NL/B/GB/D 2006 · 154 min. · FSK: ab 16 Regie: Paul Verhoeven Drehbuch: Gerard Soeteman, Paul Verhoeven Kamera: Karl Walter Lindenlaub Darsteller: Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman, Halina Reijn, Waldemar Kobus u.a. |
Statt Black Book wäre Bei den Nazis ist der Teufel los der angemessenere Titel für dieses hyperventilierende Drama vor dem Hintergrund der Niederlande unter deutscher Besatzung. Mit dem braven Geschichtsbewältigungs- und Vergangenheitsverklärungskino deutscher Provinienz hat dieser Film ungefähr so viel gemein, wie ein Italowestern mit einem Werk von Wim Wenders.
Weil Regisseur Paul Verhoeven aus den Niederlanden kommt, darf er sich auch Verallgemeinerungen, Verkürzungen und manch grobgeschnitzten Moment erlauben, den man einem deutschen Regisseur nicht so schnell verzeihen würde – die Welt ist ungerecht, stimmt, aber das muss Verhoeven ja nicht kümmern.
Verhoeven kann, das hat er in seinen bisherigen Filmen gezeigt, ein richtig guter Filmemacher sein, und er kann richtig trashige Filme drehen, deren Haltung nicht wirklich sympathisch ist. Ein Hauch von Exploitation durchzog selbst Basic Instinct, der ihn 1992 berühmt machte, nachdem er Mitte der 80er nach Hollywood gekommen war. Den Titel könnten alle seine Filme tragen, nicht zuletzt auch diese Geschichte einer tapferen Frau, über eine junge jüdische Sängerin zwischen 1944 und der Befreiung der Niederlande. Zunächst versteckt sich Rachel Stein (Carice van Houten in einer phänomenalen charismatischen One-Girl-Show) einfach, dann versucht sie mit ihrer Familie zu fliehen, als diese Flucht scheitert, schließt sie sich dem Widerstand an. Weil ihr ihr hübsches Aussehen und ihr Verstellungstalent viele Türen öffnen, landet Rachel, die sich jetzt Ellis nennt, als Spionin im Gestapo-Hauptquartier. Sie verliebt sich dabei ausgerechnet in einen SS-Offizier (Sebastian Koch, erkennbar mit früheren Rollen als Speer und Stauffenberg spielend) kämpft gegen Verräter in den eigenen Reihen und natürlich gegen die Nazis. Nach diversen Momenten der Todesgefahr entlarvt sie während der Befreiungsfeiern zuletzt auch noch einige niederländische Kollaborateure und entdeckt das titelgebende »Schwarzbuch«, eine Namensliste der Landesverräter.
Ein Abenteuerfilm ist das also, ein Thriller vor dem Hintergrund der Besatzung – antifaschistisch, aufgehübscht und versext. Interessant, dass kaum eine Kritik des Films jene Szene unerwähnt lässt, in der Rachel/Ellis sich die Haare färbt, ALLE Haare wohlgemerkt, damit sie auch im Bett als blondes Mädel durchgeht, und das vor dem Spiegel, damit wir Zuschauer das auch sehen. Kino hat halt was mit Zeigen zu tun für Verhoeven, aber zugleich baut er hier auch eine Skandalisierungs-Falle auf, in die prompt alle hineintappen. Nicht nur die Kritiker, die sie – wie wir hier – zitieren, sondern erst recht der Spiegel-Praktikant, der Verhoeven interviewen durfte, und doziert: »Die Frage, warum in der Geschichte einer niederländischen Jüdin, die sich 1944 dem Widerstand anschließt, pausenlos nackte Brüste zu sehen sein müssen, ist doch gar nicht so abwegig.« Vielleicht doch. Warum sollen denn keine nackten Busen zu sehen sein, bloß weil eine der Frauen Jüdin ist? Oder dürfen Jüdinnen keinen Sex haben, während andere Juden in die Gaskammer geschickt wurden und Anne Frank noch in ihrem Versteck hoffte? Nur mal als Gegenfrage. Dann fragt der Spiegel-Praktikant noch: »Ist das lüsterner Trash oder ein genialischer Blick in die Abgründe einer Zeit, die alle – Opfer wie Täter – entblößte, körperlich und moralisch?« Schade, dass er die Frage dann nicht beantwortet. (Oder hat er sie rhetorisch gemeint?) Unsere Antwort ist klar: natürlich ein Blick in die Abgründe. Denn dass diese Zeiten für alle, gerade für die Guten jener Jahre, ein Wandeln über Abgründe bedeutete, nicht auf sicheren Pfaden, das ist die moralische wie intellektuelle Dimension dieses Films jenseits von hübschen Girls und fetten Nazis.
In seiner Gestalt ist Black Book dabei postmodern und archaisch zugleich. Ein freies Austoben, in manchem wie ein Comic-Book für Erwachsene, mitunter wie von einem Surrealisten geschrieben und vom göttlichen Marquis: mit einer eigenen, selbst gesetzten Poesie des Schönen, ohne Rücksicht auf Rationalität und Moral.
Zusätzlichen Reiz gewinnt Black Book aber eher aus anderem: Etwa einigen offenkundigen, aktuellen Anspielungen: Denn kaum zufällig bedienen sich die deutschen Täter hier dergleichen Foltermethoden wie die US-Amerikaner, und kaum zufällig weigert sich die Besatzungsmacht wiederholt, »mit Terroristen zu verhandeln«, im englischen Original entsprechende Formulierungen von George W. Bush kopierend. Der zweite Reiz des Films liegt in seinem moralischen Relativismus. Darin ist Black Book nämlich ganz klassisch europäisch: Das Menschenbild ist pessimistisch, fern aller Hollywooddramaturgie und jener Simplizität, die US-Filme so vorhersehbar und langweilig macht. Langweilig ist hier nichts; der Film ist überaus flüssig und dynamisch erzählt, und wenn man ihm in der Hinsicht überhaupt etwas vorwerfen kann, ist das eher eine gewisse Kurzatmigkeit.
Der Relativismus hat dann freilich die Folge, dass die Nazis über Gebühr gut wegkommen. Verhoevens Furor gegen die Kollaboration seiner Landsleute lässt ihn mitunter vergessen, mit wem sie hier kollaborierten.
Verhoeven will an einige schlichte und schmerzhafte Wahrheiten erinnern, aber Black Book will nicht realistisch und differenziert sein, das Bild, das hier entworfen wird, ist so rustikal und grobgestrickt, wie es Filme – nicht nur Verhoevens – in den 60er und 70er Jahren waren, wie auch schon Hitchcocks Kriegsthriller. Es ist ein nostalgischer Film, der aber in seiner 70er-Ästhetik auch bewusst überzeichnet und etwas trashig wirkt.
Erkauft werden Schlichtheit und Nostalgie mit grellen Effekten und einer gehörigen Portion Kolportage. Drehbuchautor Gerard Soeteman und Regisseur Paul Verhoeven muten den Zuschauern viel zu. Doch in dieser Geballtheit liegt paradoxerweise die Stärke des Films. Einerseits scheint es viel zu viel, was den Figuren hier an Handlung, Konflikten und emotionaler Achterbahnfahrt aufgebürdet wird. Andererseits wird man alle möglichen Gefühle durchleben. Nicht das Schlechteste, was sich über einen Kinofilm sagen lässt.
Es gibt Momente in diesem Film, da dreht man sich im Kinosessel vor Peinlichkeit. Aber es gibt andere, da windet man sich vor Vergnügen. Es mag bisweilen ein ziemlich billiges Vergnügen sein, das des Jahrmarkts, aber damit führt Verhoeven seinen Film nur an die Ursprünge des Kinos zurück.
Trotzdem ist dies nichts für das Multiplex-Publikum, die Primitivität eines Verhoeven ist eine der blankliegenden Nerven, nicht der Betäubung sondern des aufgerissenen Fleischs. Darin ist er einem Mel Gibson ebenso verwandt wie einem Pasolini, und irgendwo dazwischen liegt dieser Film. Sein expressives Moment gibt ihm etwas eigenartig Unwirkliches, weshalb Black Book aber umgekehrt erstaunlich frei ist von jeder Beflissenheit. Ein bisschen voyeuristisch, und von grundsätzlicher, heiterer Verspieltheit ist dies einfach ein Stück echtes Kino.