USA 1999 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez Drehbuch: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez Kamera: Neal Fredericks Darsteller: Heather Donahue, Michael C. Williams, Joshua Leonard |
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Fast nur die Tonspur zählt |
Es ist 1985, ich bin zehn Jahre alt, sitze alleine zu hause und glotze in den Fernseher. Auf dem Bildschirm jagt Lex Barker, den ich zunächst dafür hasse, dass er Pferd und Gewehr vergessen hat, als heldenhafter Detektiv oder Polizist einen Unsichtbaren. Es muss ein alter Dr. Mabuse-Film gewesen sein. Vieles davon habe ich vergessen, aber an eine Szene werde ich mich wohl mein ganzes Leben erinnern können. Sexy Lex und die Badewanne. Er läßt gerade Wasser ein, vielleicht ist er schmutzig. Irgendwie spürt er die Bedrohung oder irgend jemand hat ihn auf sie aufmerksam gemacht. Jedenfalls weiß er, dass der Unsichtbare mit ihm in diesem Raum sein muss. Der Schurke nähert sich von Hinten. Das unsichtbare Böse, dass seinem Namen alle Ehre macht und den ganzen Film über natürlich noch nicht zu sehen war, will Lex zur Strecke bringen. Der Ex-Indianerfreund greift zu einem brillanten Trick: er dreht einfach das heiße Wasser voll auf. Der Raum, das Badezimmer füllt sich in wenigen Sekunden mit Dampf. Und, was das Wesentliche ist, das Böse, Mr. Tod bekommt endlich einen Platz in diesem Raum zugewiesen, den er nicht einfach wieder verlassen kann, um plötzlich und unerwartet an anderer Stelle aufzutauchen. Sein Körper manifestiert sich, wenn auch nur als Schatten, verdrängt ein gewisses Volumen an Nebel. Lex kann endlich die Knarre auspacken und auf irgend etwas schießen. Mein kleiner Kopf ist beruhigt. Er kann die Quelle allen Übels endlich orten. Ein bestimmter, begrenzter und vor allem sichtbarer Platz zeigt sich als Ursprung der namenlosen Greuel.
Als ich vierzehn Jahre später ins Kino gehe, um mir The Blair Witch Project anzusehen, stelle ich mit Erschrecken fest, dass zwei hundsgemeine Regisseure das Böse aus dem Käfig, dem Körper gelassen haben. Der Inhalt ist unspektakulär: Drei Studenten drehen einen Dokumentarfilm über eine unheimliche Legende, eine Hexe. Furchtbar an dieser Geschichte die Tatsache, dass das Unternehmen direkt in einen Wald führt, in dem es weder Badewannen noch einen gutgelaunten Lex Barker gibt. Rettung also vorerst nicht in Sicht. Nach 80 Minuten, als alles zu ende ist und das Licht angeht, frage ich mich: Wieso wäre ich am liebsten schreiend aus dem Kino gelaufen? Die Frage nach der Authentizität der Bilder spielt in diesem Kontext eine eher untergeordnete Rolle. Ob die Geschichte, der Mythos um die Hexe von Blair nun Wahrheit oder Fiktion ist, scheint mir belanglos. Die primäre Rolle des Kinos ist die Illusionsbildung und The Blair Witch Project macht da keine Ausnahme. Es gibt einige Indizien für eine Inszenierung entsprechend der formalen Regeln des Spielfilms.
Klassisch mutet die Erzählform an. Zwei Handlungsstränge, die Streitereien innerhalb der Gruppe und die seltsamen, unheimliche Begebenheiten der Umgebung, des Waldes. Beide laufen am Ende ineinander, verbunden durch die Gestalt Josh. Die Nacht als Zeitpunkt des Grauens wird systematisch aufgebaut, denn traditionell erscheinen die Gespenster immer um Mitternacht. Die Bewegung nach Vorne, hin zu einer im wahrsten Sinne des Wortes deadline, ist zu jeder Zeit gegeben. Die Aufnahmen der Gruppe wirken aufgrund der eigentümlichen Dreharbeiten natürlich spontan und echt. Aber der Schnitt kann nicht verschweigen, dass es einen Grund gibt, ein Ziel, auf das der Film hinauswill. Der »Showdown« seinerseits wird im Märchen situiert. Das Hexenhaus als der Ort an dem alles enden wird. Die Kinder kommen in den Backofen... Der Anspruch auf Authentizität kann es meiner Meinung nach nicht sein, was The Blair Witch Project diese überragende Qualität verleiht. Zumal ich die Homepage zum Film im Vorfeld kein einziges Mal besucht hatte, also mir jederzeit im Klaren war, dass es eine erfundene Geschichte sein muss.
Ich denke, die besondere Intensität des Filmes speist sich aus einer Quelle, die eher filmuntypisch ist: Das Böse war zu keiner Zeit zu sehen. Die Regisseure haben es geschafft, aus den finanziellen Defiziten die eigentlichen Stärken zu machen. Kein Filmblut, kein einziger Tropfen, wird vergossen. Keine Dämonenmasken aus Latex. Wozu auch? Jan De Bonts Das Geisterschloss hatte erneut bestätigt dass jeder special effect in einem Horrorfilm ein Trick zu viel ist. Nicht wissen, nicht sehen, das schafft Angst. Steinstatuen, die sich plötzlich bewegen, sind Selbstzweck, stellen allenfalls einen ästhetischen Reiz dar und lenken genau von dem ab, was das Wesentliche sein sollte: das Grauen. Blair Witch verzichtet fast vollständig darauf, seinen Zuschauern auf der visuellen Ebene Angst einzujagen, weil das Böse kaum Darstellbar ist. Hunderte abgeschlagener Köpfe würden mir nicht so viel Angst einjagen wie die Nächte irgendwo im Zelt in Maryland.
Die höchste Intensität erreicht Blair Witch in den Szenen, in denen nichts zu sehen ist. Die vollkommene Dunkelheit ist im Kino kaum auszuhalten. Das Grauen ereignet sich regelmäßig auf der Tonspur. Der Film verläßt das visuelle Zeitalter und erwischt den Zuschauer da, wo er sich nicht mehr wehren kann, wo er schutzlos ausgeliefert ist. Er kann sich die Ohren zuhalten, aber die Schreie der gequälten Kinder wird er noch immer hören. Die Segnungen des digitalen Sounds. Die naivste Schutzhaltung, die des Kindes, das sich die Augen zuhält, wird damit untergraben. Du kannst entscheiden, ob du sehen willst, aber du musst hören.
Die Bilder in Blair Witch sind eher belanglos. Ein paar Steinhaufen, Voodoopuppen, aus Zweigen billig zusammengebaut und effektvoll eingesetzt. Aber nichts davon erlangt die Intensität der nächtlichen Schreie von Josh. Bedrohung entsteht in dem Raum, der nicht zu sehen ist. Das Böse wartet an der Stelle, wo die Kadrierung das Sichtbare abschneidet.
Gegen Ende des Films reduziert sich die Angst auf einen einzigen Gedanken: »Irgendwann wird gar nichts mehr zu sehen sein...«. Angereichert mit der Vorstellung, dass der Tod der Bilder den Tod der Protagonisten voraussetzt. Die Handkameras lassen uns nur das sehen, was auch das Auge im Sucher findet. Irgend jemand oder irgend etwas wird sich von Hinten nähern und töten. Und das schlimme ist nicht die Tat an sich, sondern der Umstand, dass wir nie erfahren werden, wer oder was getötet hat. Es wird kein Bild des Bösen geben. Das Kamerabewußtsein ist das Bewußtsein der Protagonisten, niemand wird im Nachhinein die Leichen zeigen, niemand wird genau wissen, was passiert ist.
Das Böse hat seinen Käfig verlassen, treibt sein Unwesen gestaltlos im Wald, verbreitet sich durch Töne in der Luft, die überall ist... Und alles was ich auf der Leinwand erkennen kann sind sinnlose, zittrige Aufnahmen von ein paar Bäumen. Aber das ist die Stärke des Filmes. Das Grauen ist nicht einzuordnen, nicht zu bekämpfen, weil es keinen Körper hat, Selbst Lex müßte an dieser Stelle, d.h. ohne Badewanne, scheitern. »Du sollst dir kein Bild von deinem Gott machen...« heißt es, denn alles Körperliche ist begreifbar, angreifbar, vielleicht sogar verständlich.