Die Bestimmung – Insurgent

Insurgent

USA 2014 · 119 min. · FSK: ab 12
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: , ,
Kamera: Florian Ballhaus
Darsteller: Shailene Woodley, Theo James, Naomi Watts, Octavia Spencer u.a.
Que(e)re Rehaugen

Que(e)rdenken

Von allen Young-Adult-Sci-Fi-Fran­chises ist mir die Adaption der Die Bestim­mung-Trilogie von Veronica Roth die Liebste. Das hat der zweite Teil, Insurgent, noch einmal zwei­fels­frei bestätigt. Und somit ist es Zeit mal darüber nach­zu­denken, was mich an der Geschichte von der „diver­genten“ Heldin Tris Prior eigent­lich so begeis­tert.

Eigent­lich funk­tio­niert Die Bestim­mung ja genauso wie jedes andere Sci-Fi-Teeny-Franchise. Ein junges Mädchen entdeckt über­ra­schend und zunächst wider­willig ihre Super­kräfte und rettet schließ­lich mit Hilfe eines schönen Mannes, in den sie sich natürlich unsterb­lich verliebt, die Welt. So weit so gut. Klingt ziemlich austauschbar. Gar nicht austauschbar, sondern über­ra­gend clever, ist jedoch das Science Fiction Szenario, in dem dieser Stan­dard­plot bei Veronica Roth ange­sie­delt ist. In einem post­a­po­ka­lyp­ti­schen Chicago hat sich die mensch­liche Gesell­schaft zur Aufrecht­er­hal­tung des Friedens auf ein Kasten­system vers­tän­digt, in dem jede_r gemäß ihrer_seiner Fähig­keiten einen festen Platz zuge­wiesen bekommt. Nur die Diver­gents – zu deutsch: die Unbe­stimmten – lassen sich einfach in kein Schema pressen und stellen daher eine Gefahr für die Stabi­lität des Systems dar. Tris (Shailene Woddley), die Heldin des Franchise, ist wenig über­ra­schend eine eben solche Unbe­stimmte, die sich zur Tarnung den Furcht­losen („Ferox“) anschließt, am Ende von Teil 1 aber die Flucht antreten muss, weil sie sich einem Coup der herr­schenden Klasse der Gelehrten („Ken“) entge­gen­ge­stellt hat.

Was zunächst wie ein überz­eich­netes Zukunfts­sz­e­nario erscheint, ist im Grunde eine ziemlich treffende Beschrei­bung unserer Gesell­schaft, in der sich junge Menschen auf dem Weg zum Erwach­sen­werden in ähnliche Kate­go­rien pressen lassen müssen wie Tris und die übrigen Protagonist_innen in Die Bestim­mung. Unsere Kate­go­rien heißen nicht „Ferox“ oder „Ken“ und werden uns auch nicht nach einem Gehirn­scree­ning zuge­ordnet. Aber sie heißen Mann, Frau, hete­ro­se­xuell, homo­se­xuell und so weiter. Viel­leicht auch: christ­lich, athe­is­tisch, musli­misch. Oder: Hippie, Konservative_r, Intellektuelle_r. Vermut­lich ist jeder Mensch mit ganz indi­vi­du­ellen Kate­go­rien konfron­tiert, in die sich einzu­ordnen eine Heraus­for­de­rung darstellt. Und wer sich diesem Druck entzieht und auf seine Indi­vi­dua­lität, seine „Unbe­stimmt­heit“, seine Queerness beharrt, der hat es im Leben oftmals schwer.

Die Bestim­mung bestärkt uns in einer selbst­be­wussten Ablehnung vorge­ge­bener Rollen. Tris Prior ist eine Heldin, weil sie anders ist. Weil sie nicht nur das eine oder das andere, sondern alles sein will und kann. Dabei legt sie eine Stärke und – im wahrsten Sinne des Wortes – Schlag­kräf­tig­keit an den Tag, von dem sich so mancher Action­held eine Scheibe abschneiden kann. Zumindest weicht sie einem Kugel­hagel ebenso souverön aus wie ein John McClane. Im zweiten Teil des Franchise trägt Schau­spie­lerin Shailene Woodley zudem einen modischen Kurz­haar­schnitt, der sie auch optisch queer erscheinen lässt und statt mit tiefem Dekolleté beein­druckt sie mit musku­lösen Oberarmen. Das ist eine weibliche Heldin, die diese Bezeich­nung auch verdient hat und keine getarnte „Damsel in Distress“ im sexy Einteiler darstellt.

Ein Wermuts­tropfen bleibt, dass Tris auch im Laufe des zweiten Teils immer wieder von Männern gerettet werden muss. Ganz kann diese Figur also nicht an den männ­li­chen Action­helden heran­rei­chen. Dafür aber schafft Tris etwas, was den meisten Frau­en­fi­guren im Film verwehrt bleibt: Sie darf sich opfern. Tris Prior erhält in Die Bestim­mung – Insurgent nicht nur einen echten Märty­rer­mo­ment, sondern sogar die fast ausschließ­lich männlich konno­tierte Aufer­ste­hungs­szene. Es ist Tris, die hier die Mensch­heit befreit und eine neue Ära einleitet. Und das im Übrigen ganz ohne männliche Hilfe, sondern aus sich selbst heraus. Aus der Akzeptanz ihrer Queerness generiert sie in einem symbo­li­schen Moment der Konfron­ta­tion mit dem eigenen Ich die Kraft, die Welt zu verändern. Sie ist nicht das Problem dieser Gesell­schaft – sie ist die Lösung!

Damit bejaht auch Die Bestim­mung – Insurgent auf kräf­tigste Queerness und den schon in Teil 1 ange­stimmten Abgesang ans Schub­la­den­denken. Wir müssen uns nicht auf eine Rolle festlegen: Wir dürfen einfach sein wie wir sind. Und es sind gerade die Que(e)rdenker_innen, die die Welt zum Positiven verändern. Zusammen mit den durch­ge­hend weiblich besetzten Schlüs­sel­fi­guren – sowohl die „Ken“ als auch die „Amite“ und die Frak­ti­ons­losen werden von Frauen angeführt – quali­fi­ziert sich Die Bestim­mung – Insurgent damit ganz klar für mein Prädikat „eman­zi­pa­to­risch wertvoll“ und ist – so ganz nebenbei – auch ein wirklich gelun­genes Kino­ver­gnügen.

Der Text erschien ursprüng­lich auf »Filmlöwin – Das femi­nis­ti­sche Film­ma­gazin«.

Zu 100 Prozent abweichend

Jugend-Science-Fiction-Trilogien als Bücher und als Verfil­mungen ohne Unterlass: Nach dem welt­weiten Erfolg von Die Tribute von Panem eifern mit Die Bestim­mung – Divergent und Maze Runner gleich zwei Nachfolge-Sci-Fi-Drei­teiler um die Gunst des jugend­li­chen Ziel­pu­bli­kums. Auch die beiden zugehö­rigen Buch­reihen erschienen direkt im Anschluss von „Die Tribute von Panem“. Dieses Vorbild ist im Falle von Veronica Roths Trilogie „Die Bestim­mung“ nur zu offen­sicht­lich. Die Tatsache, dass die Autorin alle drei über 500 Seiten dicke Schmöker bereits im zarten Alter von 23 Jahren fertig herunter getippt hatte, lässt bei ihr immerhin eine gewisse geistige Nähe zur anvi­sierten Käufer­schicht vermuten.

Der erste Teil der Verfil­mung kam letztes Jahr als Die Bestim­mung – Divergent in unsere Kinos. Jetzt folgt mit Die Bestim­mung – Insurgent das Mittel­s­tück des Drei­tei­lers, der mit Die Bestim­mung – Allegiant abge­schlossen werden wird. Im Prinzip bleibt in der Fort­set­zung zu Divergent alles beim Alten. Nur Neil Burger, der relativ unbe­kannte Regisseur des ersten Teils, wurde in Insurgent durch den Deutschen Robert Schwendke ersetzt.

Schwendkte hatte im Jahre 2002 mit dem sehr atmo­s­phä­ri­schen Psycho­thriller Tattoo einen sehens­werten deutschen Genrefilm zu einer Zeit geschaffen, in welcher der deutsche Genrefilm eigent­lich mausetot war. 2005 folgte mit dem soliden Main­stream-Thriller Flight­plan Schwendkes gelun­gener Einstand in Hollywood. Seither hat der gebürtige Schwabe dort fleißig weiter gefilmt und jetzt zerstört er in Die Bestim­mung – Insurgent ziemlich viele, ziemlich große Häusle. Roland Emmerich wird wahr­schein­lich allmäh­lich ein wenig unruhig. Der schwä­bi­sche – „Master of Desaster“ hatte sich in White House Down damit beschieden, nur das Kapitol und das Weiße Haus kaputt­zu­ma­chen.

Die Bestim­mung spielt in einem post­a­po­ka­lyp­ti­schen Chicago, in dem die Gesell­schaft zur Vermei­dung weiterer Zwis­tig­keiten in fünf Gruppen einge­teilt ist. Je nach persön­li­cher Veran­la­gung werden die ange­henden Bürger bei Erlangen ihrer Voll­jäh­rig­keit den kämp­fe­ri­schen Ferox, den selbst­losen Altruan, den klugen Ken, den gerechten Candor oder den fried­fer­tigen Amite zugeteilt. – In der Theorie klingt das viel­leicht vernünftig. Doch in der Praxis zeigt sich, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lassen. Sie sind die „Unbe­stimmten“ oder „Diver­genten“.

Und was nicht vorge­sehen ist, das darf nicht sein und muss deshalb weg. – So sieht es jeden­falls Jeanine Matthews (Kate Winslet), die Anfüh­rerin der Ken und die erste Frau im Staate. Sie hatte bereits in Die Bestim­mung – Divergent der diver­genten „Trix“ (Shailene Woodley) das Leben reichlich schwer gemacht, weshalb jene am Ende mit ihrem ebenfalls diver­genten Ferox-Freund „Four“ (Theo James) aus der Stadt geflüchtet war.

So setzt Insurgent im male­ri­schen Idyll der wie die Amish inmitten der Natur lebenden Amite ein. Aber auch dort wird es recht schnell unge­müt­lich, als die böse Matthews ihre Häscher auf große Diver­genten-Jagt schickt. Später bekommen Trix und Four Unter­s­tüt­zung von den Frak­ti­ons­losen – die jedoch irgendwie nicht divergent sind. Und irgend­wann zeigt sich auch noch, dass einige Diver­gente diver­genter als andere Diver­gente sind. Trix kommt hierbei auf eine Divergenz bzw. Unbe­stimmt­heit von satten einhun­dert Prozent. Jeanine Matthews will Trix deshalb für eine so geheime Sache einspannen, dass die Ken-Chefin selbst nicht weiß, was dabei heraus­kommen wird...

Soweit zur Inhalts­an­gabe. Frap­pie­rend ist erneut, dass nach Divergent auch Insurgent den Charme eines Baukas­ten­sys­tems verströmt, in dem selbst die Unordnung reichlich geordnet ist. Dies gipfelt in der Erkenntnis, dass erst eine hundert­pro­zen­tige Divergenz eine anstän­dige „Unbe­stimmt­heit“ ist. Das ist so, als würde man sagen, dass indi­vi­du­elle Ausprä­gungen und feine Zwischen­töne erwünscht sind, so lange sie sich nur in ein klares Schema pressen lassen. Dieses quadrat­köp­fige Denken nimmt dem Kino­gänger ein wenig die Freude an einem Werk, das vorgibt zu Unan­ge­passt­heit und zum Quer­denken aufrufen zu wollen.

Es erscheint fast so, als würde die Autorin Veronica Roth, welche vor dem Schreiben von „Die Bestim­mung“ in ihrer Heimat­stadt Chicago „Kreatives Schreiben“ studiert hat, selbst eher einer Fraktion, als den quer­den­kenden Diver­genten angehören. Dazu müsste man in den USA wahr­schein­lich zusät­z­lich ein Studium in „Kreatives Denken“ absol­vieren. In Insurgent sind alle Bauteile für einen inter­es­santen Fantasy-Jugend­film vorhanden, doch stört deren reichlich fanta­sie­lose Zusam­men­fü­gung. Der Film ist außerdem erneut ein Beispiel dafür, dass man Action und CGI über Handlung und Charak­tere gestellt hat. – So läuft die großar­tige Verei­ni­gung der reich­hal­tigen Eigen­schaften der fünf verschie­denen Frak­tionen mal wieder vorrangig auf ein groß in Szene gesetztes Geknüppel hinaus.

Und während Chicago als post­a­po­ka­lyp­ti­sche Metropole in großer Detail­ver­ses­sen­heit am Computer in zum Durch­fliegen geeig­neten 3D entstanden ist, bleiben die Charak­tere fast durch­ge­hend flach. Die einzige große Ausnahme stellt Shailene Woodley als Trix dar. Die junge Darstel­lerin besitzt außer ihren süßen Rehaugen auch ein beach­tens­wertes Schau­spiel­ta­lent. Bereits in der Jugend­romanze Das Schicksal ist ein mieser Verräter hatte Woodley als todkranke Krebs­pa­ti­entin bewiesen, dass sie eine eigent­lich zwangs­weise zu Untiefen des Kitsches verdammte Figur auf absolut authen­ti­sche und wirklich anrüh­rende Weise verkör­pern kann.

In Die Bestim­mung – Insurgent wird Shailene Woodley zum doppelten Rettungs­anker: einmal für die Mensch­heit und ein weiteres Mal für das Kino­pu­blikum. – Mag Trix im Film auch mit noch so wüsten Ansamm­lungen von Stumpf­sinn kämpfen, lassen ihre Rehaugen und ihr Charisma doch über so Manches gnädig hinweg­sehen.