Deutschland 2021 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Detlev Buck Drehbuch: Daniel Kehlmann Kamera: Marc Achenbach Darsteller: Jannis Niewöhner, Liv Lisa Fries, David Kross, Maria Furtwängler, Joachim Król u.a. |
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Leben und Lachen auf dem »Zauberberg« | ||
(Foto: Warner Bros.) |
»Ich war sehr glücklich. Ich war mir kostbar und liebte mich – auf jene gesellschaftlich nur ersprießliche Art, welche die Liebe zu sich selbst als Liebenswürdigkeit gegen andere nach außen schlagen lässt.« – Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
Die Verfilmung oder zeitgemäße Wiederverfilmung des Kanons deutscher Literatur des 20. Jahrhundert hat gerade Hochkonjunktur: 2019 nahm sich Christian Schwochow Siegried Lenz' Deutschstunde an, 2020 waren Döblins Berlin Alexanderplatz und Hesses Narziss und Goldmund dran, vor ein paar Wochen kam endlich Kästners Fabian oder Der Gang vor die Hunde von Dominik Graf in die Kinos und in ein paar Wochen wird es Philip Stölzls Neuadaption von Stefan Zweigs Schachnovelle sein. Aber vor Zweig und seinem ewigen Klassiker ist erst einmal ein anderer moderner Klassiker an der Reihe, nämlich Thomas Manns letzter, fragmentarischer Roman, die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull.
Der wohl leichteste, humorvollste und fröhlichste Roman von Mann ist Entwicklungs- und Bildungsroman – im Filmbereich heutzutage als Coming-of-Age-Genre bezeichnet – aber auch Schelmen- und Abenteuerroman mit Verweisen auf die griechische Mythologie, Goethe, Nietzsche, Schopenhauer und Manns eigene (homosexuellen) Sehnsüchte. Das alles kann man aber auch leicht überlesen und einfach nur Spaß haben, denn im Zentrum steht ein alle gewinnender junger Felix Krull, der nach dem Suizid des Vaters und einer Verarmung der Familie sein Leben als Glücksritter versuchen will und nicht nur auf die Macht des schönen Scheins setzt, sondern auch einen ausgesprochen narzisstischen Charakter pflegt, über Höflichkeit die nötige Distanz erzeugt und mit seinem »Liebe die Welt und sie wird dich lieben«-Dogma tatsächlich die Türen der oberen Zehntausend aufzuschließen versteht.
Kein Zweifel, dieser fluide, auf Außenwirkung setzende Charakter hat auch in unseren Instagram- und Facebook-Zeiten und ihren um Identitätshoheit ringenden Individuen – ein Blick in Mithu Sanyals Identitti reicht da schon – seine Entsprechung, vielleicht sogar mehr als jemals zuvor, ist eine Neuverfilmung nach dem Kurt Hoffmann-Klassiker mit Horst Buchholz aus dem Jahr 1957 mehr als eine gute Idee, sondern birgt sogar die Chance, Mann tatsächlich aus seinem Zeitkorsett zu befreien, so wie das kongenial Burhan Qurbani mit seinem Berlin Alexanderplatz demonstrierte.
Doch Detlef Buck, der in den letzten Jahren vor allem durch seine hervorragenden Pferdefilme um Bibi & Tina Erfolg hatte und Drehbuch-Autor Daniel Kehlmann, Deutschlands momentan wohl bekanntester und erfolgreichster »Großschriftsteller« (Die Vermessung der Welt, Tyll), interessiert die Vergangenheit weitaus mehr als die Gegenwart. Mit einem schauspielerischen Großaufgebot, allen voran Jannis Niewöhner als Felix Krull, Liev Lisa Fries, David Kross, Maria Furtwängler, Joachim Król und Désirée Nosbusch und einem dementsprechenden Kulissen-Gau entführen uns Buck und Kehlmann in die tiefste Vergangenheit, in die auslaufenden Jahre des 19. Jahrhunderts und einen triefenden Historizismus. Mit einigen gut zu ertragenden Auslassern und Umschreibungen folgen Kehlmann und Buck Manns Buch, fokussieren aber weniger auf die ganz jungen als die jungen mittleren Jahre von Manns Held.
Dabei bewegen sie sich konsequent auf der Oberfläche der ausgesuchten Kulissen und Kostüme, selbst wenn die Kostüme – was durchaus häufig passiert – abgelegt werden, um Krulls Liebesfähigkeit und Nähe zur Prostitution zu verdeutlichen. Das bedeutet jedoch, dass Kostüme wie Kulissen so stark dominieren, dass kaum einmal Leben in diese eigentlich ja sehr rasante Geschichte kommt. Filme mit ähnlicher Ausrichtung und einem ebenfalls explizit historistischen Ansatz wie etwa Spielbergs Gaunerkomödie Catch Me If You Can – Mein Leben auf der Flucht oder Kubricks Glücksritter-Epos Barry Lyndon demonstrieren hervorragend, was vielleicht alles möglich gewesen wäre, dass so etwas auch anders geht und sicherlicher auch mit Manns Vorlage.
Und dann ist da ja noch Thomas Manns auch im Roman gut kaschierte psychologische und philosophische Tiefgründigkeit, die Kehlmann und Buck aber bestenfalls in ideenloses Vogelgeplapper auflösen, etwa während des Gesprächs zwischen Krull und Prof. Kuckuck, gleich nach Krulls emotionalem Abschied und gesellschaftlichem Aufstieg auf der Eisenbahn.
So bleibt bei allem Glanz und mittelmäßiger Unterhaltung der schale Nachgeschmack, hier nur einer filmischen Investitionsruine (über 2 Mio. Euro Fördergelder) beigewohnt zu haben, der es weder gelingt, die Vergangenheit überzeugend zu reanimieren noch einen Aktualitätsbezug herzustellen und damit einen so wichtigen wie notwendigen Kommentar zum gegenwärtigen Identitäts-Tohuwabohu, aber auch zur zunehmenden Defragmentierung unserer Gesellschaft zu liefern. Denn auch davon erzählt Thomas Mann.
* Die Überschrift spielt auf das Jugendbuch Rico, Oscar und die Tieferschatten von Andreas Steinhöfel an.