USA 2018 · 105 min. · FSK: ab 0 Regie: Bill Holderman Drehbuch: Bill Holderman, Erin Simms Kamera: Andrew Dunn Darsteller: Diane Keaton, Jane Fonda, Candice Bergen, Mary Steenburgen, Andy Garcia u.a. |
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Jenseits politischer (und künstlerischer) Korrektheit |
Was kann man Bill Holdermans Book Club – Das Beste kommt noch nicht alles vorwerfen: kitschig, aufgesetzt, steif, schräg, arthrose-lastig und bizarr bis ins letzte Glied. Was dann irgendwie auch kein Wunder ist bei diesem seltsamen Plot über vier Ü60-Frauen, vier Freundinnen, die sich wenn auch nicht im Alltag, so doch regelmäßig in ihrem Lesekreis begegnen, um dort über ein gemeinsames Buch zu diskutieren. Als es dann eines Tages »Fifty Shades of Grey« ist, greift die Literatur aber plötzlich auch auf den Alltag über, nicht anders als in Antoine Fuquas Equalizer 2, der noch in den Kinos läuft. Doch Book Club ist natürlich keine Action, auch wenn hier ebenso die kathartische Wirkung von Literatur verhandelt wird, sondern eine klassische romantische Komödie. Und eine, die trotz ihrer Schwächen nicht nur Spaß macht, sondern fast so etwas wie ein kleines Wunder ist.
Die Gründe dafür liegen dann überraschenderweise auch am Plot selbst, den Holderman aus seiner eigenen Biografie geschält hat, nachdem er vor Jahren seiner Mutter eine Kopie von E.L. James Bestseller zum Muttertag geschenkt hatte und Koautorin- und Koproduzentin Erin Simms – davon inspiriert – ihrer sexuell wenig aufgeschlossenen Mutter ebenfalls die Trilogie zum Muttertag schenkte. Zwar klingen selbst diese biografischen Notizen schon zu konstruiert, um wahr zu sein, aber im kathartischen Handlungsablauf einer romantischen Komödie macht sich diese Grunddisposition gut. Nicht nur integrieren Holderman und Simms den Umgang der älteren Generationen mit neuen Medien und Dating-Plattformen, sondern werfen auch überraschend kritische Blicke auf Eltern-Kind-Hierarchien, die hier wie auch schon in Das Leuchten der Erinnerung verkehrte Verhältnisse produzieren, in denen die am Helikoptersyndrom leidenden jungen Mütter und Väter ihre eigenen Eltern nicht nur neurotisch umschwirren, sondern versuchen, ihnen auch noch die letzten Freiheiten, die das Alter gewährt, zu entziehen.
Vor allem aber gelingt es Holderman und Simms mit immer wieder auch derbem Humor und völlig selbstverständlich das Bedürfnis nach Sex und Liebe in den Handlungsmittelpunkt zu stellen, ohne dabei auch nur ansatzweise moralinsauer plotten zu müssen. Denn Book Club stellt zwar auf immer wieder groteske Weise die abstrusen Wege, die zu Liebe und Sex führen können, spielerisch dar, macht aber auch deutlich, dass diese Inhalte auch Platzhalter nach einer viel tieferen Sehnsucht sind, der nach einer Neugier, die auch im Alter jenseits der 65 nicht zum Schweigen zu bringen ist.
Dass diese mutige Gratwanderung – denn wer in Hollywood traut sich schon, »Ficken« mit »Alter« zu assoziieren (ausgenommen unkonventionelle Serienproduktionen wie Transparent) – tatsächlich gelingt, ist dann aber auch dem ungewöhnlich pointiert besetzten Schauspieler-Ensemble zu verdanken. Nicht nur die bis zur völligen körperlichen und seelischen Selbstdekonstruktion reichenden Darbietungen von Diane Keaton, Jane Fonda, Candice Bergen und Mary Steenburgen sind bemerkenswert, sondern auch die ihrer männlichen Gegenüber Andy Garcia, Don Johnson, Craig T. Nelson und Richard Dreyfuss.
Dieses Alters- und Schauspielerspektrum erlaubt Holderman auch, immer wieder auf politische und künstlerische Korrektheit zu pfeifen und stattdessen spielerisch die Gender-Diskurse der vergangenen Jahrzehnte durchzudeklinieren. Mal gibt es Macho- dann wieder feministische Attitüden, mal steht romantischer Kitsch selbstbewusst neben aufrechter Tragik und es wird deutlich, dass es auch sexuelle Experimente vor »Christian Grey« gegeben hat, Literatur aber, und sei sie auch noch so schlecht, altes Wissen und Fühlen immerhin effektiv reaktivieren kann.