USA 2015 · 131 min. · FSK: ab 6 Regie: Adam McKay Drehbuch: Adam McKay, Charles Randolph Kamera: Barry Ackroyd Darsteller: Christian Bale, Steve Carell, Ryan Gosling, Brad Pitt, Karen Gillan u.a. |
![]() |
|
Amoral auf allen Ebenen |
»Ein Credit Default Swap (CDS) ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien, der Bezug auf einen Referenzschuldner (als Basiswert) nimmt. Referenzschuldner sind typischerweise große, kapitalmarktnotierte Unternehmen. Eine Vertragspartei, der sogenannte Sicherungsnehmer, bezahlt eine laufend zu entrichtende sowie zusätzlich eine einmalig am Anfang zu zahlende Prämie. Dafür erhält er von seinem Vertragspartner, dem sogenannten Sicherungsgeber, eine Ausgleichszahlung, sofern der in dem CDS-Vertrag bezeichnete Referenzschuldner ausfällt.« (Wikipedia)
Das haben Sie nicht verstanden? Gut, nur nicht verzweifeln und bloß nicht müde werden, sondern den Wikipedia-Eintrag so stehen lassen und stattdessen ins Kino gehen und sich Adam McKays großartige Wirtschaftssatire The Big Short ansehen. Natürlich ist so ein verbaler Wirtschaftspups noch nicht Grund genug, aber mal ehrlich: Wer würde nicht gern verstehen, was damals, 2007, wirklich passiert ist? Als das Platzen der Immobilienblase in den USA Opfer in der ganzen Welt forderte und in eine handfeste Weltwirtschaftskrise mündete. Doch so ziemlich alle Erklärungen seitdem kommen nicht ohne das übliche verbale, stark verklausulierte Wirtschaftsinventar aus, das dem normalen Bürger, dem eigentlichen Opfer dieser Krise, nur Schlafattacken, aber kein Verstehen beschert.
Eine große Ausnahme stellt der Wirtschaftsjournalist Michael Lewis dar. Bereits seine analytische Abhandlung über die unkonventionellen Finanzierungsmethoden eines amerikanischen Baseballteams und ihres Managers war derartig plastisch aufbereitet, dass Bennett Miller daraus den hervorragenden Film Moneyball gießen konnte; ein Film, der exemplarisch für die Kunst stehen könnte, aus einem globalen Nischenthema eine allgemeingültige Geschichte zu formen. Schon allein deshalb wundert es also kaum, dass The Big Short weit mehr als nur ein wirtschaftspolitischer »Erklärungsfilm« mit Thrilleranteilen ist. Denn auch in diesem Fall stammt die literarische Vorlage von Michael Lewis. Sein 2010 erschienenes Buch über die platzende Immobilienblase 2007 ist im Kern bereits bissig-ironisch angelegt, gewinnt aber noch einmal an Fahrt durch Regisseur Adam McKay. Denn McKays Hauptinteresse ist die Komödie. Er schrieb Sketche für »Saturday Night Live« und Drehbücher mit Will Ferrell und führte für Anchorman, Talladega Nights und Step Brothers Regie.
Diese humorgeballten Erfahrungen schlagen sich in der filmischen Umsetzung von Lewis' Sachbuch in fast allen Bereichen nieder. Und zwar so stark, dass man gar nicht so recht weiss, wo man vor lauter Begeisterung anfangen soll zu schreiben. Und deshalb vielleicht mit dem Offensichtlichsten beginnen sollte, McKays faszinierender Umsetzung von sachlichen Fakten.
In stakkatoartigen Tempo folgt McKay einer kleinen Gruppe von Protagonisten der Finanzwelt, die seit 2005 mit kühlem analytischen Verstand erkennen, dass es um den hochgelobten und sicheren Immobilienhandel in den USA im Grunde nicht allzu gut bestellt ist. Für die einen sprechen die Zahlen Bände, die anderen unternehmen aus purem Unglauben tatsächlich eine Reise in die amerikanische Provinz und müssen erkennen, dass selbst Stripperinnen ohne sichere Arbeitsverträge und hohes Einkommen problemlos Kredite auch noch für ihre fünfte Immobilie erhalten. Dieser von den großen Ratingagenturen nicht hinterfragte Handel ist derartig aufgeblasen, dass im Grunde nur eins bleibt. Sich die Doppelmoral zu Nutzen machen und sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und gegen sie zu wetten. Und zwar mit dem System des eingangs zitierten Credit Default Swap (CDS).
Das klingt vielleicht nicht spannend, aber wie McKay diese Handlungskette filmisch umsetzt, ist nicht nur richtig spannend, sondern auch zutiefst komisch. Das hängt zum einen mit der an sich schon absurd-abstrusen und bitterbösen Realität zusammen, der Gnadenlosigkeit, mit der der Kapitalismus seine eigenen Jünger sich regelrecht zu Tode ficken lässt, zum anderen aber auch mit den stilistischen Mitteln, die McKay im Aufgebot hat. Um komplexe Sachverhalte nicht nur zu erklären, sondern auch gleichzeitzig zu hinterfragen, bedient er sich spielerisch und wie nebenbei bei Brechts epischem Theater und zaubert einen ganzen Blumenstrauß an Verfremdungseffekten herbei. Taucht etwa ein Wortungetüm wie Credit Default Swap auf, wendet sich der Hauptdarsteller kurzerhand dem Betrachter zu und stellt folgerichtig fest: »Das haben Sie nicht verstanden!?« Und nur einen Augenblick und Schnitt später sehen wir schon Margot Robbie nackt in einer Badewanne sitzen, um uns in Wikipedia Light zu erklären, was es mit diesem schlimmen Wort auf sich hat.
Und wo wir schon bei Namen sind, sollte gleich ein weiterer »Verfremdungseffekt« – neben dem Krokodil im Swimmingpool – von The Big Short Erwähnung finden: das außergewöhnliche Casting. Fast so, als wollte McKay sagen – je dröger die Rolle, desto geiler ihr Hauptdarsteller – erleben wir von Christian Bale, über Steve Carell, Ryan Gosling, John Magaro und Finn Wittrock bis zu Brad Pitt eine regelrechte Hausse an männlichem Sexappeal. Doch als ob der identifikatorische Bruch mit ihren klassischen Rollen nicht schon reicht, spielt McKay auch mit dem identifikatorischen Betrachter, dem Zuschauer im Kino. Denn tatsächlich hätte er die Gruppe der gegen den Wahnsinn wettenden Finanzgenies zumindest in Ansätzen zu den Helden stilisieren können, die sie für viele in der Finanzwelt heute noch sind. Helden, die aus dem Zusammenbruch einer Chimäre auf kreative Weise Geld gewonnen haben.
Aber The Big Short verweigert sich dieser Auslegung. Von Anfang an sind McKays Helden immer auch Verräter, moralisch gebrochene Menschen, denen klar ist, dass ihre Gewinne aus dem Platzen der Immobilienblase letztendlich von den Steuerzahlern aller betroffenen Länder finanziert werden und damit nicht nur die Gier, sondern auch die Bescheidenheit des »kleinen Mannes« gleichermaßen und gnadenlos abgestraft wird.