USA 2006 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Larry Charles Drehbuch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Peter Baynham, Dan Mazer Kamera: Luke Geissbuhler, Anthony Hardwick Darsteller: Sacha Baron Cohen, Ken Davitian, Pamela Anderson u.a. |
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Borat oder Frau Antje? |
Mir ist nicht bekannt, ob es so etwas wie eine Hype-Forschung gibt, aber wenn sie existiert, dann dürfte für sie der Film Borat ein ähnlich wichtiges Ereignis darstellen, wie der Fund des Ötzis für die Archäologie oder eine totale Sonnenfinsternis für die Astronomie.
Da bläst man eine gar nicht mehr so neue Fernsehshow um den fiktiven kasachischen Reporter Borat auf Spielfilmlänge auf, packt das ganze voll mit aberwitzigen Aktionen und Peinlichkeiten wie bei »Jackass«, vulgär-subversivem Humor wie bei »South Park« und sarkastischer Satire wie bei Michael Moore und plötzlich überschlagen sich die Medien, strömen die Menschen überraschend zahlreich ins Kino und selbst das seriöse Feuilleton begeistert sich und diskutiert freudig über Humor, Amerika und Vorurteile. Das Phänomen Borat bewegt scheinbar alle Schichten und Klassen, vom schwerpubertären 15jährigen bis zum intellektuellen Kulturjournalisten.
So schwierig es ist, die Ursprünge eines solchen Hypes zu ergründen, so einfach ist es, seinen weiteren Verlauf vorherzusagen.
Die Unterhaltungsindustrie wird versuchen, mit ihren üblichen Werkzeugen (Sequels, Rip-Offs, etc.) einen maximalen Gewinn daraus zu ziehen, das wankelmütige Massenpublikum wendet sich bald der nächsten Sensation zu, das Feuilleton widmet sich wieder dem »klassischen« Kulturbetrieb und die Karawane der Kult-Freaks, Hype-Sucher und »First Adopter«
ist ohnehin schon lange weitergezogen, um die nächste große Sache aufzutun.
Zurück bleibt der Cineast, der sich verwundert die Augen reibt, wie viel Aufmerksamkeit seinem ansonsten so stiefmütterlich bzw. oberflächlich behandeltem Medium zu Teil geworden ist und der sich nun in Ruhe fragen kann, was Borat jenseits von Staatsaffäre, intellektuellen Diskursen und allgemeiner Begeisterung als schlichter Film zu bieten hat.
Grundsätzlich nichts Neues, denn gefälschte Dokumentationen und Späße mit versteckter Kamera zählen zu den alten Hüten des Showbusiness, verschärfte Satire am Rand zur Beleidigung ist ohnehin schon fast Standard und wer glaubt, dass es heute noch Tabu- oder Geschmacksgrenzen gibt, die noch nicht (mehrfach) überschritten wurden, der hat in den letzten Jahr(zehnt)en wohl sehr zurückgezogen gelebt.
Ist also Borat (wie der Jackass-Film) nur eine verlängerte Clipshow mit den Szenen, die zu heftig für das Fernsehen waren, ummantelt mit einer dürftigen Rahmenhandlung und garniert mit zusätzlicher Amerika-Häme und Political Correctness-Kritik?
Dem ist entschieden nicht so, weshalb Borat diesbezüglich weniger Jackass als vielmehr Gernstls Reisen – Auf der Suche nach dem Glück (der Vergleich ist nur auf den ersten Blick abwegig) gleicht.
So wie Gernstl durch Kommentare und Montage sein fürs Fernsehen entstandenes Material zum kinotauglichen Film umbaut, sind es bei Borat die keineswegs plumpe, sondern ziemlich hintersinnige Rahmenhandlung und die darin sehr geschickt eingebeteten und inszenierten »pranks«, die einen durchaus eigenständigen Kinofilm entstehen lassen.
Man könnte sogar so weit gehen, für Borat ein vollkommen neues Genre zu kreieren; die Semi-Fake Mockumentary.
Es ist eine der größten Stärken dieses Films, dem Zuschauer weitgehend die Gewissheit darüber zu nehmen, was hier inszeniert ist und was nicht bzw. was in welchem Umfang inszeniert wurde.
Denn neben den ganz klar gespielten Szenen der fiktiven Doku für das kasachische Fernsehen und den ebenso eindeutig realen Streichen, gibt es hier
zahlreiche Abstufungen und Formen der Inszenierung, die zu einem großen, angenehm verwirrenden Bild verschwimmen.
Somit ist hier manches, was real erscheint, nur bravourös erfunden und gespielt, während anderes, das man kaum glauben mag, die ungeschönte Realität ist, wobei nicht auszuschließen ist, dass dieser Realität hin und wieder auf die Sprünge geholfen wurde.
So derb und laut der Film nach außen hin auch oft ist, so fein ist gleichzeitig sein Gespür für gelungene Komödie und des dafür notwendigen Timings. Es empfiehlt sich deshalb, auch auf die Kleinigkeiten zu achten, etwa die sprachlichen Ungenauigkeiten (ein »terrorwar« ist eben etwas anderes als ein »war on terror«) oder die oft ganz beiläufig in Szene gesetzten Gags (ich sage nur: der Bär im Kühlschrank).
Sacha Baron Cohen, dem Mann hinter der Maske von Borat, muss man dabei drei Dinge hoch anrechnen.
Erstens sein nicht zu unterschätzendes schauspielerisches und komödiantisches Talent.
Zweitens seinen unglaublichen Mut.
Und drittens sein eindrucksvolles Statement gegen den im (Dokumentar)Kino immer häufiger auftretenden »linken Populismus«, der sich zur Umsetzung seiner hehren Botschaften höchst zweifelhafter Techniken bedient.
Cohens Borat beweist dagegen, dass sich ein liberal denkender Mensch nie zu solchen Methoden herablassen muss, denn statt des Populismus steht ihm das Mittel der Satire zur Verfügung (darauf sollte sich z.B. auch Michael Moore nach seinem grenzlastigen Fahrenheit 9/11 wieder zurückbesinnen).
Deshalb ist Borat, trotz allem Klamauk, aller
derber Komik und all der Späße, reicher an unbequemen Wahrheiten, als manch anderer Film, der dies mit großem Ernst für sich in Anspruch nimmt.