Deutschland 2014 · 109 min. · FSK: ab 0 Regie: Detlev Buck Drehbuch: Bettina Börgerding, Detlev Buck Kamera: Marc Achenbach Darsteller: Lina Larissa Strahl, Lisa-Marie Koroll, Louis Held, Emilio Moutaoukkil, Michael Maertens u.a. |
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Neue Frauen (und Männer) braucht das Land |
»Ich habe Schwierigkeiten, noch einmal einen Artikel über ›geschlechterspezifische Sozialisation‹ zu schreiben, aus verschiedenen Gründen: Dem Sozialisationskonzept sind grundlegende Annahmen nicht wirklich auszutreiben, dich ich nicht mehr teilen kann: erstens die Trennung von Individuum und Gesellschaft sowie die Vorstellung, das sich bildende Individuum sei Objekt von Sozialisationsprozessen, und zweitens das Konzept der stabilen Persönlichkeit/ bzw. des (hoffentlich) mit sich identischen Individuums, das durch Sozialisation entstünde. Das dritte Problem ergibt sich daraus, dass die Frage nach geschlechtsspezifischer Sozialisation bedeutet, nach geschlechtsdifferenzierenden ›typischen‹ Sozialisationsbedingungen und nach Geschlechtsunterschieden im Verhalten, Denken, Fühlen zu fragen. Solche Fragen laufen fast zwangsläufig auf die Konstruktion eines männlichen und eines weiblichen Sozialcharakters hinaus. Damit vollziehen wir die polarisierende gesellschaftliche Konstruktion der zwei Geschlechter einfach nach und reproduzieren den schematisierenden Dualismus von männlich-weiblich.«
Helga Bilden, Geschlechtsspezifische Sozialisation. In: Klaus Hurrelmann/Dieter Ulich (Hg.), Handbuch der Sozialisationsforschung. Weinheim 1980, S. 777-812+ + +
Es ist mal wieder schlechte Stimmung auf Schloss Falkenstein: Mitten in den Vorbereitungen zum großen Kostümfest wird eingebrochen. Nicht nur die wertvollen Gemälde sind weg, nein – es fehlt auch Graf Falkos Monokelsammlung. Doch damit nicht genug: Auch auf dem bei allen Pferdenarren beliebten Martinshof ist die Laune im Keller. Kein einziger Feriengast ist bisher in Sicht. Und dann passiert noch etwas: Bibi verliebt sich zum ersten Mal...
Was sich wie die 113. dummdämliche Aufreihung von fragwürdigen Plottperlen des erfolgreichen Hörspiel-Franchises um die Hexe Bibi Blocksberg liest, ist allerdings weit mehr. Schon der im März diesen Jahres erschienene erste Teil von Bibi & Tina überraschte. Nicht nur durch eine witzige, Gender-Konventionen links liegen lassende Herangehensweise bezüglich des Genres »Pferdefilm«. Auch schauspielerisch ließ schon der erste Teil einen anderen Pferdefilm, Katja von Garniers erfolgreichen Ostwind (2013) weit hinter sich. Was in Ostwind vorhersehbar geplotet, schlecht gespielt und dann mit einem nahezu unerträglichen Soundtrack sediert wurde, war schon bei Bibi & Tina wohltuend anders. Und ist es auch in Bibi & Tina: Voll verhext!, dem zweiten Teil. Die in der Kurzzusammenfassung vielleicht klischiert anmutende Handlung ist filmisch umgesetzt ein alles andere als eindimensionaler Spaß.
Das liegt nicht nur an den überzeugenden schauspielerischen Umsetzungen der Stammbesetzung um Bibi (Lina Larissa Strahl), Tina (Lisa-Marie Koroll), Alexander (Louis Held) und Graf Falko von Falkenstein (Michael Maertens), sondern einer von Detlef Buck verantworteten Regie, die immer wieder ungewöhnliche Wege beschreitet, um das Genre aus seiner spießigen Schublade zu zerren und ordentlich durchzuschütteln.
Das geschieht zum einen über die Musik, die gerade nicht dazu benutzt wird, um dramaturgische Schwächen zu kaschieren, sondern durch Anleihen bei innovativen Formaten wie der US-Serie GLEE, den Song und seine Performance entkoppelt integriert und damit auch die Handlung auf eine ironische, wohltuend reflektive Ebene hievt.
Doch die eigentliche Stärke ist die Geschichte, in der auch im zweiten Teil ein klassisches, antagonistisches Motiv bedient wird: das Eindringen des Bösen in eine gut behütete Welt. Buck variiert dieses Thema jedoch auf seine sehr eigene, humoristische Art und versieht es auch im zweiten Teil mit derben Brüchen. Nicht nur wird der Böse (überzeugend blöd: Olli Schulz) über Slapststicksequenzen und Blödeldialoge spielerisch demaskiert, sondern wird auch gleich im Doppelpack ein neues feminines, wenn nicht gar feministisches Selbstbewusstsein konstruiert.
Denn die Männer bleiben auch im zweiten Teil immer wieder groteske, schwache Ableger ihrer Spezies. Die jedoch nicht nur bereit sind, sich auf die ungewöhnlichen, neuen Frauenrollen einzulassen – und damit die alten geschlechterspezifischen Hierarchien hinter sich zu lassen – sondern sogar hilfreich und spielerisch daran mitwerkeln, diesen ganz neuen Männertypus auch sinnvoll zu etablieren.
Das macht aus Bibi & Tina dann fast so etwas wie die utopische Variante des dystopischen Angriffs auf die alten Geschlechterverhältnisse in Tribute von Panem. Es gibt also Hoffnung.
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»Das sind Bibi und Tina, auf Amadeus und Sabrina, sie jagen im Wind, sie reiten geschwind, weil sie Freunde sind, weil sie Freunde sind.«
(Refrain von Bibi&Tina, Titelsong)