USA 2012 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Benh Zeitlin Drehbuch: Lucy Alibar, Benh Zeitlin Kamera: Ben Richardson Darsteller: Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly, Lowell Landes, Pamela Harper u.a. |
||
Quvenzhané Wallis als Hushpuppy: großartig und entzückend, altklug und manchmal nervtötend |
Es regnet und regnet. Nein, eigentlich gießt es wie aus Fässern – eine Sintflut, die die Erde, genauer gesagt das, was hier noch von ihr übrig ist, in eine Schlammgrube verwandelt. Die Menschen, die fliehen können, machen sich davon mit ihrem wenigen Hab und Gut, das oft genug in einer Plastiktüte Platz hat, einem schmuddeligen Rucksack, einem Metallkarren. Auch die Tiere fliehen, schreien aus Panik. Wer dableibt, Mensch wie Tier, ist den Elementen willkürlich ausgesetzt, und rückt zusammen. Der Wasserspiegel steigt sekündlich, der Sturm ist da und reißt den Menschen die Mützen vom Kopf. Schon zuvor hat es unheildräuend Warnsignale gegeben, Merkwürdigkeiten, Zeichen, und eine Explosion in der Küche in deren Folge ein Feuer das Heim von Hushpuppy in Flammen hat aufgehen lassen – Hushpuppy so heißt die seltsame Hauptfigur dieses überaus seltsamen Films.
Weltende, Untergang, keine Frage. Pünktlich zum Tag, der im Mayakalender verzeichneten Apokalypse kommt dieser Film ins Kino, der ein bisschen wie ein Trashversion der biblischen Geschichten von Sodom und Gomorrah, von der Sintflut und der Arche Noah auf der Mensch und Tier sich versöhnen, wirkt. Biblisch, aber auf Acid.
Dies ist, ohne Frage, einer der interessantesten Filme des Jahres. Ungewöhnlich, irritierend, verstörend. Sehr merkwürdig.
Beasts of the Southern Wild, der im Januar in Sundance, dem amerikanischen Festival des Independent-Films, zuerst lief und den Hauptpreis bekam. Der dann seine internationale Premiere in Cannes hatte, in der Reihe »Un certain regard« und dort prompt die »Camera d’Or« gewann, erzählt von einem Kind: Hushpuppy, die Hauptfigur und Erzählerin dieses Films, ist ein siebenjähriges farbiges Mädchen, das ohne Mutter, allein mit seinem Vater in einem riesigen illegalen Obdachlosen-Slum lebt, einer Siedlung im Delta des Mississippi von Louisiana.
Dies ist eine Welt für sich mit Zügen eines irdischen Paradieses, aber auch denen einer Hölle auf Erden. Die Menschen hier leben im Müll, aus Überresten der Zivilisation zusammengesammelt haben, und überaus kreativ verwenden. Ein bisschen sieht das so aus, wie in jenen »postapokalyptischen« Spielfilmen, die ob sie nun Mad Max heißen oder Waterworld, von Menschen erzählen, die nach dem Zusammenbruch der Zivilisation, in deren Überresten überleben.
Mit großen Kinderaugen blickt Hushpuppy in seine Welt, die es sich mit intuitivem Wissen um dessen harte Tatsachen, mit viel Phantasie und zugleich kindlicher Naivität zu einem magischen Kosmos ordnet, einem märchenhaften Raum, in dem Tiere sprechen können, Objekte beseelt sind, in dem alles mit allem verbunden ist, und einen höheren Sinn hat, aber auch dem sicheren Untergang geweiht ist.
Hushpuppy beobachtet klug und mit einer Weisheit, wie sie nur Kinder haben können. Sie zeigt uns ihre Welt, die sich von der Eiszeit und den Höhlenmenschen bis in die ferne Zukunft erstreckt, die mythisch aufgeladen ist, in der man riesigen Auerochsen begegnet, den Biestern des Titels, die vom Südpol bis zu Hudhpuppys Heim wandern.
Dies ist also fraglos einer der interessantesten Filme des Jahres. Aber ist es auch wirklich ein guter Film? Man kann all dies bezaubernd finden, man wird aber auch zugeben müssen, dass man sich hier an einem Elend ergötzt, das reichlich pittoresk, und in allem Ekel, allen seinen abstoßenden Zügen alles in allem überaus idyllisch gezeichnet ist. Das Glück der Armen.
Beasts of the Southern Wild zeigt Underdogs, white Trash und arme Schwarze, an deren Lage sich auch im Obama-Amerika nichts zum Besseren geändert hat, der Film bietet eine Verarbeitung der Katrina-Hurrikan-Katastrophe und lässt sich sicher auch als ein Fanal verstehen, dass uns die Folgen eines möglichen Klimawandels konkret vor Augen führt.
Zugleich aber ist dem Film an Analyse und Nachdenken, an Innehalten nicht gelegen. Indem er aus niedlichster Kinderperspektive erzählt, und seine pittoresken Bilder mit permanenter Musiksoße übergießt, arbeitet Beasts of the Southern Wild selbst an der Wiederverzauberung der Welt. Der sogenannte »magische Realismus« ist nämlich, wenn man etwas genauer hinblickt, und seinen Denken nicht ausschaltet, weder magisch, noch real. Er verlangt Unterwerfung, die Bereitschaft, sich einlullen zu lassen und verzaubern werden zu wollen.
Quvenzhané Wallis, die siebenjährige Hauptdarstellerin, ist großartig und entzückend. Aber man muss deshalb ihre Figur Hushpuppy nicht selbst immer weise und entzückend finden, man kann sie auch als altklug und manchmal nervtötend und jedenfalls immer ausgedacht ansehen.
Es bleibt das Staunen über diese Welt, die Bilder voller Phantastik erzeugt, die man, ob sie nun gefunden sind oder gemacht, so noch nie gesehen hat.
Es bleibt der Respekt vor einem Debüt-Film, den ohne Frage einen Hauch von Exploitation durchzieht, von berechnendem Ausstellen seiner Menschen und ihres Elends, von konsumierbarer Zubereitung des Schwer-Erträglichen, und der dann doch eine Faszination ausstrahlt, der man sich nicht leicht entziehen kann, und der – nicht
zuletzt – Bilder zeigt, die man so schnell nicht mehr vergisst.