GB/NL/F 1996 · 126 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Greenaway Drehbuchvorlage: Sei Shonagon Drehbuch: Peter Greenaway Kamera: Sacha Vierny Darsteller: Vivian Wu, Ewan McGregor, Yoshi Oida, Ken Ogata |
Peter Greenaways neuester Film gründet auf einer interessanten Idee: ein junges Mädchen entdeckt, daß es ästhetisch und sexuell von hohem Reiz sein kann, sich den Körper beschriften zu lassen, beziehungsweise eigenhändig die Hautoberflächen geeigneter Mitmenschen mit Kalligrafien zu überziehen. Unbemalt und untätowiert in die alte Kärrnerarbeit der Erforschung der Ursprünge von Ideen verstrickt, frage ich mich, ob dieser Film nicht als Nebenprodukt und Fortschreibung Peter Greenaways Light Show vor einem Jahr in München gelten kann: dienten damals kahle Hauswände als Projektionsflächen, sind es in der Die Bettlektüre glatte Menschenhäute auf die Schriftzüge aus Licht geworfen oder häufiger durch Tusche aufgepinselt werden. Das ist, wie gesagt, eine vorzügliche Idee, die sich den exotistischen Rahmen dann möglicherweise von Takabayashis Film Sekka tomuraizashi (Irezumi – Der Geist der Tätowierung) entlehnt hat, in dem Hörigkeitsverhältnisse via Sitzungen beim Tätowierer kultiviert werden. So SM-weit wollte es der sanftere Greenaway dann doch nicht treiben, deshalb drückte er seinen Protagonisten anstatt des Tätowierhämmerchens etliche Tuschepinsel in die Hand. Es ist nicht der Ort, wieder einmal grämlich über das europaauf amerikaab transportierte Japanbild herzuziehen, es genügt eine Parallele zu ziehen: der begeisterte Zuschauer von Daniel Schmids entsetzlichem Film The Written Face wird sich auch im Dekor der Die Bettlektüre heimisch fühlen.
Und das hauptsächliche Ausgangsmaterial für diese spezielle, literarischen Sinn transportierende Art des Bodypainting ist klug gewählt, denn Vivian Wu is liab zum oschaugn. Papier, Pergament und Haut sind geduldig, so daß von Dichterworten, postalischen Mitteilungen bis zum »Vaterunser« und Zahlenkolonnen nahezu alle Textsorten Platz finden auf ihrer und den anderen dargebotenen Häuten. Die Bewunderung für die Schreibunterlagen erschöpft sich allerdings nach einiger Zeit, so daß Greenaway seiner Liebe zum Opern- oder besser Operettenhaften nachgibt. Vivian Wu (Nagiko) wird vom kapriziösen Entschluß ergriffen, Dichterin zu werden, einzig, um damit ihren Vater zu ehren und zu rächen, denn sein Ableben in Armut und Schande verdankt sich einem sinistren Verleger, dessen Natur auf Erpressung und Ausbeutung setzt. Daraus ergibt sich eine absichtsvolle Kolportage, eine Art cavalleria rusticana, die blutige Racheshow aus schamlosen Operneffekten und dem Aufzug von Tableaus. Ironisch und äußerst witzig ist an diesem Punkt eigentlich nur noch der Überbringer der Todesbotschaft, der zugleich deren Vollstrecker ist und auf dessen Arschbacken ein Text dem ahnungslosen Verleger den Zusammenhang zwischen Vaterschaft, Autorenschaft und seiner, des Verlegers, Rolle als Racheopfer offenlegt.
Bedauerlich nur, daß der Film an diesem Punkt seine zweite Grundidee verrät: die Vorliebe der Protagonistin für die Tagebucheinträge der Sei Shonagon, Gesellschaftsdame am japanischen Kaiserhof in Heian, unweit des heutigen Kyoto, um das Jahr 1000. Sei Shonagon ist eine der Säulenheiligen der japanischen Literaturgeschichte, Mitbegründerin eines Genres zwischen Essay, Anekdote und Schilderungen von Gemütszuständen. Ihre Praxis, Listen anzulegen von Dingen und Zuständen, die ein westlicher Leser nicht notwendigerweise zu einer Taxonomie zusammenschließen würde, hat vor Greenaway bereits Chris Marker fasziniert, und der zitiert ausführlich aus ihrem »Kopfkissenbuch« in seinem meisterlichen Film Sans soleil. Die völlige Immobilität des in diesem Buch geschilderten Alltags »bei Hofe«, das hohe Niveau der Beobachtung und Reflexion unter vollkommener Abwesenheit erzählerischer Formen, die über die Wiedergabe von »Histörchen«, winzigsten Klatschgeschichten hinausginge, ist am Buche augenfällig und recht eigentlich auch der Stil Greenaways. Da aber Kino durch die gnadenlose Zeitfolge der 24 Bilder pro Sekunde um erzählerische Finten nicht herumkommt, entschließt er sich zur ironischen Kolportage.
Die Schauspieler agieren, als seien sie Teil einer Stellprobe für den wirklich großen Film, der von Menschen handelte, deren Macken nicht ins filmerische Formalingefäß hineinpräpariert würden, um sie einem Publikum im Jahrmarktszelt als Monstrositäten zu anzubieten. Menschen, die so sehr verbunden wären ihren Eigenheiten, daß wir an jenen die reale Wirkung des ja täglich selbst erfahrenen Nicht-aus-der-eigenen-Haut-könnens zu studieren in der Lage wären.
Wirklich schön, und ein Angebot, lieber in der eigenen Haut zu bleiben, sind die chinesischen Schlager der 30er Jahre. Wie das Lied von der Rose, der die Liebe erklärt wird, gesungen von You Lee. Also reingehen, hinschauen, hören (und in der kurzen Szene in der Küche eines Hongkong-Restaurants davon träumen, wie groß die Filme von Greenaway sein könnten, wenn seine Liebe zum Manierismus nur schon abgestorben wäre).