gescheitert wäre an dieser Operation, der hat die Verfilmung von The Beach ebenso wenig verstanden wie die deutschen Bücher-Verstümmeler den Roman.
The Beach ist ein grandioser Film, schrill, laut, konfus, verwirrend manchmal. Dschungel im Kopf. Wie der Anfang von Apocalypse Now. Und dabei eigentlich kein Kriegsfilm mehr. Weil wir, die wir im Alter sind von Garland und unserem Alter Ego Richard, von DiCaprio und Boyle, zu einer neuen lost generation gehören, die primär auf dem Schlachtfeld der Langeweile kämpft und dabei nicht sehr viel Ausdauer zeigt. Etappensiege werden euphorisch gefeiert, dann fallen wir in die Apathie zurück. Wir suchen den ultimativen Trip und The Beach, wenn man ihn erst zwei-, dreimal gesehen hat, taugt verdammt gut in dieser Hinsicht. Man wird süchtig nach dieser eklektizistischen Mischung aus Club Robinson Urlaub und Universal Studio Tour. Alle Bilder haben wir irgendwann irgendwo schon mal gesehen. Jaws und Rambo und The Blue Lagoon. Feels just like home.
In Bangkok angekommen, streift Richard über den Basar. Es gibt nichts, was es nicht zu kaufen gibt. Und wir schlendern zwischen den Ständen herum, die Händler grapschen nach uns, schreien uns Billig-Angebote ins Ohr. Und billig hey, darauf stehste doch! Irrtum. Wir stehen längst nicht mehr auf billig. Wir jagen die letzte grosse Illusion unserer Generation. Die Illusion, dass es etwas gibt, was mit Geld nicht zu bezahlen ist. Geld haben wir schliesslich genug. Solche Typen wie du und ich und Richard zumindest. Und die anderen, die haben sowieso keine Zeit für Illusionen.
Zu den relativ erschwinglichen Traumzeiten gehört die Kinokarte und wie sehr das symptomatische Was-einmal-draufsteht-ist-auch-drin abgemachte Sache ist unter den Fans, das findet Schönchen Leonardo DiCaprio gerade ziemlich Scheisse. Im Fall des Ex-Romeo stehen Sachen drauf wie Babyface und Blümchensex und allerlei, was man überhaupt nicht mehr gut findet, wenn man ein Mädchen ist und älter als dreizehn (und überhaupt nicht mehr gut findet, wenn man ein Junge ist und älter als drei). The Beach könnte da etwas ändern (Immerhin haben Johnny Depp oder Brad Pitt ja bereits vorgemacht, dass es durchaus möglich ist, sich als Folie prä-pubertärer wet dreams erfolgreich zu verweigern). The Beach könnte, für die DiCaprio Fans zwischen drei und dreizehn so was werden wie ein versauter Nachmittag in der Ikea-Kinderecke: erst haben sich alle so gefreut auf die schönen bunten Bällchen und dann kommt ein böser Mann und trampelt alles kaputt. Der böse Mann heisst Danny Boyle.
Zuerst lässt er DiCaprio durchaus den Romeo spielen, sich etwas scheu und schüchtern geben, Händchenhalten am Strand, Küsschen in der Brandung. Es gibt dann aber keinen Liebestod hier, keine Treueschwüre. Diese Welt ist gnadenlos unromantisch. Shoppen und Ficken. Mehr ist nicht.
Das beste am Abenteuerspiel ist das Überleben und Erzählen. Der glücklichste Erzähler ist natürlichcall me Ishmael derjenige, der als einziger überlebt hat, weil niemand seine Geschichten mehr in Frage stellen kann. Wenn Ishmael sagt, es war ein gigantischer weisser Monster-Wal, der Ahab in die Tiefe zog und das stolze Schiff Pequod zu Kleinholz verarbeitet hat, dann müssen wir ihm wohl glauben, dass es ein gigantischer weisser Monster-Wal war und keine Makrele. Zeugen gibt’s ja keine. Wenn Richard melodramatisch zum besten gibt, wie er einen weissen Hai tötete und einer unter den Zuhörern lästert, es wäre ja nur ein Baby-Hai gewesen, der sich noch nicht wehren kann, sieht die Sache schon anders aus. Und dann ist da noch Danny Boyle, der wirklich ziemlich fies umspringt mit seinem Helden, ihn vor unser aller Augen blossstellt in den Bildern. Richard mag erzählen was er will, im Erzählen ist er ja gut, der Selbstdarsteller und Aufschneider aber wir sehen was anderes, einen Feigling, der ständig die Hosen voll hat.
Das Leben ist ein Videospiel. Richard versucht sich mal als Liebhaber, mal als Rambo und zumindest die Ikonographie hat er drauf und wie man sich das rote Stirnband festzurrt. Die ganze Welt ist ein Themenpark, sagt Richard am Anfang und recht hat er: aber die Rambo-Nummer kommt eben nur gut, solange man allein durchs Unterholz tigert, das Blut und die enemy action nur virtual realities sind, im Kopf. In echt macht spritzendes Blut eine ziemliche Sauerei und mit Rambo-Heldenmut ist es dann auch schlagartig vorbei. Game over, Richard. Try again? Lieber nicht. Richard ist ein Schisshase.
Die Strandkommune lebt in sauberen kleinen Holzhütten und für organisierte Unterhaltung ist gesorgt, wie in jedem besseren Cluburlaub. Aber das Ganze ist natürlich auch eine Geschichte der Landnahme, des manifest destiny und pursuit of pleasure und die Tatsache, dass Richard im Film Amerikaner ist, ist kein blöder Fauxpas, sondern wesentlicher Bestandteil dieser Lesart. Man hat sich, auf diesem Inselparadies, arrangiert mit den Natives, hat einen Zuwanderungsstopp verabredet, wie man das eben so macht in zivilisierten Gesellschaften. Wo realiter aber immer die Eroberten und Zivilisierten den Blutpreis zahlen müssen, dreht Boyle den Spiess um: die Opfer sollen gefälligst aus der eigenen Mitte genommen werden. Das Finale zeigt vielleicht die erste total gescheiterte Eroberung des Paradieses. Ein Häuflein Elender treibt da auf einem Floss zurück in die Zivilisation. Und weil Danny Boyle viel intelligenter ist, als ihm jetzt gemeinhin unterstellt wird und er sich seine Zitate durchaus mit Sinn und Verstand auswählt, hat er sich für dieses Finale ein Stück aus der Kunstgeschichte zum Vorbild genommen, das »Floss der Medusa«, das Théodore Géricault 1819 gemalt hat nach einer wahren Begebenheit. Es sind die Überlebenden eines Schiffsunglücks, die da zu sehen sind, auf sturmschwarzen Wasser treibend. Am Horizont, weit weit weg, ist ein Schiff in Sicht, aber die Hoffnung auf Rettung ertrinkt in den düsteren Farben, in Angst und Verzweiflung. Ein Nachtrag ist das natürlich auch zu Leo’s letzter Reise auf der Titanic. Manchmal ist es leichter glorreich unterzugehen als zu überleben.
Coppola schickte Willard in den Dschungel um Colonel Kurtz zu finden, der irgendwie sein eigenes Süppchen kocht. Eine search-and-destroy Mission. Kurtz finden und umlegen. With extreme prejudice. Das Vokabular des Krieges ist wunderbar eindeutig und klar. Eine übersichtliche verbale Landkarte im Chaos des Dschungels. Willard sucht Kurtz. Willard findet Kurtz. Willard sagt: Even the jungle wants you dead. Willard ist der Dschungel. Das ist seine Metamorphose. Während er Kurtz kaltmacht, opfern die Dschungelmenschen einen Ochsen. Das Töten ist ein langwieriges Geschäft. Die Machete schlägt klaffende rote Schluchten in das Fleisch. Wir sind direkt im Herz der Finsternis. Einen Moment dürfen wir bleiben, dann müssen wir zurück in die Zivilisation, müssen Willard zurücklassen im Dschungel. Ein bisschen beneiden wir ihn schon, während wir den Fluss hinaufschippern, in die Sonne, ins Licht, blinzelnd und benommen.
Richard, wie ihn Alex Garland entwirft, möchte gerne Willard sein (wollen wir das nicht alle?), möchte der Dschungel werden, aber am Ende reichts nur zum Opfertier bei ihm, am Ende wird er aufgeschlitzt von der Meute in einer blutigen Nacht der langen Messer.
Danny Boyle ist noch etwas zynischer: Wenn es ernst wird, ist Heulen und Zähneklappern angesagt. Die Welt ist ein Themenpark, eine gigantische Festplatte der unbegrenzten Möglichkeiten. Was soll’s. Abenteuer wollen wir, wenns geht, nur unter Anleitung unerträglich gutgelaunter Animateure erleben oder noch besser gleich vor dem Bildschirm, in Sicherheit mit unseren Erinnerungsfotos. Am Ende denkt man an Trainspotting zurück und den Tipp, den uns Boyle da mit auf den Weg gegeben hat. Nein, es ist nicht: choose life, choose a job, choose happiness. Es ist: Take the money and run.