USA 2018 · 121 min. · FSK: ab 0 Regie: Mimi Leder Drehbuch: Daniel Stiepleman Kamera: Michael Grady Darsteller: Felicity Jones, Armie Hammer, Justin Theroux, Sam Waterston, Kathy Bates u.a. |
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Frauen, ran an die Mikrophone! |
»Das Gesetz kann nicht geändert werden, solange die Welt noch nicht bereit ist.« – Die Berufung
Als Ruth Bader Ginsburg Anfang der 50er Jahre ihr Jurastudium an der Harvard-Universität antritt, ist sie eine von gerade einmal neun Frauen ihres Studiengangs. Umringt von einem Heer aus Männern betritt sie mit Faszination im Blick das Gebäude. Diese erste Szene wirkt nicht zuletzt durch die laute, mit Trommeln verstärkte Musik, äußerst imposant. Der Kontrast zwischen der kleinen, dadurch sehr feminin wirkenden, von Felicity Jones (bekannt aus Die Entdeckung der Unendlichkeit) verkörperten Ruth und ihren großgewachsenen, männlichen Kommilitonen mit ihren Aktentaschen zieht sich durch den kompletten Film und bereitet nicht gerade subtil auf das Konfliktthema des Filmes vor.
Während einer Zeit, in der es als Privileg gilt, als Frau studieren zu dürfen, absolviert Ruth ihr Studium als Beste ihres Jahrgangs und schafft es entgegen der gesellschaftlichen Erwartung, sowohl eine Familie zu gründen als auch ihren an Krebs erkrankten Mann zu unterstützen. Der auf der Biografie der Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg basierende Film zeigt ihren Weg und ihren Kampf gegen die damals vorherrschende Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau. Von Anfang an beschäftigt sie sich mit der unterschiedlichen Behandlung von Männern und Frauen vor dem Gesetz. Jedoch gibt ihr erst ihre Tochter Mitte der 60er, einer Zeit, in der die Frauen auf die Straße gehen und für ihre Rechte einstehen, den entscheidenden Anstoß, eine Änderung herbeizuführen, dies mit den Mitteln der Jusitz: Sie schafft einen Präzedenzfall der Geschlechterdiskriminierung und verändert darüber die Rechtsprechung. Die Hindernisse, die den Menschen durch die Geschlechterrolleneinteilung in den Weg gelegt werden, sind das große Thema des Justizdramas, das den Genderdiskurs der Zeit in seinen Grundfesten aufgreift.
Obwohl die von Ruth geführte Verhandlung vor dem Verfassungsgericht der Vereinigten Staaten den Höhepunkt des Films bildet, stellt der Film die juristischen Grundlagen nicht im Detail dar. Vielmehr rückt Regisseurin Mimi Leder das Privatleben der Juristin in den Fokus, wodurch das Politische wiederum in den Hintergrund tritt. Neben dem öffentlichen Kampf um Frauenrechte zeigen viele Szenen das Familienleben der Ginsburgs, die eine für damalige Verhältnisse äußerst fortschrittliche Beziehung offenbaren. Beide gehen arbeiten, kochen, putzen und erziehen die Kinder gleichermaßen. Der Neffe von Ruth Ginsberg, Daniel Stiepleman, hat das Drehbuch geschrieben, das diese Momente betont und die harmonische Beziehung, in der beide Partner gleichgestellt sind und Ruth von ihrem Mann unterstützt wird, herausstellt. Auch wenn dies, durch das Wissen um die damalige Rollenverteilung, zunächst propagierend aufgefasst werden könnte, werden hier wohl wahre Begebenheiten auf authentische Weise wiedergeben, wie sie die echte Ruth Ginsburg in dem 2018 erschienenen Dokumentarfilm RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit schildert. Die Darstellung der Familie legt natürlich auch nah, dass Stiepleman seiner Tante mit dem Film ein warm-emotionales Denkmal setzten will.
Der Film baut durch die familiäre Atmosphäre eine große Nähe zu den Figuren auf. Dadurch entsteht eine hochemotionale Geschichte, die an das Gerechtigkeitsempfinden in uns allen appelliert. Bei aller Historie, die der Film uns beiläufig als Crash-Kurs in Sachen Frauenrecht präsentiert, ist Die Berufung auch hochaktuell. Gerade in unserer Zeit, in der die Gesellschaft den Genderdiskurs in neuer Form aufleben lässt, macht er sichtbar, welch weiten Weg wir seit den 1950er/60er Jahren zurückgelegt haben. Gleichzeitig macht er auch deutlich, dass die Geschlechterdiskriminierung als ein ernstzunehmendes Problem mit existenzeinschränkenden, gar existenzbedrohenden Ausmaßen begonnen hatte, aus dem sich eine ganze Protestbewegung entwickelte. Vor diesem Hintergrund erscheinen die heutigen Debatten über das richtige Gendern geradezu kleinlich.
Die Handlung des Films erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte, bleibt jedoch trotz großer Zeitsprünge klar strukturiert und nachvollziehbar, womit sie dem langen Weg und den damit verbundenen Hindernissen von Ruth den ihr gebührenden Respekt in einem so großen Ausmaß erweist, wie es in einem knapp zweistündigen Film nur möglich ist. Die Berufung zeigt die Bemühungen, einen neuen Präzedenzfall der Geschlechterdiskriminierung im Gesetz zu schaffen, und wie Ruth damit einen Meilenstein in der Geschichte setzen konnte und zur Ikone der amerikanischen Frauenrechtsbewegung wurde. Der Film überzeugt durch aussagekräftige Reden, die dramaturgisch stark in Szene gesetzt sind, was alles in allem in einem packenden und nachdenklich stimmenden Film resultiert.
Am Anfang eine junge Frau auf den ausladenden Stufen einer Universität, die inmitten der vielen Männer aussieht, als hätte sie sich verlaufen und würde nicht dazugehören. Wir befinden uns in den Vereinigten Staaten von Amerika in den 1950er Jahren. Frauen und Männer sind zwar in der Theorie gleichgestellt, doch es gibt immer noch zahlreiche Bereiche, in welchen Frauen nicht tätig sein sollten und sich den Rechten der Männer unterordnen müssen. So dürfen sie beispielsweise keine Richterin werden. Genau dieser Thematik, der Ungleichheit in der Berufsergreifung, widmet sich das Drama Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit der US-amerikanischen Regisseurin Mimi Leder.
Es ist das Jahr 1956, seit sechs Jahren dürfen an der amerikanischen Elite-Universität Harvard auch Frauen Jura studieren. Dennoch scheint dies immer noch nicht in der Gesellschaft angekommen zu sein, es ist faktisch unmöglich, einen Beruf im öffentlichen Leben zu ergreifen. Ruth Bader Ginsberg, gespielt von Felicity Jones, möchte die Bedingungen so nicht hinnehmen. Ihr Jurastudium schließt sie als Jahrgangsbeste ab, muss sich danach mit einer Stelle in der Lehre zufriedenstellen. Dann kommt ihr ein Präzedenzfall in die Finger, der das grundlegend ändert. Durch ihren Mann Marty (Armie Hammer) wird sie auf den Fall von Charles Moritz aufmerksam, der sich um seine kranke Mutter kümmert, allerdings wegen seines Geschlechts nicht den eigentlich üblichen Steuernachlass erhält. Ruth sieht darin einen Fall von Geschlechtsdiskriminierung, dem sich erstmals nicht die Gerichte verschließen werden, so ihre Meinung. Schließlich ist der Benachteiligte hier ein Mann. Dies könnte den Weg zur Abschaffung der bisher bestehenden Geschlechterdiskriminierung bereiten. Sie benutzt die Benachteiligung des Mannes also als Anstoß, auf indirekte Weise die Ungleichheit von Frauen vor dem Gesetz an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein Thema, das bis dahin auf taube Ohren stieß.
Die Thematik wird von hoher Realitätsnähe getragen, was diesen Film einem nah gehen lässt. Der Mut, die bekannte Richterin Ruth Bader Ginsburg, mit 85 Jahren heute noch besitzende Richterin am Supreme Court, hier so banal zu zeigen, lässt darauf schließen, wie wichtig es der Regisseurin ist, dem biographischen Wesen aus Fleisch und Blut gerecht zu werden. Sie strahlt etwas von der aufrichtigen und braven Angepasstheit der 1950er Jahre aus. Gleichzeitig stellt Ruth Bader Ginsburg eine ausdrucksstarke Persönlichkeit dar, sie brennt für das Jurastudium.
Das Drehbuch des Spielfilms stammt von Ginsburgs Neffe Daniel Stiepleman. In vielen Gesprächen, die der Vorbereitung auf den Film dienten, hat ihn seine Tante oftmals darauf hingewiesen, dass sie Wert auf korrekte Darstellung der juristischen Inhalte legt. Der Prozess sollte im Mittelpunkt des spannenden Films stehen. Die Rede, mit der Ruth die drei männlichen Richter überzeugen will, ist so auch der Höhepunkt eines nervenaufreibenden Gerichtsprozesses, in dem der gesellschaftliche Wandel endlich auch zu einer Änderung der veralteten Gesetze führt. So wird der Film zum überzeugenden Gerichtsdrama und beinhaltet zugleich doch so viel mehr. Er zeigt nämlich, wie ein allgemeiner Bewusstseinswandel ganz praktisch initiiert wird, von einzelnen Personen, die sich gerade mit einem sehr widerstrebenden, sehr konträren Umfeld herumschlagen. Und genau so wird es in dem Film auch umgesetzt.
Zu guter Letzt wird die wahre Ruth Bader Ginsburg gezeigt und ein kurzer Einblick in die Gegenwart gegeben. Die Berufung ist eine spannende, sehr gut erzählte Geschichtsstunde, die einen Einblick in das Leben von Frauenrechtlerinnen gibt, die für die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in Amerika kämpften und dies auch heute noch tun.
Anlässlich Ruth Bader Ginsburgs fünfundzwanzigstem Jahr als Richterin des Obersten Gerichtshofs in den Vereinigten Staaten kommt nach der Dokumentation RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit jetzt auch ein Spielfilm in die Kinos: Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit. Für eine Frau, die ihr gesamtes Leben für die Gleichberechtigung von Mann und Frau kämpft, scheint dieser Film jedoch nicht gerade angemessen aufgesetzt zu sein.
Trotz seiner inspirierenden und bewegenden Faktoren, gibt es einige Szenen, die starke Parallelen zur Komödie Natürlich blond! aufweisen, in der Reese Witherspoon die Jurastudentin Elle Woods verkörpert, die bei einem Mordfall assistieren darf und schließlich den Fall zusammen mit dem Juristen Emmett übernimmt. Ähnlich verhält es sich in Die Berufung. Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) hat gegen Ende des Films endlich die Möglichkeit, ihren Fall vor Gericht zu präsentieren – zusammen mit ihrem erfolgreichen Mann. Während Marty Ginsburg (Armie Hammer) seinen Teil scheinbar mühelos vorträgt, kommt sie ins Stottern und ist kurz davor, ihm den gesamten Fall zu überlassen. Als sie jedoch einen Anhaltspunkt findet, blüht sie auf und gewinnt schließlich das Verfahren. In Natürlich blond! verläuft die Situation beinahe genauso – Emmett legt eine grandiose Vorlage dar, doch als Elle an der Reihe ist, scheint sie hilflos, bis sie herausfindet, dass die angebliche Affäre der Angeklagten schwul ist und das Alibi der Tochter ihre frische Dauerwelle ruiniert hätte. Durch diese inszenatorische Parallele wird die Glaubhaftigkeit und Ernsthaftigkeit des Themas deutlich geschwächt.
Abgesehen von diesen Ähnlichkeiten, in denen der Film einer gewissen US-amerikanischen Mainstream-Dramaturgie folgt, zeigt Die Berufung die jedoch insgesamt bewegende Geschichte der inspirierenden Juristin Ginsburg, die es als Frau in einer männlich-dominierten Welt bis ganz nach oben geschafft hat und bis heute für die Gleichberechtigung der Geschlechter kämpft. Der Film konzentriert sich auf ihre frühen Jahre, ihr Studium, begleitet von familiären und gesundheitlichen Problemen und ihren ersten Durchbruch mit dem Fall »Moritz«, der als männlicher Pfleger für seine Mutter nicht die gleichen (Steuer-) Vorteile hat wie eine weibliche Pflegerin. Diese einmalige Situation der Diskriminierung gegen einen Mann gibt Ruth Ginsburg die Möglichkeit, auf alle 178 Gesetze, die zwischen Männern und Frauen differenzieren, aufmerksam zu machen und so einen Präzedenzfall zu setzen, der eine Grundlage für die Anfechtung dieser Diskriminierung bildet. Der Film erzählt den schwierigen Prozess der Vorbereitung und zeigt die Probleme, die dazukommen, nur weil Ruth eine Frau ist. Beispielsweise, als einer ihrer Verbündeten vorschlägt, sie solle doch den Fall ihrem Mann Marty überlassen, da sie zu emotional sei und den Fall vor Gericht ruinieren würde. Trotz der vielen Hindernisse, beweist sich »RBG«, wie Ruth Bader Ginsburg auch kurz genannt wird, jedoch als fähige Anwältin mit Vision, die die Welt für ihre Tochter verändern möchte.
In einer Zeit, in der Feminismus großgeschrieben wird, ist die Thematik des Films relevant; zudem gilt RBG selbst als Ikone der Gleichberechtigungs-Bewegung. Als Tribut für ihre Dienste ist der Spielfilm nicht nur auf Bewunderer der Juristin zugeschnitten, sondern für das große Publikum ausgelegt, so dass eine komplett neue Generation, die den Namen Ruth Bader Ginsburg wohlmöglich noch nie gehört hat, trotz oder gerade wegen der Mainstream-Dramaturgie und dem Wiedererkennungswert durch die beliebte Komödie, Inspiration von dieser Geschichte ziehen und ihrem Beispiel folgen kann.