Israel/D/B 2013 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Yuval Adler Drehbuch: Yuval Adler, Ali Wakad Kamera: Yaron Scharf Darsteller: Shadi Mar'i, Tsahi Halevy, Hitham Omari, Tarek Copti, Michal Shtemler u.a. |
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Der Israeli und sein Informant |
Dies ist die Geschichte zweier junger Männer, die untrennbar miteinander verbunden, auf verschiedenen Seiten stehen: Razi und Sanfur.
Razi ist ein Offizier der Shin Beth, der israelischen Version des Bundeskriminalamts. Er pflegt einen festen Kontakt zu Sanfur, dem Bruder eines palästinensischen Terroristen. Dieser steht nach verschiedenen tödlichen Attentaten weit oben auf der Fahndungsliste der Israelis, denn vom Untergrund der Westbank aus, ist er eine große Nummer im
sogenannten »arabischen Widerstand«, und zieht die Fäden bei immer neuen Mordanschlägen. Razi braucht von Sanfur einen Tip, um den Bruder zu fassen – tot oder lebendig.
Die Beziehung zwischen den beiden Männern, die Vater und Sohn ebenso sein könnten, wie unterschiedlich alte Brüder, ist komplex: Sanfur ist für den Israeli in erster Linie ein Informant, den er mit kleinen Geschenken füttert und manipuliert, um Informationen zu bekommen, die Leben retten können. Mit der Zeit hat er den Jungen aber auch liebgewonnen, er spürt, dass er selbst für Sanfur der freundschaftliche Ansprechpartner ist, den dieser bei seiner radikalen Familie nicht findet, dass Sanfur kein potentieller Mörder ist, sondern sich in einer verzweifelten Lage befindet – zwischen Loyalitätsansprüchen, denen er nicht gerecht werden kann. Rafi schützt Sanfur selbst vor dem Drängen seiner Vorgesetzten, die ihn opfern wollen. Aber er belügt ihn eben auch und drängt ihn in eine vorhersehbare Konfrontation, die für beide Männer nicht ohne Blessuren ausgehen kann – mindestens.
Bethlehem, das Spielfilmfilmdebüt des israelischen Regisseurs Yuval Adler ist ein beeindruckender Film. Inszeniert und geschnitten mit großer Kunst und einer Intelligenz, die für einen Debütfilm erstaunlich ist, zumindest ungewöhnlich, vermeidet Adlers gradlinig erzählter Film zugleich all jene zu allgemeinen politischen Fragen, denen man so oft in Filmen über den Konflikt zwischen Israelis und den Palästinensern begegnet, und die gerade in ihrer politischen Beflissenheit im Ergebnis oft banal wirken: Ja, es wäre natürlich schön, wenn sich alle vertragen könnten zwischen Bethlehem und Tel Aviv, zwischen den Golanhöhen und dem Gazastreifen. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie morden und hassen wie am ersten Tag. Und nichts, bestimmt auch nicht die jüngste Friedensinitiative des US-Außenministers, deutet darauf hin, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte.
Warum dies nun so ist, das zeigt Adlers Film besser als viele andere. Denn Bethlehem, dessen Drehbuch Adler übrigens – das ist in diesem Fall unbedingt erwähnenswert – gemeinsam mit einem palästinensischen Autor schrieb, zeigt Innenansichten des Konflikts, blickt auf soziale Dynamiken.
Da wäre einmal die unterschiedliche Stellung der Frauen – sie haben bei den Arabern nicht nur nichts zu melden, es gibt sie nicht. Nur als dienende, trauernde Mütter. Während in der israelischen Armee, und ihrem Polizeidienst ganz selbstverständlich Frauen als Gleichberechtigte mitarbeiten.
Den besten Szenen des Film bestehen aus Innenansichten des Alltagslebens der Palästenenser: Man begegnet zivilen Politikern, die längst nicht mehr Herr der Lage sind, die ihr kleines poröses Königreich allenfalls noch mit Korruption zusammenhalten und mit brutalen Gangs, die ihren »Schutz« garantieren, und für sie im Morgengrauen die Drecksarbeit erledigen.
Man lernt diese Gangs näher kennen, primitive Männerbünde, deren ganzer Alltag von Macho-Ritualen und
Maulheldentum geprägt ist, in denen gewöhnlich der Lauteste und Radikalste den Ton angibt, Vernunft hingegen, und sei es auch nur die pragmatische Einsicht in die Grenzen der eigenen Möglichkeiten, fast immer den Kürzeren zieht. Es sind Banden, die sich vom Drogen- und Waffenhandel nähren, von Schutzgeldern, in deren Leben die Kalaschnikow immer dabei ist, selbst beim seltenen Essen mit der Familie. In einer geradezu grotesken, hochangespannten Szene stehen sich zwei solche
Banden in einer Nervenprobe gegenüber und streiten sich mit entsicherten Handgranaten in der Hand um einen Leichnam eines ihrer »Märtyrer«, den beide Gangs für sich beanspruchen.
Und man begegnet auch den Familien, die voller Stolz sind auf diese, ihre »Märtyrer«. Bei der älteren Generation hat sich dieser Stolz längst zu Starrsinn verhärtet, die Jüngeren wie Sanfur würden vielleicht lieber die Spiele ihrer britischen und spanischen Lieblingsclubs verfolgen, mit deren
Fanartikeln ihre Zimmer tapeziert sind, stattdessen müssen sie »ganze Männer« sein, und deshalb Aufträge für die großen Jungs erledigen, die nicht nur hochgefährlich sind, sondern sie schnell unrettbar ins Netz aus Kleinkriminalität und Terror verstricken.
Alle sind hier auch Opfer. Aber sie sind eben auch Täter. Gut und Böse, Schwarz und Weiß gibt es kaum in dieser Welt – sondern viele Grautöne.
Adlers Film wirft den Zuschauer auf so zentrale wie unbequeme Einsichten
zurück, die sich jedem stellen, der den Konflikt zwischen Israel und Palästina ohne ideologische Scheuklappen betrachtet.
Und auf Folgerungen, wie die: Solange diese dummen palästinensischen Machobanden sich die Köpfe gegenseitig einschlagen, ist es gut für Israel, solange hat der Staat nichts ernsthaftes zu befürchten.
»Bethlehem« ist aber auch glänzendes Hochspannungskino, ein Terrorthriller, der uns ins Gedächtnis ruft, zu welch großartiger Form das israelische Filmemachen in den letzten Jahren aufgelaufen ist – nicht zuletzt mit einem neuen, überraschenden Blick auf den Nahostkonflikt. Und wer weiß zum Beispiel, dass der amerikanische Serienerfolg »Homeland« nichts anderes ist, als der schlechte Abklatsch einer israelischen Fernsehserie.
Auch Bethlehem könnte bald durch eine Hollywood-Verwässerung geadelt werden.