Österreich/D 2017 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Adrian Goiginger Drehbuch: Adrian Goiginger Kamera: Yoshi Heimrath, Paul Sprinz Darsteller: Verena Altenberger, Jeremy Miliker, Lukas Miko, Michael Pink u.a. |
||
Alles um das Kind herum inszenieren... |
Adrian kann nie wissen, was ihn im Wohnzimmer erwartet. Manchmal rasten alle aus, die da zu Besuch sind. Sie Tanzen und schreien herum. Der Grieche brüllt, wie sie alle am Boden sind und völlig fertig. Und das wird zelebriert. Die Kamera feiert mit und taumelt zwischen ihnen umher. Die feiern sich in ihrem eigenen Niedergang und irgendwie halten sie der Gesellschaft den Finger ins Gesicht. Günter spielt Gitarre, während die Anlage psychedelische Töne durch den Raum wabern lässt. Es wird gekifft und gesoffen. Manchmal schläft die Mama ein, selbst wenn der Adrian grade eine Geschichte vorlesen will. Und manchmal eskaliert es auch und der Grieche will, dass der 7-Jährige Junge endlich mit ihm Wodka säuft. Aber die Mama wird aufwachen und ihren Sohn wegzerren von dem kaputten Kerl. Und sie wird sich bei ihm entschuldigen, dass sie die Geschichte verschlafen hat. Und die Entschuldigung ist ernst gemeint, spürbar das einzig Wesentliche für sie. Es hängen hier alle an der Nadel und kommen nicht mehr weg, aber es geht eigentlich nur um die beiden und wie sie aneinander hängen.
»Es ist kein kalter, nüchterner Blick, wie man ihn aus heimischen Spielfilmen bis zum Überdruss kennt, sondern einer der haltlosen Empathie«, schreibt Dominik Kalmazadeh in seiner Besprechung von Die beste aller Welten für den Standard. Kaum eine österreichische Zeitung sparte den Film aus und versäumte es, das Langfilmdebüt des jungen Regisseurs Adrian Goiginger (Klang der Stille; Milliardenmarsch) zu loben. Dabei fiel kaum ein Wort des Zweifels. Denn zweifellos gelingt es Goiginger, eine Kindheit unter Drogensüchtigen am Rande von Salzburg ohne klischeehafte Fehltritte rüberzubringen. Mit liebevollen Höhen und garstigen Tiefen, mäandernd zwischen dem sinnentleerten, destruktiven Nihilismus des Junkie-Alltags und einer kämpferischen, handlungsfähigen Mutterliebe. Goiginger bekommt es hin, den 7-jährigen Jeremy Miliker (sein Alter Ego Adrian) zusammen mit Verena Altenberger (als Mutter Helga) in einer innigen Beziehung zu inszenieren. Helgas Auflehnung gegen die Sucht, ihre Zusammenbrüche und immer neuen Anstrengungen lassen spüren, dass etwas auf dem Spiel steht.
Gleichermaßen funktioniert der Film als Auflehnung gegen das Klischeebild Salzburg und gegen ein Aussparen sozialer Realitäten in Österreich. Goiginger drehte in Salzburg-Liefering, mit Salzburger SchauspielerInnen und im lokalen Dialekt. Eigentlich hätte eine andere Wohnung der Drehort werden können, doch die war zu klein. Goiginger wohnte dort selbst und durchlebte eine Zeit, die der Geschichte des Films ähnelt. Erst am Ende wird klar, dass hier autobiografisch gearbeitet wurde. Dann stellen Bilder und Texttafeln Goigingers 2012 verstorbene Mutter und ihren Freund Günter (im Film: Lukas Miko) vor. Damit ist dann auch klar: Es war also eingebildet, dass das eine frei zusammenfantasierte Geschichte war!
Nicht nur weil das Autobiografische natürlich nie das Tatsächliche sein kann: Das Inszenieren entpuppt sich als zentral für die Mechanik dieses Films. Im Alltag ist es fester Bestandteil. Nur wenn der Sozialarbeiter kommt, räumen Helga und Adrian die Wohnung auf. Knallkörper in die Kiste und immer schön freundlich sein. Gleich holt die Mama die Sonntagsbluse aus dem Schrank, um so wie die anderen Eltern auszusehen. Solche korrekten Eltern tauchen dann später im Film auch auf und sitzen ganz unbeholfen im Wohnzimmer, das abends wieder eine Drogenbude sein wird. Die hier abgebildete österreichische Normalität hat zumeist etwas unfassbar Biederes gegenüber den authentischen Launen der Druffis.
Aber auch die suchen sich ihre Geschichten, suchen sich Ausbruchserzählungen. Der eine spricht vom Geist in den Bäumen und seiner Nähe zur Natur, die letztlich wichtiger sein wird als jedes Rauschmittel. Der Bernie findet zu Gott und fährt bald eine entschlossene Bekehrungsrhetorik: »Ich kenn einen, dar hat das ewige Leben in der Hand!« Gunter wird da skeptisch und haut den Fernseher kaputt. Der taugt letztlich ja auch nichts. Kaputt ist er nach dem Glaubensstreit aber trotzdem. Manchmal sind die Fantasien aus der Realität nicht fernzuhalten. Irgendwann dringt sogar die kindliche Abenteurerfantasie Adrians irgendwann in die Lebenswelt der Wohnung ein und alles vermischt sich in einer kleinen Eskalation.
Adams immer wieder bebilderte Fantasiewelt ist ein wesentliches Motiv. Darin kämpft ein bulliger Abenteurertyp gegen einen untoten Dämon. Die Dämonen sieht Adrian tagtäglich, die sind gar nicht so sehr erfunden. Wenn ihn der Grieche (Michael Pink) packt und mit Vodka vollschüttet, dann ist der nicht bei sich. Das weiß der Mann eigentlich auch selber und kann es doch nicht ändern. Da ist in ihm ein zweiter Mensch, sagt Helga. Vom Dämonen besessen zu werden, das darf nicht sein. Da
ist sie sich mit Adrian einig. Aber wenn Mama dann die Zimmertür verschließt, um sich den nächsten Schuss zu setzen, schafft sie damit doch wieder einen Raum, der für ein Kind unheimlich ist, geheimnisvoll und beängstigend.
In einem Interview sprach Goiginger kürzlich von einem Austausch mit dem Filmemacher Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild), der ihm Tipps zur Inszenierung seines tollen Jungdarstellers Jeremy Miliker gab. Alles um das Kind herum inszenieren: »Schauspieler, Technik, Set. So habe ich es auch gemacht.« Schade ist, dass Goigingers Konzentration auf die Empathie mit dem kindlichen Blick auch auf seine Inszenierung der Fantasie-Ebene seines Films übergreift. Weil das Kind mit seinen
formelhaften Abenteuerträumen so ganz im Zentrum steht, sind die Inszenierungsweisen nicht immer auf Augenhöhe mit dem Stoff. Und so bleibt den Erwachsenen als einziger Traum der von der Unschuld des Kindes.