Beau Is Afraid

USA/GB/FIN 2023 · 179 min. · FSK: ab 16
Regie: Ari Aster
Drehbuch:
Kamera: Pawel Pogorzelski
Darsteller: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Hayley Squires u.a.
Filmszene »Beau Is Afraid«
Die Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt usw.
(Foto: Leonine)

Pummeliger Pandabär auf Psychose

Ari Asters kafkaeske Innenansichten eines schwer psychotischen Menschen sind zwar tragikomisch, surreal, radikal und fantasievoll, aber auch genauso langweilig

»Too much of nothin ›can make a man feel ill at ease
One man‹s temper might rise, while the other man’s temper might freeze
In the days of long confes­sions, we can not mock a soul
When there’s too much of nothin', no one has control…«

– Bob Dylan, Too much of nothing

»Ich erwarte, dass ich nicht gelang­weilt werde. Das ist mein Haupt­ver­hältnis zur Literatur.«
– Marcel Reich-Ranicki (30.9.1988)

Nach seinen inno­va­tiven und von der Kritik gefei­erten Horror­stü­cken Hereditary (2018) und Midsommar (2019), die im Fahr­wasser einer neuen Welle ameri­ka­ni­schen Horrors wie Get Out, A Quiet Place und It Follows entstanden und über das eigent­liche Horror-Genre hinaus­ragten, weil sie für disso­zia­tiven Störungen, dysfunk­tio­nale Bezie­hungen und emotio­nale Brachen neue Bilder und Geschichten lieferten, war Asters neuer Film Beau Is Afraid im letzten Jahr einer der meist erwar­teten Filme, und auch wegen der zentralen, extrem singulär ange­legten Rolle von Joaquin Phoenix ein heißer Oscar-Kandidat.

Aber dem produ­zie­renden Ausnah­me­studio A24, das mit Asters beiden ersten Filme überaus erfolg­reich war und bereits die beiden dann auch ausge­zeich­neten Kandi­daten Ever­ything Ever­y­where All at Once und The Whale im Rennen hatte, wurde es anschei­nend doch ein wenig mulmig, als Aster eine drei­ein­halb­stün­dige Fassung vorlegte.

Am Ende sind es dann immer noch drei Stunden geworden. Und wäre es die Hälfte dieser drei Stunden, viel­leicht wäre Asters Intro­spek­tion des unter starken Psychosen und Angst­zu­ständen leidenden Beau Wasser­manns (Joaquin Phoenix), der sich aus seinem verwahr­losten New Yorker Appar­te­ment auf den Weg zum Begräbnis seiner wohl­ha­benden Mutter macht, viel­leicht also wäre dieser psycho-psyche­de­li­sche Road-Movie dann auch ein Film gewesen, der irgendwie irgendwo eine Resonanz erzeugt, die über das simple Staunen hinaus­geht.

Doch so sind es drei Stunden, in denen Aster einige seiner frühen Kurzfilme remixt und erweitert, um für Beaus Wahn­vor­stel­lungen und Ängste immer neue Kaskaden der Verstö­rung zu schaffen, die schon fast Guinness-Buch-der-Rekorde-Quali­täten und -Quan­ti­täten haben. Mal sind es Zombie-apoka­lyp­ti­sche Straßen­szenen, durch die sich Beau kämpfen muss, dann ein Mann an der Decke des Bade­zim­mers oder eine Frau, die ihn als Ersatz­sohn miss­braucht und immer wieder auch sehr private Erkennt­nisse, wie jene, dass Beaus Vater während des »Zeugungs­vor­gangs« auf Beaus Mutter gestorben ist, so wie auch sein Großvater auf seiner Groß­mutter. Immerhin nimmt Aster diesen Strang im letzten Teil des Films wieder auf und schafft daraus eine der viel­leicht fanta­sie­vollsten und bizarrsten Sexszenen der letzten Jahre.

Doch von diesen erzäh­le­ri­schen Wieder­auf­nahmen gibt es nur wenige, folgt Aster statt­dessen dem in Literatur und Film schon oft began­genen Weg des Stream of conscious­ness seines Helden, der über seine Reise den unter­schied­lichsten Reizen ausge­setzt ist und dementspre­chend darauf reagiert. Schon schnell wird dabei klar, dass Aster nicht an der »realen« Welt inter­es­siert ist, sondern sich ausschließ­lich für die Abbildung des Wahns inter­es­siert. Das ist wie Harry Potter ohne Muggels, es ist wie Sex ohne Berührung, so dass nach dem ersten Staunen über die kreative Fantasie von Aster schon schnell Ermüdung und dann auch Ärger eintritt.

Da hilft dann nicht einmal mehr der gebün­delte Mutter-Sohn-Terror oder abstruse Schwanz-Monster, und vor allem – und das ist viel­leicht am erstaun­lichsten – hilft auch Joaquin Phoenix nicht, der in so bril­lanten Rollen wir Inherent Vice, Joker oder Come on, Come on so komplex seine Rollen inter­pre­tierte. Hier spielt er einen selbst­mit­lei­digen, wehlei­digen, also kurzum dauer­lei­denden, von Medi­ka­menten aufge­dun­senen Helden, der in seiner tapsigen Art eher einem Pandabär auf Speed gleicht und sich wie die Light-Version von Aron­of­skys The Whale ausnimmt. Was Charlie sein Körper ist, ist Beau sein Hirn, doch erzählt Aronofsky neben dem ebenfalls breit ausge­stellten Leid weitere Geschichten, auch über die ameri­ka­ni­sche Gesell­schaft, und bietet immerhin so etwas wie eine Katharsis.

Davon ist Beau Is Afraid mit seinen drama­tur­gi­schen Rohr­kre­pie­rern weit entfernt, so dass am Ende das Nichts nur noch Chaos erzeugt. Für Freunde surrea­lis­ti­scher Sehn­suchts­orte und kafka­esker Kohä­renzen dürfte das dennoch gut funk­tio­nieren, allen anderen seien die ebenfalls knapp drei Stunden des abschließenden Teils von Guardians of the Galaxy empfohlen, in der ein Waschbär einen ganz ähnlichen Kampf mit seinen vermeint­li­chen Wahn­vor­stel­lungen ausficht, aber dem dann doch so etwas wie eine heilsame Erdung (und der bessere Film) gelingt.