Deutschland 1998 · 126 min. · FSK: ab 12 Regie: Doris Dörrie Drehbuch: Doris Dörrie Kamera: Theo Bierkens Darsteller: Franka Potente, Iris Berben, Uwe Ochsenknecht, Gisela Schneeberger u.a. |
Nun ist der deutsche Film, ebenso wie der deutsche Fußball, ja nichts besonders rettenswertes. Trotzdem würde man sich zwischendurch, ganz abseits von jeglichem Patriotismus, freuen, wenn in dem ein oder anderen Bereich mal sympathische und dazu noch talentierte Personen erfolgreich wären. Grade läuft Tom Tykwers Lola vielbeachtet durch die Kinos und nun will Doris Dörrie erneut ihr Glück versuchen. Nach Widows, Comedian Harmonists und Cascadeur, den Schrecken des ersten Halbjahres, helfen Lola rennt und Bin ich schön?, die Schmerzen zu lindern. Dörrie nimmt seit Jahren eine Schlüsselposition zwischen Autorenfilm und dem deutschen Unterhaltungskino ein. Männer war einst die Steilvorlage für die Komödienwelle, Keiner liebt mich war zeitgleich mit dem Bewegten Mann ein Kassenerfolg, diesem aber künstlerisch weit überlegen, da die Regisseurin, anders als Wortmann zu ihren Stoffen eine persönliche Beziehung hat und diese vermitteln kann. Nun hat sie ihre Kurzgeschichtensammlung Bin ich schön? zu einem stabilen Drehbuch konstruiert, worin die Figuren nicht herumgehetzt, sondern zum Stehen gebracht werden, auf daß man sie in Ruhe betrachten kann.
Franka Potente, die bei Tykwer mit der Wucht der weißen Billardkugel alle anderen Personen in Bewegung brachte, spielt hier ein etwas behäbigeres Medium, eine junge Deutsche, die eine Spanienreise nutzt, um ein paar andere Identitäten auszuprobieren. Am Anfang wirft sie ihr letztes Hab und Gut aus dem Autofenster, darunter auch das Kinderbuch »Oh, wie schön ist Panama«. Sie wird am Ende das Buch wiederfinden und zu ihrer alten Identität zurückkehren, so wie bei Janosch der kleine Tiger und der kleine Bär heimkehren. Die Reise des Mädchens ist der rote Faden des Filmes, an den alle anderen Handlungsstränge, auch die in Deutschland spielenden, anknüpfen.
Bin ich schön? sagt uns nicht, daß es daheim oder sonstwo am schönsten sei, sondern baut, wo auch immer, traurige, seltsame oder lustige Idyllen auf, um sie zwischendurch wieder jäh niederzureißen. Da steht Heike Makatsch, noch von Spanien träumend, auf der falschen Rolltreppenseite und wird prompt angerempelt: Wir sind hier in Deutschland, junge Frau! Wir erleben Menschen bei Besinnungspausen, nicht nur im Urlaub, sondern auch nach Schicksalschlägen oder
vor großen Entscheidungen. Und wie es eben manchmal so geht in Ausnahmesituationen, fangen die Menschen bei der Begegnung mit Wildfremden plötzlich an, ihr Inneres zu offenbaren, während andererseits Eheleute Schwierigkeiten haben, voreinander unverkrampft zu sein. Gottfried John versucht als alternder Biedermann mit exzentrischer Geliebter alles, um seine verborgenen Charakterzüge vor seiner Frau (Senta Berger) geheimzuhalten. Diese wiederum macht, als der Gatte schläft,
einen schwärmerischen Besuch bei ihrem einstigen Liebhaber, einem heruntergekommenen Bohemien. Nicht jede Episode ist gelungen, vor allem Dietmar Schönherr als spanischer Witwer entgeht nicht der unfreiwilligen Komik, und in mancher Szene lauert gar der kleine Prinz mit seiner abgeschmackten Gymnasiastinnen-Philosophie.
Doch Doris Dörrie kann, was im deutschen Film selten genug ist, mit Überraschungen aufwarten. Dabei setzt sie nicht auf das pure Spektakel, sondern einzig
auf die Unausgegorenheit des menschlichen Lebens. Eine der bizarreren Szenen besteht zwar darin, daß Iris Berben ihrem fetten Mann schnell einen bläst, damit er Ruhe gibt, wobei sie gleichzeitig ihren heutigen Kalorienverbrauch einschließlich Sex durchrechnet. Der Gatte (der großartige Oliver Nägele) stellt sich dann aber keineswegs als der erwartbare, geile Spießer heraus, sondern als ewig Verliebter, der seiner Gemahlin eine wonnige Liebeserklärung über den Kopf stülpt. So
entwischt der Film vielen, nicht allen Klischees, zeigt ein paar Happy-, ein paar Open Ends, und läßt uns auch mal tatenlos zusehen, wie zwei Menschen heiraten, die sich überhaupt nicht lieben. Es wird nicht alles gut, woanders ists nicht besser, alles halb so schlimm.
Bin ich schön? ist der Titel des sehenswerten neuen Films von Doris Dörrie, der im September beim Festival in Venedig uraufgeführt wird. Unter dem gleichen Titel erschien bereits vor einigen Jahren ein Buch mit kurzen Erzählungen, die die Autorin und Regisseurin nun zu einem kunstvoll verwobenen Reigen aneinander reihte. Lebensträume versus alltägliche Realität, Liebe und Verzweiflung, pure Lebenslust und Altersweisheit sind die tragenden Themen dieses anspruchsvollen, mit Intelligenz und viel Herz gemachten Films.
Erzählt werden einige Episoden, die scheinbar wahllos verknüpft sind. Stilistisch erinnert diese Vorgehensweise an Altmanns Short Cuts: so wie er einen Schnitt durch die amerikanische Gesellschaft der Gegenwart zieht, zeigt Dörrie europäische Menschen. Diese erleben allerdings nicht den sich ständig wiederholenden Alltag, sondern sind alle an einem Punkt im Leben angelangt, an dem sie sich entscheiden müssen. Iris Berben verkörpert mit nuanciert eingesetzter Komik und Tragik sehr glaubhaft eine Frau, die nach endlosen Abmagerungskuren endlich so weit ist, daß sie ihre Träume durchsetzen will. Joachim Krol brilliert erneut, diesmal als im Grunde liebenswerter Familienvater, der verzweifelt seinen kurzen Ausbruch aus dem Ehealltag beichtet. Heike Makatsch spielt die Tochter aus gutem Hause, die sich im Urlaub verliebt, trifft dann auf eine grandiose Gisela Schneeberger als gealterte, frustrierte Hippiefrau, die argumentiert, daß letztlich ihre Augentropfen der Grund sind, warum ihr Ehemann nun eine jüngere Frau hat. Sehenswert ist auch erneut die enorm vielschichtige Franka Potente, diesmal eine zwielichtige, stets undurchschaubar bleibende junge Frau spielend, die sich mit kleinen Lügen über Wasser hält.
Geplatzte Träume, zu Tage tretende Lebenslügen, Eifersucht, aber auch grotesker Sinn für Humor. Es gibt genug Möglichkeiten, sich hier wiederzufinden.
Dabei gelingt es Doris Dörrie meist, die Schicksale so zu schildern, daß sie unter die Haut gehen. Meisterhaft gelungen sind die knappen Charakterisierungen (der meisten) ihrer Protagonisten: sie versteht es, Klischees, die sich aufdrängen, kunstvoll zu umschiffen. Einzig die Szenen mit Senta Berger weisen drehbuchbedingt einige Längen auf, und das Ende, an dem die Stränge teilweise wieder zueinanderfinden, wirkt etwas konstruiert. Doch ändert das nichts am positiven Gesamturteil.
Geradezu bewundern muß man, daß Doris Dörrie nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes und Kameramanns genug Mut und Energie besaß, diesen Film mit der sich wiederholenden Thematisierung des Todes zu drehen. Mit Dietmar Schönherr wurde die betreffende Rolle allerdings auch erstklassig besetzt, ebenso wie die Rollen von Franka Potente, Uwe Ochsenknecht und Joachim Krol. Sie alle spielen erneut so überzeugend, daß die Zuschauer gebannt und gerührt sind. Dabei wechseln sich dramatische mit komischen Szenen gekonnt ab, und die grotesken Nöte der Charaktere sind so überzeugend, daß sich viele damit identifizieren können.
Doris Dörrie hat es geschafft, die zweifellosen Stärken ihrer Erzählungen in die Bildsprache eines Episodenfilms zu verpacken, der unter die Haut geht, egal ob das verregnete Deutschland oder die Sonne Spaniens die Kulisse dazu liefern. Bin ich schön? ist ein fast durchweg spannend erzählter, vielleicht etwas zu lang geratener Episodenfilm, der überaus präzise eine Vielfalt an Stimmungen einfängt und deshalb unbedingt sehenswert ist, sogar internationale Klasse hat.
In letzter Zeit haben sich Filme aus Deutschland, einst wegen ihrer rigiden Spießigkeit verschrien, eine neue Position, die durch lockeren Amerikanismus geprägt ist, erobert und waren ihren Vorbildern oft gewachsen, wie zum Beispiel Knockin' on Heaven’s Door, oder ließen sie sogar weit hinter sich, wie Tykwers Lola rennt oder der wunderbare 23 – Nichts ist so wie es scheint von Schmid.
Produzent Bernd Eichinger und Regisseurin Doris »Männer« Dörrie nahmen sich vor, inspiriert durch die gleichnamige Kurzgeschichten-Sammlung, die sie selber im Diogenes-Verlag veröffentlicht hatte, ein Riesenteam an Schauspielern – nahezu alle bekannten deutschen Leinwandgrößen – mit ebenbürtigen Rollen in einem Film zusammenzufassen. Die Gleichgewichtung bei den Rollen stellt auch gleich das größte Problem dar: immer wieder werden neue Personen eingeführt, wodurch eine unübersichtliche Ansammlung an Figuren entsteht, von denen man sich mit keiner richtig identifizieren kann. Plotmäßig an dem großen amerikanischen (s.o.) Vorbild Short Cuts angelehnt, wird ein Schlaglicht auf mehr als zwei Dutzend Personen geworfen, deren Wege sich im Laufe des Films immer wieder kreuzen.
Lose verknüpft, ziehen sich die im Grunde nichtssagenden Handlungsstränge durch den gesamten Film, um am Ende bei einer Hochzeitsfeier, anläßlich derer die Weather Girls(!) singen, zusammenzulaufen. Dabei entwickelt sich der Film leider in keine bestimmte Richtung, sondern tritt mit seinen Momentaufnahmen die gesamte Laufzeit auf der Stelle. Schon nach kurzer Zeit beginnen die leicht ironischen Alltagssituationen, die sich parallel in Spanien und Deutschland abspielen, für gnadenlose Langeweile zu sorgen. Ausgesucht schwachsinnige Dialoge in schmerzenden und zugleich schmatzenden O-Tönen tun ihr übriges. Die unter ihrem eigenen Anspruch zusammenbrechende Konstruktion entlarvt die pseudo-intellektuelle Machart und hinterläßt einen bitteren Geschmack beim Betrachter. Statt der herbeiersehnten lockeren Natürlichkeit des Geschehens stellen sich permanent nervige Charaktere und öde Gestelztheit ein.
Bin ich schön? ist weit davon entfernt, ein künstlerisch anspruchsvoller Unterhaltungsfilm zu sein, sondern ist eher die leidige Fortsetzung des schwer verdaulichen deutschen Kunstkinos und läßt auf ein baldiges Aussterben dieser Gattung hoffen.