USA 2015 · 123 min. · FSK: ab 16 Regie: Scott Cooper Drehbuch: Mark Mallouk, Jez Butterworth Kamera: Masanobu Takayanagi Darsteller: Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Dakota Johnson, Kevin Bacon u.a. |
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Facettereicher, kluger Mafiathriller |
»Die ganze Nachbarschaft liebte Jimmy, er war der Typ Junge, der alten Damen über die Straße hilft.« Es geht los mit idyllischen Jugenderinnerungen. Aus dem Off erzählt, und wie wir Zuschauer von Anfang an wissen, in Verhörzimmer des FBI, wo Kriminelle auspacken, gegen Straferlass. Die Erzählungen aus der Jugendzeit handeln davon, wie aus den Räuber- und Gendarmspielen der Kindheit allmählich Ernst wurde. »Aber wie früher auf dem Spielplatz war es auch später nicht immer einfach zu sagen, wer hier wer war.«
Ein abgründiger Satz, der früh fällt in diesem Film, und dessen Kern schon vorwegnimmt. Denn dieser Kern, dem eine wahre Geschichte zugrunde liegt, ist eine schier unglaubliche Verquickung von Polizei, Politik und organisierter Kriminalität im Amerika der Siebziger, Achtziger und neunziger Jahre. Als die Sache irgendwann aufflog – und das nur, weil ein paar tapfere Reporter des Boston Globe und des »New Yorker« alles recherchiert hatten, immer in Gefahr, von der Mafia oder dem FBI zusammen mit einem Zentner Beton im Fluß versenkt zu werden – stürzten hochrangige Beamte und Politiker wie die Bowlingkugeln, sogar ein US-Senator musste zurücktreten.
Boston, 1975: Die südlichen Viertel der Stadt sind fest in der Hand der der »Winter Hill Bande«. Deren Kopf ist James Bulger, genannt »Whitey«. 1929 geboren hatte er bereits mehrere Haftstrafen hinter sich, und sich mit derlei Gangsterruhm und äußerster Brutalität ganz nach oben gekämpft. Eines Tages kommt John Connolly in die Stadt. Der FBI-Agent hat sich einen Namen als gerissener Ermittler gemacht, und übernimmt die Zuständigkeit für organisiertes Verbrechen. Connolly stammt aber auch aus Boston, und ist im selben Straßenviertel wie »Whitey« aufgewachsen, beide sind überdies irischstämmig – und derleih Gemeinsamkeiten zählen viel auf »der Straße«. John weiß, mit »Jimmy« kann man reden, zudem ist dessen älterer Bruder ein sehr respektierter aufstrebender Politiker. Also trifft man sich konspirativ, den auch ein Gangsterboss gefährdet seine Reputation, wenn er sich mit Polizisten trifft. Aber »Whitey« ist auch schon 45 und will es allmählich ruhiger angehen lassen. So tut man sich zusammen und lässt die Italiener aus dem Nordosten hochgehen – ein Geschäft mit gegenseitigem Nutzen: Connolly kann sich mit Ermittlungserfolgen brüsten, Bulger ist lästige Konkurrenz los. Das geht eine ganze Weile gut, vor allem weil die Polizei die Augen zumacht – auch Connolly. Doch spätestens, als Bulger weiterhin brutal und skrupellos die Bostoner Unterwelt regiert, beginnen sich die Ermittlungen auch auf den Informanten zu konzentrieren. 1995 konnte Bulger kurz vor seiner Verhaftung untertauchen. Erst 17 Jahre später wurde er gefasst, und verbüßt heute eine lebenslange Haftstrafe.
Dies sind die Fakten, die Regisseur Scott Cooper korrekt nacherzählt. Man kann jedem neugierigen Zeitgenossen nur empfehlen, einmal die Berichte dazu im New Yorker nachzulesen. Doch zugleich überhöht der Film dieses spektakuläre Gangsterleben zu einem Panorama des Amerika der 80er Jahre und der Verflechtungen zwischen Ordnungskräften und Verbrechen. Wichtig ist dabei, dass Johnny Depp den Gangsterboss zwar auf den Spuren der eisigen Brutalität von Marlon Brandos Der Pate-Darstellung spielt, aber ihm niemals dessen Patriarchen-Wärme gibt. Das Positivste, was sich über Depps Bulger sagen lässt ist, dass er aufrichtig und fühlbar um seinen früh gestorbenen kleinen Sohn trauert. Der Rest ist ein scheinbar emotionsloser Verbrechensroboter, der von Zynismus durchzogen ist, dessen Motive aber im Dunkeln bleiben.
Verständlicher sind die beiden anderen Hauptfiguren: Benedict Cumberbatch spielt »Whiteys« Bruder Billy, der eine rasante Politik-Karriere absolvierte und es bis zum US-Senator brachte, als zwielichtige Figur, bei dem bis zum Ende im Dunkeln bleibt, ob er seinen Bruder deckt oder ob dieser auch sein Leben zum Teil zerstörte. Die aufregendste Figur und eine großartige Darstellerleistung ist Joel Edgertons Part als John Connolly – ein leutseliger Hans-Dampf, der lange souverän zwischen Gut und Böse balancieren kann, bevor ihm dämmert, dass er unweigerlich abstürzen wird.
Das Fazit und die amoralische Botschaft dieses facettereichen, klugen Mafiathrillers bildet ein Satz, den Bulgar einmal seinem etwa achtjährigen Sohn beim Frühstück mitgibt: »Es ist egal, was Du tust, es kommt nur darauf an, wo, wann, mit wem, und wer dabei zusieht.«