Deutschland 2011 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Dörfler Drehbuch: Peter Dörfler Kamera: Peter Dörfler Schnitt: Peter Dörfler |
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Im Lustgarten Edens |
Wenn einer genauso heißt, wie das Paradies, dann ist es vielleicht nur natürlich, dass er zum Leben ein etwas anderes Verhältnis hat als die meisten übrigen. Man sollte also nicht zuviel hineininterpretieren in die Vita und das Werk des Rolf Eden. Man muss seine ausschweifende Existenz als Lebemann und »Berlins letzter Playboy« also nicht auf irgendwelche Kindheitstraumata zurückführen, darauf, dass der 1930 in Berlin geborene Sohn eines jüdischen Containerhändlers noch keine drei Jahre alt war, als Hitler an die Macht kam, und die Familie nach Palästina vertrieben wurde, wo man in Haifa ein Café eröffnete. Wenn das Bild auch nur ein bisschen stimmt, das Peter Dörfler in seinem außerordentlich kurzweiligen Dokumentarfilm The Big Eden jetzt vom einstigen West-Berliner »Partykönig« entwirft, dann will der Mann einfach seinen Spaß haben, und von tieferen Deutungsversuchen möglichst verschont bleiben.
Man sollte ihn andererseits aber auch nicht unterschätzen, bloß weil »Bild« und der Berliner Boulevard aus jedem Champagnerglas, das Eden in irgendeiner Disco leertrinkt, eine große Chose machen, und ihn ansonsten als alternden Deppen portraitieren, der sich selbst für den vulgärsten Quatsch nicht zu schade ist, Hauptsache, ein paar Fotografen sind dabei. Dass sich Eden zum Beispiel schon 1946 der »Palmach« anschloß, einem Teil der jüdischen Untergrundorganisation der »Haganah«, die in Palästina, nachdem sie im Weltkrieg an der Seite der Briten gekämpft hatte, nun gegen die Briten für Israels Unabhängigkeit kämpfte, ist eine völlig unerwartete Seite dieses Mannes, den sie in Berlin nur mit Mädchen, Musik und Materialismus verbinden. Eden kämpfte damals unter dem Kommando von Jitzchak Rabin. »Ich war so dämlich, und bin immer nach vorn gerannt«, erzählt er heute. Er hat auch damals schon das nötige Glück gehabt: Denn in seiner Einheit überlebten von 1200 Kämpfern gerade mal 400 diese blutigen Monate. »Wenn Erinnerung etwas bringen würde, würde ich mich erinnern. Aber das Beste, was du tun kannst: Forget the miserable.« Er hätte also, wenn er nur wollte, mehr zu sagen, als man denkt, der Rolf Eden. »Ich bezweifle, dass du das Leben wirklich so leicht nimmst«, sagt im Film ein Kamerad aus dieser Zeit in Erinnerung an seinen Freund, und das ist einer dieser Momente des Films, wo man gern nachfragen würde, oder einfach zuhören, wenn diese beiden alten Männer ohne Kamera miteinander reden.
Als Eden dann Anfang der 50er nach Berlin zurückkehrte, sei er der einzige Jude gewesen, »der sich nicht als Opfer fühlte«. Schnell gründete er seinen ersten Nachtclub, und revolutionierte das West-Berliner Nachtleben mit Tisch-Telefonen, Misswahlen, Plantschbeckentänzen und Nackt-DJ’s – alles, womit andere erst zwanzig Jahre später anfingen. Quasi im Alleingang erfand er die Disco. Zwischen 1964 und 1984 war er mit seinen vier, fünf parallelen »Eden’s« der König der Berliner Nacht, für die einen ein Symbol des freien Westens, für die anderen eines seiner Dekadenz – in jedem Fall aber das wahre West-Berlin. Von den Rolling Stones bis zu Richard von Weizsäcker ließ sich auch die Prominenz nicht lange bitten. Seit den 80er Jahren ging es dann zunehmend bergab mit seinem Imperium – was dem Herrn persönlich nicht geschadet hat, denn er besitzt bis heute mehr als ein Dutzend Immobilien in besten Lagen.
Wenn es gegen den Film überhaupt etwas einzuwenden gibt, dann, dass er sich etwas zu sehr auf die Seelenerforschung seiner Hauptfigur konzentriert, wo man lieber noch mehr darüber erfahren hätte, was ein Ort wie das »Big Eden« zu seiner Zeit eigentlich alles genau repräsentierte. Ein bisschen mehr Sittengeschichte West-Berlins hätte man sich also schon gewünscht. Mehr als einmal ertappt sich der Zuschauer immerhin bei der Frage, was eigentlich nur aus Berlin geworden ist? Man kann leicht feststellen, sagen, dass die Aufgeräumtheit, die neue Ordnung, die Berlin in den letzten Jahren auszeichnet, den Partys nicht unbedingt nutzt. Es gibt kaum noch alte Stasi-Büros, die sich zur Lounge-Bar, oder ehemalige VEBs die sich für einen Abend zum Partykeller umfunktionieren lassen, die Kunstgalerien von Berlin-Mitte sind entweder zu teuer oder einfach zu klein und die letzten besetzten Häuser wurden passend zum Wahlkampfauftakt im Frühjahr vom rot-roten Senat geräumt. So wie Berlin in manchen Stadtteilen an München oder Düsseldorf erinnert, wirken auch die verbliebenen Partys eher wie die Pflichtübung einer alternden Diva.
Er habe die Deutschen glücklich und frei gemacht, meint er im Rückblick, auch die Täter und Mitläufer, mit Spiel, Sex und Spaß, und so zeigt sein Beispiel, dass selbst eine Party manchmal eine moralische Anstalt werden kann. Zugleich wurde er zum Star der Klatschpresse, Frauenversteher – »Wenn sie zu kleine Brüste hat, dann kauf ich ihr 'nen größeren Busen.« –; Philosoph – »Wenn man Geld hat, hat man Frauen. Geld ist sexy.« –; und bekam viele Auszeichnungen – »Peinlichster Berliner ist doch toll – wer ist das schon!«
Auf alle Fälle ist der Mann mit sich selbst im Reinen. »Ich gefalle mir«, sagt er, wenn er am Morgen im weißen Bademantel vor dem Spiegel steht, und sich die Haare aus der Nase zupft. Beim Frühstück guckt er erstmal nach, ob über ihn denn auch etwas in der Zeitung steht. Ein Tag, an dem das nicht der Fall ist, ist kein schöner Tag für Rolf Eden. In seinem nun schon über 81 Jahre langen Leben hat Eden aber viele schöne Tage erlebt. Die sind gut dokumentiert, denn schon lange vor Erfindung der Digitalkamera hatte Eden hunderte von Metern Super-8-Film damit verbraucht, sein eigenes Leben für die Nachwelt festzuhalten, wovon Dörflers Film ungemein profitiert. Man sieht auf ihnen viele schöne Frauen, leere Gläser in Berliner Nächten, viel Neon, Kitsch und vor allem Rolf Eden selber.
Es gibt Augenblicke in diesem Film, da muss man sich einfach nur fremdschämen. Aber dann wieder gibt es Momente, an denen man sich fragt, ob man nicht sofort gerne tauschen würde mit Edens Leben vor 30, 40 oder 50 Jahren – und das vielleicht nicht nur als männlicher Zuschauer. Denn Eden ist einer, der sich von allen Vorgaben und gesellschaftlichen Zwängen emanzipiert hat, der es immer verstand, selbstbestimmt zu leben und seine Tage zu genießen. Das ist dann doch nicht so dumm, wie es manchen vielleicht recht wäre, die in Eden nur einen Nihilisten sehen können, das liegt der »Sorge um sich« einer »ästhetischen Existenz«, die einst Michel Foucault beschwör, recht nahe. Zugleich ist er aber natürlich unrettbar »old school«: Frauen bekommen täglich Blumen und ziemlich oft teuren Schmuck. Von einer Männerdämmerung hat Eden noch nichts gehört. Schröder und Ballack, Ernst Jünger und Curd Jürgens kamen und gingen, er war immer da.
Eden ist übrigens kein Neuling auf der Kinoleinwand. Was zu wenig bekannt ist, ist, dass Eden in knapp 30 Filmen mitgespielt hat. Der Bekannteste darunter ist Das Testament des Dr. Mabuse, Werner Klinglers von Artur Brauner produziertes Remake des gleichnamigen Fritz-Lang-Films aus dem Jahr 1962. Auch im Edgar-Wallace-Krimi Das siebente Opfer war er dabei.
»Nach dem Tod gibt’s nichts mehr, deswegen will ich bis dahin jede Sekunde schön leben.« – Mit solchen Sprüchen verbindet Eden gute Laune und ansteckenden Optimismus mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit, mit der er vieles ausspricht, das sich andere nicht mal zu denken trauen. So wirft Dörflers Film die Frage noch einmal auf, ob eigentlich wirklich so viel gegen überzeugten Hedonismus spricht – denn auch die verlassenen Frauen Edens und die sieben Kinder aus sieben Beziehungen, die man im Film kennenlernt, sprechen größtenteils gut über den Vater, und manche erstaunlich hellsichtig: »Er hat keine Chance, seiner Rolle zu entkommen«, sagt sein jüngster Sohn, und mehrere Verflossene sind sich einig, dass Eden ein in der Pubertät steckengebliebener großer Junge ist. Dass es stattdessen unter allen Umständen besser wäre, erwachsen zu werden, belegt der Film indes nicht.