USA 1999 · 93 min. · FSK: ab 16 Regie: Mike Barker Drehbuch: Ted Griffin Kamera: Ben Seresin Darsteller: Alessandro Nivola, Reese Witherspoon, Josh Brolin, Gene Wolande u.a. |
Wir sind wieder einmal eingeladen in eines dieser trostlosen kleinen Käffer mitten im großen amerikanischen Nirgendwo. Die Provinz als Wüstenblume, als böser Scherz des Zufalls. Das wahre Leben ist also anderswo und würde unser Städtchen nicht diesen schwül-erotischen Namen führen, keiner würde es vermissen, dieses bessere, aufregendere Leben, keiner würde von einer anderen Existenz überhaupt ahnen. Tropico heißt die Ortschaft hier, die der britische Regisseur Mike Barker seltsam unbevölkert lässt, eine tote Stadt. Die Räume, die er aufmacht, sind allein für das Kranke, das Verbrauchte, das Verlorene bestimmt: eine Müllverbrennungsanlage, eine Tierklinik, ein All-Night-Diner, eine Pfandleihe, eine Nobelvilla, deren Besitzer längst das Weite gesucht hat.
Nicks Vater war Geschichtsprofessor – auch eine Art, sich hinauszuträumen aus der Enge und Nick hofft jetzt nach dem Ableben des alten Herrn auf eine handfestere Fahrkarte in die große weite Welt. Aber der Termin beim Anwalt entpuppt sich als herbe Enttäuschung. Schulden haben das Erbe weggefressen und Nick wird wohl weiter sein Dasein fristen müssen als Angestellter im Müllrecycling. Sein alter Kumpel Bryce scheint es da besser getroffen zu haben: er hat den Job des housesitters sich ergattert und darf als solcher die Vorzüge der mit allem Schnickschnack ausgestatteten Villa genießen. Nach Einbruch der Dunkelheit sitzen sie beiden im städtischen Diner Tropico Nocturne und sinnieren über die verpassten aber immerhin denkbaren Möglichkeiten. Ende der 60er, erzählt Bryce, gab es ein beliebtes Partyspiel unter den Erwachsenen. Die Männer werfen ihre Autoschlüssel in eine Schüssel und die Frauen ziehen sich den Mann für die Nacht. Denk mal über die Möglichkeiten nach – unsere Väter sind vielleicht gar nicht wirklich unsere Väter (wie dieses Schlüsselspiel ausgesehen hat haben wir ja bei Ang Lee beobachten dürfen, in seinem Ice Storm).
Best Laid Plans ist (was freilich nicht das einzige, wohl aber ein nicht unerhebliches Qualitätskriterium ist) einer der unaufdringlich-intelligentesten Filme seit langem. Alessandro Nivola gibt den Nick mit jener Aura stoischer Ruhe, die immer schon hart an der Resignation entlangschrammt, was wir eigentlich so zuvor nur gesehen haben in den gefrorenen Gesichtszügen des allertraurigsten aller Hollywoodhelden, Sterling Hayden. Und wenn der nach einem Ausweg suchte aus der Tristesse der Städte, in Kubricks The Killing, in Hustons Asphalt Jungle, konnte ihm – Sklave des Kapitalismus – natürlich zunächst nur das Geld einfallen. Die Dollarnote als Fetisch der Freiheit, als großer Emanzipator. Mike Barker hat eine versteckt in der Luxusvilla, die Bryce gerade hütet, die von dem Liberator an sich unbezahlbar gemacht wurde: kein geringerer als Abraham Lincoln hat ein paar Worte gekritzelt auf eine solche Dollarnote. Ein unverkäufliches Sammlerstück – es sei denn man könnte den Diebstahl so arrangieren, dass keine Anzeige erstattet werden kann. Weil der Entdecker selbst bedroht ist, von einer Anzeige der Vergewaltigung zum Beispiel an einer Minderjährigen...
Verbrechen ist Big Business, reine Ökonomie, das haben die Amerikaner lang schon erkannt und immer wieder thematisiert seit die kleinen Cäsaren und die public enemies ihre bestens ausgeknobelten Pläne verfolgen auf der großen Leinwand, aber wenn jetzt hier der schwarze Bilderbuch-Gangster seinem Opfer Nick eine Vorlesung hält über die Gesetze der Marktwirtschaft, über die Wechselwirkung von Eigeninteresse und Wettbewerb und die Störfaktoren in dieser Gleichung ist das ein
derart bitterböses Vergnügen, wie es wohl nur der Schuss schwarzer englischer Humor zuwege bringen kann, den der Regisseur mitbringt.
Barker hat seinen finsteren Film in warme, schummerige Primärfarben gehüllt, rot und blau vor allem, die die Ausweglosigkeit der Helden beinahe zu verhöhnen scheinen. Auch eine ganz und gar amerikanische Geschichte dabei über den Klassenkampf in einer als klassenlos propagierten Gesellschaft, einmal zitiert Nick aus dem Great Gatsby
– »So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past« – jener großartigsten aller Parabeln über die Mitleidlosigkeit einer Gesellschaft der Self-made Men gegen eben diese. Der Erzähler bei Fitzgerald heißt übrigens auch Nick und diese Namensgleichheit ist mit Sicherheit kein Zufall in dieser bis ins Detail ausgetüfftelten Geschichte über die hochfliegenden Pläne und den unvermeidlichen Fall, der folgt aus ihnen, über die Bürde
der Vergangenheit – der jüngsten hier – in die sich auch die Helden des noir immer wieder verstrickten. »Du denkst immer nur ans Ficken«, wirft Nick seinem Kumpel Bryce einmal vor, als alles schon rasant abwärts geht, »aber darum geht es nicht in der Welt. Alles dreht sich um das Geld, um die Macht.« »Das ist die Perspektive eines Historikers,« entgegnet Bryce darauf lakonisch und denkt dabei bestimmt an Nicks geistiges Erbe, an den Vater, der mit etwas Fantasie
vielleicht gar nicht der Vater ist, sondern nur eine Figur in dem großen Schlüsselspiel, das Mike Barker hier angezettelt hat, »aber ich bin Literaturstudent und in der Literatur dreht sich eben alles um Sex, ums Ficken.« Zwei Welten also, auf den ersten Blick, aber alles hängt ja mit allem zusammen am Ende, in Tropico und in dem wahren Leben, anderswo.