USA 2004 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Jonathan Glazer Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Milo Addica, Jonathan Glazer Kamera: Harris Savides Darsteller: Nicole Kidman, Lauren Bacall, Danny Huston, Anne Heche u.a. |
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Nicole Kidman lauscht der »Walküre« |
Einmal, da ruht die Kamera auf Nicole Kidmans Gesicht. Wir haben sie zuvor gesehen, wie sie in letzter Sekunde in einen Konzertsaal kommt: Gerade hat die Overtüre von Wagners Walküre begonnen. Das Bild zeigt Kidman, fährt ganz ganz langsam über die Reihen des Publikums hinweg auf ihre Augen zu, verengt den Blickwinkel, bleibt dann einfach stehen. Minutenlang verharrt sie auf dem Antlitz der Frau, die – berührt nicht von der Musik, sondern von dem, was ihr geschehen ist – ganz
allmählich ihre Fassung verliert.
Dieser unglaublich intensive, ins Mark rührende Augenblick ist der schönste, beste von Birth, und einer der besten des ganzen Kinojahres 2004. Man sieht in ihm nicht allein, dass Nicole Kidman eine exzellente Darstellerin ist – die meisten würden dieses Anstarren durch die Linse gar nicht aushalten – man sieht auch, warum man den britischen Regisseur Jonathan Glazer als eines der vielversprechendsten Talente der
internationalen Filmszene ansehen muss. Birth ist erst sein zweiter Film, zuvor hatte er schon mit Sexy Beast ein tolles Debüt geboten, gleichfalls mit Ben Kingsley um einen der besten Schauspieler der Gegenwart zentriert. Bevor er Kinoregisseur wurde, hat Glazer Musik-Videos gemacht, und auch das sieht man nicht nur in der einen beschriebenen Szene, sondern in vielen
Momenten von Birth, einem Film, der ganz von seinen Bildern lebt.
Zum Beispiel am Anfang: Ein Jogger läuft im verschneiten Central Park. Man folgt ihm und seinen friedlichen Spuren im Weiß, als er eine zweite Runde dreht, fällt er um, und ist tot. Schnitt. Direkt danach sieht man einen Neugeborenen im Wasser. Die Bewegung des Wassers setzt sich in der Bewegung des Bildes fort – aufregend. Bis zum Ende gibt es in diesem Film immer wieder solche großartigen Momente.
Die Geschichte ist so phantastisch, dass sie einer »gothic novel« des
19.Jahrhunderts entsprungen sein könnte. Bis zum Ende bleibt alles rätselhaft, zwingt dem Zuschauer, sich dem Einbruch der Gespenster der Vergangenheit und des Mysteriösen in die Wirklichkeit zu stellen. Nicole Kidman spielt eine reiche Witwe. Ihr ganzes Leben ist so gedeckt, kontrastarm und pastellfarben, wie die Luxusappartments der New Yorker Oberschicht, in denen sie es verbringt. Als sie zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes, dem Werben ihres Verehrers (auch glänzend: Danny
Huston) nachgibt, taucht ein 10-jähriger Junge auf – und behauptet, ihr Mann zu sein. So absurd das klingt – nach und nach gibt es Gründe, dem Jungen zu glauben.
Ein wenig erinnert diese eindringliche, verstörende Geschichte über Reinkarnation an Thriller wie Sixth Sense, doch ist dies bei aller Dämonie der Story kaum ein Film über den Schrecken, sondern einer über Trauer, Erinnerung und verdrängte Gefühle.
Aber wie gesagt: In erster Linie lebt dieser radikale, und stellenweise nahezu dialogfreie Film von seinen Bildern. Darum spielt es auch
keine Rolle, ob man für Esoterisches ein Faible oder eher Abneigung hegt. Die ausgezeichneten Darsteller (in einer Nebenrolle als Kidmans Mutter auch die 80jährige Lauren Bacall), die hier ganz mit ihren Gesichtern spielen, und der Sog von Glazers Inszenierung werden einen so oder so in Bann ziehen. Birth ist ein Beweis, was Film vermag, wenn er die Konventionen verlässt, zum Jahresende eine Erinnerung daran, dass die Erzählweisen des Kinos nicht so
eindimensional sein müssen, wie sie es leider oft sind.