USA/Kanada 2014 · 107 min. · FSK: ab 0 Regie: Tim Burton Drehbuch: Scott Alexander, Larry Karaszewski Kamera: Bruno Delbonnel Darsteller: Amy Adams, Christoph Waltz, Danny Huston, Jon Polito, Krysten Ritter u.a. |
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Effi & Instetten, reloaded. |
»Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie’s nicht ändern konnte, morgen, weil sie’s nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über sie.«
Theodor Fontane, »Effi Briest«
Bitte nicht Fontane! Doch, auf jeden Fall Fontane. Denn wie nur wenige Autoren lässt sich Fontane fast für jeden Streitpunkt unserer Gegenwart anführen. Seien es große, menschliche Verunglückungen (John Maynard), Zweifel an unserer technokratischen Gesellschaft (Die Brück am Tay) oder die Rolle der Frau. Also »Effie Briest«. Denn was Fontane hier an Grundlagenarbeit für das Dilemma der modernen, bürgerlichen Ehe mit seinen unausrottbar erscheinenden Gender-Hierarchien anführt, ist nicht nur in seiner Symbolik, sondern vor allem in seiner psychologischen Finesse auch heute noch von großer Klasse. »Effie Briest« bietet sich deshalb fast als ein idealer Gradmesser dafür an, wie weit wir es in den genau 120 Jahren seit dem Abschluss des als Fortsetzungsroman erschienenen Werkes gebracht haben oder vielleicht besser: wie sehr wir noch in den Kinderschuhen dieser Entwicklung stehen. Denn was Instetten seiner ihm nicht nur an Jahren unterlegenen Frau Effi antut, um die Hierarchie zwischen ihnen zu bewahren, ist auch heute – in facettenreichster Neumaskierung – weiterhin trauriger Standard. Dennoch haben sich seit Fontane nicht nur die Maskierungen verändert, sondern gab es auch Emanzipierungsbewegungen, die Zeichen gesetzt haben.
Eine der größten Entwicklungssprünge zur Überwindung der klassischen Geschlechterverhältnisse setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Musik, Literatur und Malerei wurden zu Vorreitern neuer Verhältnisse und boten erstmals so etwas wie eine Blaupause für ein selbstbestimmtes Leben, auch als Frau. Wie oberflächlich und voller Tücken diese Entwicklung allerdings auch war (und ist) zeigt in fast schon absurder Intensität Tim Burtons neuer Film Big Eyes.
Tim Burton, wir erinnern uns, hat neben seinen Franchise-Ambitionen (Batman, Planet der Affen), immer auch einen Faible für das »Andere« gehabt. Sei es seine Leidenschaft für unkonventionelle Techniken wie die Stop-And-Go-Animation (Frankenweenie) oder die für »verlorene« Menschen wie Edward Scissorhands oder Ed Wood. Burton versuchte dabei nicht nur ihre Verlorenheit zu relativeren, sondern in einem Biobic wie über den »schlechtesten Regisseur aller Zeiten« auch die herrschende Meinung über die Thematik zu relativieren.
Das gilt auch für Burtons Big Eyes und das hier porträtierte Künstlerpaar Margaret und Walter Keane, die nicht wenige Kunstkritiker für die schlechtesten Maler aller Zeiten hielten. Wie schon in Ed Wood, ist Burton, der selbst malt und zeichnet, auch hier anderer Meinung. Er hat lange vor dem Projekt Big Eyes Bilder der Keanes gesammelt und bei Margaret Keane ein Porträt seiner damaligen Freundin in Auftrag gegeben. Und Burton vertritt auch in seiner filmischen Auslegung dieses Themas einen undogmatischen Ansatz. Was umso verständlicher ist, als das Werk der Keanes in den späten 1950er Jahren im krassen Widerspuch zum abstrakten Expressionismus stand, der die Szene damals beherrschte. Burton dekonstruiert damit nicht nur wohltuend den künstlerischen Zeitgeist dieser Zeit, sondern stellt ein weiteres, gern vergessenes kunstgeschichtliches Detail ins Zentrum seiner Beweisaufnahme: dass es nämlich nicht Peter Max, Thomas Kinkade oder Andy Warhol waren, die die kommerzielle Seite der Kunstwelt revolutionierten, sondern Walter Keane. Als weder Galerien noch die Kritik »seine« Werke annahm, eröffnete er seine eigenen Galerien und bot die Gemälde nicht nur billig an, sondern unterbot diese Dumping-Preise für den »kleinen Mann« noch einmal mit Postern und Postkarten – heute selbstverständlich, damals eine Revolution.
Doch was Burtons Big Eyes vor allem sehenswert macht, ist der eigentliche Schwerpunkt, den Burton setzt, den tragischen Effi-gegen-Instetten-Kampf, der sich hinter den Kulissen des erfolgreichen Künstlerpaares abspielte. Denn glaubte die Kunstwelt lange Zeit an einen weiteren Künstlerpaar-Klassiker – er der Maler, sie die Muse – so änderte sich das schlagartig 1970, als Margaret Keane Jahre nach ihrer Trennung von Walter aus Hawaii meldete -und in einem spektakulären Gerichtsprozess nachwies – dass nicht Walter das gemalte Werk geschaffen hatte, sondern sie allein. Dabei vergaß sie allerdings nicht zu betonen, dass ohne Walters geschäftstüchtige Kreativität ihr Werk wohl niemals diesen Stellenwert erlangt hätte.
Burton und seine Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszweski wischen diese ambivalente Sichtweise nicht einfach beiseite, sondern versuchen ihr filmisch gerecht zu werden. Damit schaffen sie vor allem über die brilliant agierend Amy Adams eine Margaret, die zerrissener nicht sein könnte. Einerseits schon stark genug, um in den 1950er Jahren mit ihrer Tochter ihren ersten Mann zu verlassen, andrerseits noch so schwach, sich gegenüber ihrem neuen Mann Walter zu behaupten und sich schließlich darauf einzulassen, ihre Bilder von ihm signieren zu lassen. Burton gelingen hier ausgesprochen tiefgründige Momente, die im Laufe des Film allerdings durch einen völlig außer Rand und Band agierenden Christopher Waltz als Walter relativiert werden. Waltz »Overacting« hat bereits in Terry Gilliams Zero Theorem ausgesprochen genervt, in Big Eyes nimmt es dem Film mehr und mehr an Potential, weil vor allem das groteske, komödiantische in der von Waltz interpretierten Rolle fehl am Platz ist und damit filmisch noch einmal durchexerziert wird, was in der Realität bereits passiert ist, nur ist es hier der männliche Schauspieler und nicht der vermeintliche Künstler, der alles an sich reißen zu wollen scheint.
Doch sowohl der immer wieder völlig überraschende Plot (den – kaum zu glauben – tatsächlich das Leben schrieb), als auch Burtons Regie sind stark genug, um dieses Defizit größtenteils aufzufangen. Big Eyes ist nicht nur ein faszinierender und aufregender Film über das reziproke Verhältnis von Markt und Kunst und was Kunst alles sein kann; Big Eyes zeigt auch, wie geschickt alte Geschlechterstereotypen wieder und wieder reproduziert werden und ist auch ein funkelndes »Missing Link« in der Befreiungsgeschichte der Frau, das tatsächlich Hoffnung macht. Denn anders als Effi ist Margaret Keane nicht vor ihrem Mann gestorben, sondern er vor ihr. Sie ist bis heute als Künstlerin tätig.