China 2024 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Guan Hu Drehbuch: Guan Hu, Ge Rui Kamera: Gao Weizhe Darsteller: Eddie Peng, Tong Liya, Jia Zhang-Ke, Zhang Yi, Zhou You u.a. |
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Über weite Strecken visuell reizvolle Tableaus... | ||
(Foto: Filmwelt) |
Black Dog – Weggefährten beginnt wie ein Western. Der Wind treibt runde Tumbleweed-Büsche, auch Steppenläufer genannt, über die karge Halbwüste, die wie eine Savanne im sogenannten Wilden Westen aussieht. Plötzlich stürmen Dutzende wilde Hunde von einem Hügel herunter, überqueren eine staubige Straße und irritieren einen Kleinbusfahrer so sehr, dass sein klappriges Gefährt umkippt. In dem Bus sitzt unter anderem Lang Yonghui, der nach zehn Jahren im Gefängnis vorzeitig entlassen wurde und nun in seine Heimatstadt Chixia am Rande der Wüste Gobi zurückkehrt.
Der 38-Jährige war wegen Verwicklung in einen Totschlag am Neffen des Schlachters, Schlangenzüchters und Gangsterbosses Hu verurteilt worden. Als Lang in der Stadt eintrifft, erkennt er sie kaum noch wieder. Viele Häuser stehen leer oder sollen platt gemacht werden, die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt. Durch die öden Straßen ziehen massenhaft streunende Hunde. Dafür weisen Reklametafeln auf die Olympischen Spiele von 2008 hin, die in wenigen Wochen in Peking beginnen.
Lang, der als erfolgreicher Motorradstuntfahrer in einem Zirkus und als Rockgitarrist einst eine lokale Größe war, begegnet alten Bekannten und sucht nach einem Neuanfang. Er zögert aber die Begegnung mit seinem alkoholabhängigen und schwerkranken Vater hinaus, der sich um den weitgehend verlassenen Zoo kümmert. Lang muss sich regelmäßig bei der Polizei melden und darf die Stadt nicht verlassen. Schließlich wird er dazu gedrängt, sich einem Trupp von Männern anzuschließen, die die herrenlosen Hunde einfangen sollen. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, einen schlanken schwarzen Hund, der angeblich die Tollwut hat, dingfest zu fangen. Doch Lang entwickelt rasch eine Freundschaft zu dem Hund, der ebenso einsam ist wie er selbst.
Gespielt wird der schweigsame Einzelgänger von dem chinesischen Star Eddie Peng (The Great Wall). Als Lang spricht er kaum, zeigt nur eine beschränkte Mimik und bleibt somit rätselhaft. Sein Minimalismus erinnert gelegentlich an den Stoizismus von Clint Eastwood, auch das eine Reverenz des bekannten chinesischen Regisseurs und Drehbuchautors Guan Hu ans klassische US-Kino.
Guan Hu, 1967 in Peking geboren, wird zur sogenannten sechsten Generation des chinesischen Kinos gezählt, die meist ein eher düsteres Bild des heutigen China zeichnet. Nach dem Kriminaldrama Mr. Six (2015) und dem aufwendigen Kriegsfilm The 800 (2020), beides veritable Kassenmagneten in China, wendet sich Guan nun einem Sozialdrama in kleinerem Format zu. Seine lakonische Kombination aus Außenseiterdrama und Western verknüpft souverän Elemente von Road Movie und subversiver Komödie zu einer eigenwilligen Freundschaftsparabel.
Nachdem Lang den vermeintlich tollwütigen Windhund zunächst wegen der ausgelobten Belohnung gejagt und dabei schmerzhafte Bisswunden davongetragen hat, finden die beiden Außenseiter schnell zusammen. Sie können sich gegenseitig beistehen und aus der Isolation befreiten. Ja, der schwarze Hund eilt Lang später sogar zu Hilfe und springt durch ein Fenster in ein Haus, in dem der Ex-Häftling gegen drei Schergen des Fleischers kämpft.
Scheinbar beiläufig lässt der Regisseur kritische Verweise auf Entwicklungen der chinesischen Gegenwartsgesellschaft in die ruhige Narration einfließen. So kontrastiert der allgegenwärtige Verfall von Chixia und insbesondere der trostlose Zoo mit den propagandistischen Plakaten und Rundfunkbeiträgen, die darauf spekulieren, der kommunistischen Diktatur durch die Olympischen Spiele Glanz und Glamour zu verschaffen. So sorgt die Staatsmacht auch dafür, die verfallene Stadt in ein besseres Licht zu tauchen, indem sie die verwilderten Hunde fangen und in einem Lager vor der Stadt internieren lässt. Und Langs Haus ist wie viele andere in seinem Viertel bereits »zum Abriss freigegeben«, wie eine Schrift an einer Mauer erklärt. Kurz vor Filmende rollen denn auch Planierraupen und Bagger an, um die vom Regime angeordnete »Stadterneuerung« voranzutreiben.
Bemerkenswert an der Inszenierung ist, dass darin fast keine Frauen vorkommen. Die einzige nennenswerte Figur ist die impulsive Zirkusartistin Grape, gespielt von Tong Liya, die Lang mit ihrer Direktheit und Entschlossenheit beeindruckt. Doch ehe sich die beiden ernsthaft näherkommen können, zieht ihr Zirkus weiter.
Ist die Inszenierung über weite Strecken durch visuell reizvolle Tableaus, imposante Landschaftsaufnahmen der Halbwüste und eine lakonische Atmosphäre geprägt, so setzt Guan im letzten Drittel eigenwillige Akzente durch szenische Ausflüge ins Surreale und den Rückgriff auf elegische Klänge. Bleibt der Film sonst weitgehend frei von Musik, so unterstreichen die beiden Pink Floyd-Songs »Hey You« und »Mother« eine melancholische Stimmungslage.
Insgesamt ist dies eine sehenswerte Arbeit voller Wehmut und Sehnsucht, die gleichwohl die Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung nicht fahren lässt. Auf dem Filmfestival in Cannes 2024 gewann der Film, den der Regisseur seinem Vater und »allen, die sich wieder auf die Reise machen« gewidmet hat, den Hauptpreis der wichtigen Nebenreihe Un Certain Regard.
Hunde, pausenlos, hunderte von ihnen, alle herrenlos...
Nach einem irreführenden, aber sehr spektakulären Auftakt erzählt dieser Film von einem von ihnen und von seiner Beziehung zu einem Menschen. So herrenlos wie der Hund ist auch der entlassene Strafgefangene, der kein Leben hat, in das er zurückkehren könnte. Er verdingt sich als Hundefänger. Und es dauert nicht lang, bis wir erkennen, dass die Hunde hier den Menschen überlegen sind.
Alles spielt nahe der Wüste Gobi, in einer gähnend leeren Trabanten-Stadt, deren öde
Beton-Landschaft selbst nur eine andere Art der Wüste ist.
So ist dieser Film ein bisschen ein Western aus der Gegenwart und ein bisschen ein Porträt des kommenden China, des Chinas des 21. Jahrhunderts.
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Seitliche Kamerabewegungen, die parallel zum Gezeigten verlaufen, signalisieren im Kino oft Distanz, mitunter sogar kühle Gleichgültigkeit.
Black Dog – Weggefährten, der neueste Film des chinesischen Regisseurs Guan Hu, ist voll von solchen Kamerafahrten, aber vielleicht bedeuten sie in diesem Fall doch etwas anderes.
Dieser Film ist durch weite und weiträumige Aufnahmen strukturiert, die viel Land, Himmel, Objekte und Körper zeigen, und doch ist es, wenn die Kamera von einem mehr oder weniger entfernten Ort aus über diese Dinge schwenkt, so, als ob diese riesigen Weiten eine Art Verfall erleben: Während der Zuschauer sich in sie verlieren möchte, visuell Besitz von ihnen ergreift, wird ihre Präsenz – in gewisser Weise – ausgehöhlt.
So findet die Fragmentierung in Black Dog innerhalb der großen Fläche der Einstellungen selbst statt, nicht durch Schnitt und Montage, nicht einmal durch die Aufteilung der Geschichte. Und vielleicht ist das der beste Weg, um von den Veränderungen im China von heute zu erzählen, die für die Bewohner ebenso spürbar sind wie die langsame Zerstörung des Raums für uns im Kino.
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Denn darum geht es, vor allem wenn man bedenkt, dass dieser Film vor 17 Jahren spielt, am Vorabend der Olympischen Spiele 2008 in Peking.
Die Stadt, in die die Hauptfigur nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zurückkehrt, verschwindet, um anderen, noch nicht sichtbaren urbanen Strukturen Platz zu machen, und es ist diese Mutation, die sich langsam offenbart, so als ob sie nur sichtbar wird, wenn man durch sie hindurchgeht. Daher gibt es hier diese vielen, von ihren bisherigen Besitzern ausgesetzten Hunde. Wie Gespenster dringen sie in die Straßen ein – fremdartige, geheimnisvolle Höllenhunde. Und daher auch die flüchtige und stumme Präsenz des Protagonisten, der Zeuge dieses Verschwindens ist.
Der Film basiert hauptsächlich auf einem Wiederholungseffekt. Immer wieder gehen wir durch diese Straßen, die Häuser mit den zerbrochenen Fenstern, die Räume, die verschwinden, den Zoo und die Zäune, die Bahnübergänge und die baufälligen Innenräume. Und immer wieder kommen und gehen diese Orte, die zu Nicht-Orten werden. So wie der Protagonist selbst kommt und geht, wie es der verlassene schwarze Hund tut, den er sich aneignet. Dieser Mensch ist wenig sympathisch, er ist gewalttätig gegenüber anderen Menschen, friedlich nur in Gesellschaft des Hundes.
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Der schwarze Hund ist die Unterscheidung. Er ist das, was sich weigert zu verschwinden, wenn alles verschwinden soll, das, was sich so schnell bewegt, dass es unauffindbar ist. Der schwarze Hund ist das einzige, was hier spurlos ist, aber existiert.
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So entfaltet dieser Film eine abstrakte Poetik des Raums und der Bewegung – die der Kamera, der Hunde, der Menschen. Aus dieser Poetik entsteht ein Beinahe-Science-Fiction-Film, eine Abfolge von Mondlandschaften, die bei einer Sonnenfinsternis, wie wir sie hier erleben, noch seltsamer wirkt. Manchmal wird das Beharren auf diesen Bedeutungswellen beschwerlich, scheinbar endlos, dreht sich um sich selbst und stagniert. Zu anderen Zeiten jedoch provoziert die Anhäufung einen musikalischen Effekt, einen atonalen Gesang, der wie eine Staubdecke über die Bilder fliegt.
Black Dog ist ein Film ohne Richtung, ein Film, der sich seine Orientierungslosigkeit auf die Fahnen schreibt. Wie das Land selbst, dessen Identität im Transit er zu reflektieren sucht. Ein schwarzes, schönes Geheimnis.