Italien/Deutschland 2010 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Philipp J. Pamer Drehbuch: Philipp J. Pamer Kamera: Namche Okon Darsteller: Inga Birkenfeld, Wolfgang Menardi, Anton Algrang, Verena Plangger, Jutta Speidel u.a. |
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Mach einen Abgang! |
Vorbemerkung: Ich bitte ausdrücklich um Beachtung der Nachbemerkung im Anschluss an diese Kritik!
Aaah – in der Morgenluft im Nachthemd mit beiden Füßen genussvoll in einen frischen Kuhfladen steigen, die Exremente warm und weich durch die Zehenzwischenräume quellen lassen, ihren Geruch einschnaufen: Ja, da weiß man, dass man lebt! Ja, das geht uns intellektuellen Stadtmenschen einfach ab! Und so ist es nur recht und billig, dass in Bergblut dazu ein elegisches Sopransolo anhebt und dieser Moment die Montage eröffnet, in der die Städterin Katharina endlich ankommt auf dem Land, in den Bergen. Sie lernt das Melken und das richtige Kartoffelschneiden (»Zack. Zack-zack!«) und das Aufstehen vor Sonnenaufgang und überhaupt all das, was einem die überfeinerten Seidenschal-Flausen aus dem zwar wohlmeinenden, aber verwichlichten Bürgerinnenhirn treibt.
Wobei der Bayerin, die nach »Tyrol« (der Film liebt’s archaisch) auf einen Bergbauernhof heiratet, ihre Bildung schon noch zu Nutzen sein wird: Denn es herrscht Krieg 1809, und da kann man Medizinerinnen brauchen. Bergblut (und Boden) ist nicht einfach ein Heimatfilm – es ist dezidiert ein Heimatfrontfilm. Und seine Vorbilder sind keineswegs die naturidyllischen Förster vom Silberwald-Streifen der ‘50er und ‘60er – es sind die nationalbewegten Schlacht-um-die-Heimat-Epen der ‘30er und ‘40er.
Wobei schwer einzuschätzen ist, inwieweit bei Regisseur Philipp Pamer da wirklich politische Überzeugungen mitspielen – oder schlicht grenzenlose Naivität. Denn zunächst einmal hat in ihm der Vilsmaier Sepp seinen legitimen Erben gefunden: Seine Dramaturgie folgt dem Prinzip »Viel hilft viel« – mit der Finesse von Nachmittagsfernsehen und dem Aufwandsgehubere typischer HFF-Absolventen. Da muss ganz oft mit dem Hubschrauber übers Bergpanorama gebraust werden, weil’s gar so schön ist, und wenn die Katharina ihren Franz nach der Schlacht wieder in die Arme schließt, dann geht das nicht ohne den alten Michael-Ballhaus-Gedächtnis-»Fahr-nochmal-rum!«-Kamerakreisel. Wenn die Tyroler siegen, dann flattern die Fahnen stramm und fröhlich im Wind – und wenn sie verlieren, dann lassen sie traurig ihre Flaggenzipfel hängen, während auf dem Soundtrack eine Oboe greint. Denn nichts in diesem Film kann plakativ und kitschig genug sein, dass nicht Sami Hammis Musik noch eine Extrakelle Schmalz drübergießen könnte.
Und so mag’s gut sein, dass Pamer aufgrund seines Themas sich halt einfach nur Filme wie Der Judas von Tirol angeschaut hat, ohne sich bei deren Imitation viel zu denken. Aber das ändert nichts daran, dass er dabei ohne ein Fünkchen Brechung die übelsten Mechanismen etlicher nationalistischer Propagandafilme kopiert: Die aufwühlende Darstellung der Bestialität und Dummheit der »ausländischen« Besatzer; das aufrecht-natürliche Nationalempfinden der leidensfähigen, heldenhaften Einheimischen. Die Widerwärtigkeit der Verräter in den eigenen Reihen. Und die Opferbereitschaft für ihren Anführer. Und sage jetzt keiner: Ja aber es endet doch tragisch! Denn der Märtyrertod besonders des vermeintlichen nationalen Heilsbringers gehört ja exakt zum Standardinventar faschistoider Erzählungen.
Diese Führerfigur ist hier Andreas Hofer – ganz so gezeichnet, wie ihn deutschnationale Kreise ab Mitte des 19. Jahrhunderts mystifizierten, und kein Einzelbild lang historisch hinterfragt. Was aber insofern nicht so schlimm ist, weil man sich bei seinen Auftritten in (Kol)Bergblut trotzdem eher wundert, warum denn alle so voller Jubel sind für den Räuber Hotzenplotz.
Und freilich: Unser historischer Kontext ist ein anderer, anti-französische und anti-bayrische Agitation dürfte heute kaum konkretere Wirkung aufs realpolitische Empfinden des Publikums haben als in den USA die Anti-England-Hetze von Emmerichs (in manchem sehr vergleichbaren) Der Patriot. Aber so ein freischwebender, unspezifischer Nationalismus hat in gewisser Weise etwas noch Beängstigenderes, weil er wirkt wie ein schlafender Erreger, der sich durch die Winde treiben lässt, bis er irgendwo einen Wirt findet, in dem er wieder virulent werden kann. Und so oder so ist er, egal wie harmlos, einfach emotional wie ästhetisch schlicht zum Kotzen.
Man müsste sich ernsthaft darüber Sorgen machen, was heutzutage wieder geht und wieder ankommt angesichts der Tatsache, dass dieser Film auf dem Münchner Filmfest den Publikumspreis verliehen bekam – wäre nicht der starke Verdacht, dass es dabei keineswegs mit (im doppelten Sinne) rechten Dingen zuging. Es gab nur eine einzige Vorführung dieses Films, im rund 500 Menschen fassenden Carl-Orff-Saal, darunter einiges an geladenen Gästen. Für einen fairen Sieg hätten so ziemlich alle anwesenden regulären Zuschauer ausgerechnet Bergblut zu ihrem absoluten Lieblingsfilm des kompletten Festivals erklären müssen. Und da drängt sich schon der Verdacht auf, dass (vermutlich nicht zum ersten Mal) schlicht jener Film siegte, dessen Team selbst am dreistesten die frei am BR-Stand ausliegenden Stimmkarten gebunkert und ausgefüllt hat.
Aufgrund dieses zum Filmfest München 2010 erschienenen Textes hat Philipp J. Pamer, der Regisseur von Bergblut, mich kontaktiert und um ein Treffen gebeten. Und zwar erstaunlicherweise nicht im Morgengrauen mit Säbeln und Sekundanten. Sondern zum klärenden Gespräch. Das erfordert durchaus Größe – und wenn dieses Gespräch auch wohl unsere grundsätzlichen Positionen unverändert ließ, so hat es doch, denke ich, mehr Verständnis für die Position des
jeweils anderen gebracht. Was ja eines der hehrsten Ziele des freien Meinungsaustausches ist.
Nun halte ich nichts davon, die Impermanenz des Internets zu nutzen, um klammheimlich Texte verschwinden oder mutieren zu lassen. Quod scripsi, scripsi. Und ich stehe nach wie vor zu der Kritik als authentische, ehrliche und spontane Reaktion auf mein erstes Sehen des Films.
Aber die Fairness gebietet, einige der in der Hitze der Entrüstung geschriebenen Aussagen zu differenzieren,
qualifizieren und stellenweise auch zu revidieren.
Das Wichtigste zuerst: Philipp Pamer konnte jeden Verdacht ausräumen, selbst irgendwelchen undemokratischen Gesinnungen oder Umtrieben anzuhängen. Mit Nationalismus oder gar Faschismus hat er persönlich wirklich nichts am Hut. Und es war auch entschieden nie seine Absicht, seinem Film einen Drall in diese Richtung zu geben.
Ebenso glaubhaft konnte Pamer mir versichern, dass er keinerlei Versuche unternommen hat, die Abstimmung zum Publikumspreis beim Münchner Filmfest zu
seinen Gunsten zu beeinflussen. Ich entschuldige mich hiermit für meinen (im Gegensatz zu gewissen früheren Jahren und Gewinnern) unberechtigten Verdacht.
(Es sei mir gestattet, das Ergebnis der Abstimmung dennoch unverständlich zu finden – das aber nun definitiv dem Massengeschmack anzulasten.)
Ich möchte diese Gelegenheit aber auch nutzen, um noch einmal – mit dem gewonnenen Abstand, kühler und weniger polemisch – zu fassen versuchen, was mich an Bergblut so stört.
Im Verlauf des Gesprächs mit Philipp Pamer ist mir bewusst geworden, dass mein Problem mit dem Film tatsächlich zuallererst ein ästhetisches ist: Der junge Regisseur wollte hier, wo er sich zum ersten Mal an ein so großes Thema und eine so große Produktion gewagt hat, auch
großes, massenwirksames Gefühlskino machen. Und ist dabei in meinen Augen genau da gelandet, wo’s mir generell graust: Bei jener permanent Emotion heischenden und hubernden Plattheit, wie sie auch einen Joseph Vilsmaier oder Sönke Wortmann für mich zu cineastischen Hassfiguren macht. Je mehr diese Art Filme versuchen, mir permanent Gefühle abzupressen, je weniger fühle ich – außer mich belästigt. Weil da für mich jene Nuancen, jene Vielschichtigkeiten, jene
Wahrhaftigkeit und Atemfreiheit abhanden kommen, die mich eine filmische Welt erst als etwas empfinden lassen, das nicht nur ein kalkulierter, kitschiger, verlogener Mechanismus ist.
Soweit ist’s vor allem Geschmackssache. Aber nun kommt das bei Bergblut nolens volens ja auch mit einem historisch und politisch enorm aufgeladenen Stoff einher. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies die Sache vollends problematisch macht. Denn aufgewiegelte Emotion ist in politischen Belangen generell der schlechteste Berater.
Im Gespräch erweist sich Pamer viel reflektierter, als sein Film vermuten ließe, und er scheint einiges an
Überlegungen investiert zu haben, die so im fertigen Film nicht erkennbar angekommen sind. Wohl eben, weil Bergblut nur übers Gefühl argumentiert, und sein filmischer Stil keine abwägende, ambivalente Distanz kennt, sondern die Kamera immer Partei ergreift.
Der Tiroler Volksaufstand von 1809 war aber nunmal eine durchaus zweischneidige Angelegenheit. Er war eben nicht nur edler Kampf um die Heimat gegen böse Besatzer. Er war auch Widerstand
religiöser, chauvinistischer Fundamentalisten gegen die Aufklärung.
Pamer weiß das, aber sein Film will davon nichts wissen. Weil, wie gesagt, seine »Logik«, seine Motivationen alle aus dem Bauch zu kommen haben und für Komplexität kein Raum ist. Da sind bayerische und französische Soldaten eben fies zu Bettlern, bringen (und sei’s auch aus Versehen) ungeborene Kinder und wehrlose Alte um.
Und da repliziert Bergblut eben (ich kann nun
sagen: ohne es zu wollen) eine ganze Lehrbuch-Checkliste an Propagandafilm-Topoi und Klischees. Da flattert dann eben mal siegreich, mal traurig die Fahne in Großaufnahme; da findet die Frau ihre Bestimmung als Lazarett-Krankenschwester (schlag nach bei Theweleit...); da sind Offiziere auch beim Feind ehrbare Menschen; da gibt’s den zwischenzeitlichen Zweifel am Sinn des Kampfs und dem Vermögen des Anführers; da gibt’s den Opfertod für die Heimat und die weinende Mutter
daheim; etc., etc.
Es scheint sich in Bergblut manches gegen Pamers Intention verselbständigt zu haben; vielleicht aus mangelndem Bewusstsein für gewisse Ikonografien und ungute Traditionen, vielleicht wegen eines speziellen (südtiroler) Blickwinkels, der Lesarten sieht, die unter anderen Voraussetzungen entschieden nicht die naheliegendsten sind.
Nehmen wir als Beispiel nur einmal die Figur des Andreas Hofer in dem Film: Pamer behauptet, er habe sie durchaus brüchig, nicht als Held sondern als kleinen Wirt und höchst zweifelhaften Anführer zeichnen wollen. Davon spürt man im Film aber wenig – und wenn, dann wirkt es nur wie unfreiwillige Komik. Weil strukturell nichts in Bergblut Zweifel daran aufkommen lässt, dass man es hier mit der Heilsfigur der Widerstandskämpfer zu tun hat. Und sollte man doch je solche Zweifel hegen, dann scheint doch spätestens die Inszenierung von Hofers Tod zu beweisen, dass sie nicht beabsichtigt waren. Denn das ist filmisch einfach die reinste Märtyrerverklärung. Pamers Einwände wären: Historisch ist es belegt, dass Hofer erst nach mehreren Salven sterben wollte. Und das später zur Vergrößerung des Mythos hinzugedichtete »Franzosen, was schießt ihr schlecht!« betont hier immerhin, dass Hofers Henker nicht die Italiener waren, gegen die sich ja heute vor allem der Zorn südtiroler Nationalisten wendet. Aber diese Einwände ignorieren schlicht, was an dieser Stelle durch die Inszenierung emotional passiert: Hofer erscheint als überlebensgroße Figur, als eindeutiger Held noch im Tod. Kamera, Schnitt, Musik arbeiten allesamt auf extreme Überhöhung hin und lassen keine andere Deutung zu, als dass man hier allein und zutiefst mit Hofer mitzufühlen hat, und dass man große Ehrfurcht vor ihm haben soll. So sterben Nationalhelden in totalitären Propagandafilmen, punktum.
Dabei glaube ich es Pamer persönlich durchaus, dass das nicht seine Absicht war. Er wollte einen Film der Versöhnung und betont, dass ja partout die Protagonistin eine Bayerin, sozusagen eine »Feindin« ist. Aber damit ist nicht automatisch unproblematisch geworden, wie Bergblut mit den Konzepten des »Fremden« und des »Heimischen« umgeht. Man kann den Film auf gewisser Ebene auch lesen als die Geschichte quasi der Annektierung dieser Frau, dieses weiblichen Körpers. Und ich behaupte: Es ist nicht zufällig, beliebig, dass die Konstellation so ist, wie sie ist. Der Film hätte nie so funktioniert, wenn eine Tirolerin einen bayerischen Mann mit in die Heimat geholt hätte.
Ist Bergblut also ein Propagandafilm? Nein! Dazu fehlt ihm schon das grundlegendste Merkmal: Eine klare, vorformulierte Aussage- und Wirkungsabsicht mit Propagandazwecken. Und es fehlt ihm auch der Kontext.
Aber es gibt eben gewisse Muster, gewisse Wirkungsweisen, die Bergblut (einmal mehr: offenbar unabsichtlich) mit Propagandafilmen klar teilt. Das ist, wie in der Kritik gesagt, frei flottierend. Und ich glaube, wenn
ich mein Unbehagen bei diesem Film letztendlich dingfest machen sollte, dann ist es gar nicht konkret wegen einer politischen Aussage oder Richtung. Sondern dann ist es eine allergische Reaktion gegen die Mechanismen an sich. Gegen die Verquickung von aufgepeitschter Emotion und politischen Themen – und das Gefühl, dass zuviele Leute jederzeit bereit sind, darauf anzuspringen. Dass das Kino hier sehr schnell sehr dumpfe, dunkle Schichten im Publikum ansprechen kann.
Soweit zum wirklichen Unbehagen – mein grundsätzliches Missfallen an dem Film freilich ist, wie gesagt, schlichtweg ästhetisch bedingt. Weil ich Bergblut, von allem Inhaltlichen abgesehen, schlimm plump und mit dem Holzhammer gezimmert finde, stets ungleich näher an ARD-Film-Schmonz und unfreiwilliger Komik als an gelungenem Emotionskino nach klassischer Hollywood-Prägung.
Wobei da einerseits Pamers Jugend eine Rolle spielen mag – man
ihm andererseits aber auch nicht die volle Verantwortung dafür anlasten sollte. Denn hier sei noch einmal betont, was in der Kritik oben schon anklang: Alles, was in Konzeption oder anfänglicher Ausführung vielleicht noch da gewesen sein mag an Zwischentönen, Nuancen, Brüchen, Kanten, hat keine Chance gegen die fatale Filmmusik. Die stürzt sich permanent auf die offensichtlichste, platteste, klischeehafteste Emotion einer Szene, um sie plärrend zu verdoppeln und verstärken und
als einzige in den Kopf zu klopfen. Sie nimmt dem Film jegliche Reste von Freiheit und Feinheit. Und schubst vermutlich nicht wenige Momente in den Abgrund des Kitsches, die mit einem subtileren Soundtrack grade noch an der Kante balanciert hätten.
So wie die Fairness den Versuch geboten hat, meine Kritik noch einmal sachlicher und differenzierter zu fassen, gebietet die Ehrlichkeit die Bekräftigung, dass ich persönlich den Film nach wie vor eine Zumutung finde. Philipp J. Pamer aber (der als Mensch den Anschein macht, dass er eigentlich Besseres verdient hätte) sei zum Trost gesagt, dass dies sich in der Vergangenheit schon öfter nicht nur keineswegs als Hindernis, sondern geradezu Voraussetzung erwiesen hat für hohe Zuschauerzahlen.