Großbritannien 2011 · 123 min. · FSK: ab 0 Regie: John Madden Drehbuch: Ol Parker Kamera: Ben Davis Darsteller: Judi Dench, Bill Nighy, Penelope Wilton, Dev Patel, Celia Imrie u.a. |
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Auch Senioren finden Indien toll |
Kennt einer noch Trude Unruh? Für jemanden, der in den 70ern aufwuchs, war sie überraschend. Damals sahen nämlich eigentlich alle unglaublich alt aus, und Politikerinnen wie Annemarie Renger, die Bundestagspräsidentin, Antje Huber und später noch Rita Süßmuth, Dorothee Wilms oder Ursula Lehr, die sahen älter aus als unsere eigene Großmutter und benahmen sich auch so. Trude Unruh dagegen sah vielleicht so aus, benahm sich aber, wenn man sie im Fernsehen sah, eher wie die etwas
seltsamen Schwestern unserer Freunde von der Volksschule: Irgendwie »politisch«, völlig unberechenbar, anarchistisch und sehr sehr laut. Und als kleines spießiges Kind (Kinder sind fast immer spießig) schämte man sich ein bisschen fremd für diese sonderbare Alte, die genauso war, wie ihr Name.
Trude Unruh, Jahrgang 1925, war eigentlich Chefsekretärin bei Krupp, und muss irgendwann das bekommen haben, was man damals eine »Midlife Crisis« nannte. 1968 trat sie in die SPD ein, 1973
in die FDP, die damals ja noch linksintellektuell war. 1978 war sie Mitbegründerin der Grünen, bei denen sie dann immerhin doppelt solang blieb und 1987 sogar im Bundestag landete, in dieser besonders bunten zweiten Fraktion der Grünen, deren Wirken damit endete, dass die Grünen 1990 im Zuge des DM-Nationalismus-Vereinigungswahnsinns nicht mitjubelten, unter die Räder kamen und an der 5-Prozent-Hürde scheiterten. Da hatten sie Trude Unruh aber schon ausgeschlossen. Bereits 1975
hatte Unruh den »Senioren-Schutzbund« gegründet, der sich bald »Graue Panther« nannte, und später mal als »Die Grauen« zur Partei wurde, bevor die dann wieder ein Spendenskandal zerschredderte.
Und The Best Exotic Marigold Hotel, um jetzt mal endlich auf den Film zu kommen, um den es hier geht, ist ein bisschen so, als ob heute alle Alten Graue Panther wären, lauter Trude Unruhs: Laut, ein bisschen kindisch, manchmal nervtötend und jedenfalls kein bisschen weise.
Mag ja sein, dass wir alle ein falsches Bild von alten Leuten haben. Dass Alte tatsächlich dauernd an Sex denken, fortwährend flirten, gefühlsmäßig unreif sind, einen zwitschern, sich in Dinge einmischen, die sich nichts angehen, zu dummen Späßen aufgelegt sind, und auch sonst so, dass man es früher »ein bisschen Gaga« genannt hätte, was aber heute nicht mehr pc ist, also sagen wir besser: Wie im »Traumschiff« – was vielleicht auch kein Kompliment ist, aber immerhin erklären würde, warum die Älteren unter den im Durchschnitt 61-jährigen ZDF-Zuschauern so gern »Das Traumschiff« gucken.
»Das Traumschiff« ist ein wichtiger Hinweis, denn eigentlich ist The Best Exotic Marigold Hotel wie eine »Traumschiff«-Doppelfolge: heiter-belanglose Geschichten um spätpubertierende 60-plus-Menschen, die in einem begrenzten Raum eingesperrt sind, und vor exotischer Kulisse ihre Probleme lösen müssen, die bei gar nicht so genauer Betrachtung arg banal sind. Hier sind es sieben Engländer höheren Alters: das streitsüchtige Paar Douglas und Jean (Bill Nighy
und Penelope Wilton), die frisch verwitwete und finanziell gescheiterte Evelyn (Judi Dench), der desillusionierte Richter Graham (Tom Wilkinson), Norman (Ronald Pickup) und Madge (Celia Imrie), die beide auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens sind, Muriel (Maggie Smith), die ein neues Hüftgelenk bekommen soll und Indien danach eigentlich gleich wieder verlassen will. Sie alle landen im Hotel, das – wie sie selbst – seine besten Zeiten schon hinter sich hat.
In ihrer
ehemaligen Kolonie Indien geben die Engländer immer noch den Ton an. Der Film zeichnet ein sehr klischeehaftes Bild Indiens: Es wird gelogen und betrogen, stark sanierungsbedürftig; fließend Wasser ist Mangelware, ein Telefon auch, und die Zimmertüren funktionieren ebenfalls nicht. Indien ist ein Ort des Chaos und des Enthusiasmus, gleichermaßen berauschend und beängstigend, traditionell und modern, schön und absonderlich.
The Best Exotic Marigold
Hotel versammelt ohne Frage eine illustre Schauspieler-Riege: Neben britischen Kino- und Theaterstars wie Judi Dench, Tom Wilkinson, Maggie Smith und Bill Nighy, zählen dazu auch Bollywoodstars wie Dev Patel (Slumdog Millionaire). Ist das nun Starkino? Nicht wirklich, eher hat man den Eindruck einer Art Austragsstüberl für die grauen Panther der Filmszene, die woanders nicht mehr gefragt sind. Nur Tom Wilkinson wirkt in dieser Runde etwas fehl am
Platz, aber er hat sowieso die sympathischste Rolle.
Ansonsten fehlen eigentlich nur noch Geraldine Chaplin und Omar Sharif. Aber Geraldine Chaplin spielt ja in dem zweiten dieser insgesamt drei Alten-Filme dieses Frühjahrs mit, in Und wenn wir alle zusammenziehen? (»Et si on vivait tous ensemble?«; Regie: Stéphane Robelin), ein französischer Film über eine Alten-WG mit Daniel Brühl als Zivi. Das steht uns nämlich jetzt bevor: Nicht nur, dass die Alten nicht mehr Alte sein wollen, sondern »Best Ager«, dass sie arbeiten, dass sie ewig leben wollen, sie besetzen jetzt auch noch die Kinoleinwände, und das Kino entdeckt die Generation-60-Plus; Stoffe mit verrenteten Hauptfiguren und in Ehren ergrauten Stars haben große Konjunktur – auch jenseits von Wolke 9.
Der dritte dieser Alten-Filme kommt dann aus Deutschland: Bis zum Horizont, dann links! heißt Bernd Böhlichs Komödie, die im Sommer ins Kino kommt, und auf die man sich natürlich auch wieder wegen der Darsteller freut – Ex- oder gerade-noch-Stars gehören eh zur Formel diesen neuen Kino-Rezepts -: Otto Sander, Angelica Domröse, Ralf Wolter, Herbert Feuerstein, Tilo Prückner sind angekündigt; die Story kreist um ein revoltierendes Seniorenheim.
Wofür steht das? Passt sich da das Kino einer älterwerdendenen Gesellschaft an, einer Gesellschaft in der der 72-jährige Joachim Gauck Bundespräsident wird, und der 73-jährige Otto Rehhagel Hertha BSC vor dem Abstieg retten soll? Und gibt es überhaupt diese »jung(geblieben)en Alten«? Oder ist das eher eine Projektion der Medien?
Allemal fragwürdig ist, welches Bild von Alter in diesem unfassbar langweiligen Machwerk gezeigt wird: Alle Figuren sind nämlich vom Leben enttäuscht,
teils verbittert, teils verblendet, und wollen nun im fernen Indien einen geruhsamen Lebensabend verbringen. Sie nörgeln, sind von der neuen Umgebung überfordert, die müden Scherz kreisen um Durchfall, Herzinfarkte und Sex im Alter. Man kann und will nicht glauben, dass sich viele alte Leute hier wiedererkennen.
Anmerkung: Die Eltern des Autors sind 84, bzw. 73 Jahre alt, kein bisschen gaga, und leben glücklicherweise nicht in Indien. Zumindest sein Vater guckt aber auch gern »Traumschiff«.