GB/Kanada 2015 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Robert Budreau Drehbuch: Robert Budreau Kamera: Steve Cosens Darsteller: Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie, Tony Nappo, Stephen McHattie u.a. |
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Let's get lost: Chet Baker |
1966. Ein Mann hockt auf dem steinernen Boden einer dreckigen Gefängniszelle. Neben ihm liegt eine Trompete, aus der eine dicke Spinne kriecht. Chet Baker (Ethan Hawke) hat Halluzinationen. Die Gefängnistür öffnet sich. Ein Mann will ihn sprechen. Er ist Filmproduzent. Baker soll in einem Film über sein Leben sich selbst spielen.
1954. Rückblende in Schwarz-Weiß. Chet Baker spielt zum ersten Mal im legendären New Yorker Jazz-Club Birdland. Im Publikum sitzen Dizzy Gillespie und Miles Davis. Letzter ist sichtlich angepisst, dass ausgerechnet dieser weichlich wirkende weiße Jüngling von der Westküste als die neue trompetende Jazz-Sensation gilt. Nach dem Konzert setzt ein Groupie Baker den ersten Heroin-Schuss. Als Bakers Frau (Carmen Ejogo) die beiden erwischt, ist sie alles andere als begeistert.
Diese Rückblende entpuppt sich als eine Szene im besagten Biopic über Baker. Es ist ein Film im Film innerhalb des Baker-Biopics Born to Be Blue des Kanadiers Robert Budreau. Jane, die in jenem Film im Film Bakers Frau spielt, wird später Bakers Freundin im realen Leben. Doch all dies ist fiktiv. Zwar wollte Dino De Laurentiis tatsächlich einen Film über und mit Chet Baker drehen. Doch der kam niemals zustande. Auch Jane ist eine fiktive Figur, welche mehrere Frauen in Bakers Leben in sich vereint.
Born to Be Blue ist nur auf den ersten Blick ein klassisches Biopic über einen berühmten Musiker. Zwar bedient sich Robert Budreau der gediegenen Ausstattung und der oftmals an Kitsch grenzenden Bildsprache und Melodramatik entsprechender Hollywoodfilme. Doch immer wieder durchbricht der Kanadier die klassische Form mit freien Improvisationen. Sein Film orientiert sich nur sehr lose an verbürgten Tatsachen. Dies liegt auch daran, dass Baker seine eigene Geschichte immer wieder anders erzählt hat. Anstatt wie üblich die wichtigsten Stationen im Leben des Musikers abzuklappern, entwirft Budreau mit Born to Be Blue ein Stimmungsbild, das Baker auf eine mehr intuitive Weise nahezukommen versucht.
Dass dies erstaunlich gut gelingt, liegt zu großen Teilen auch an einem überraschend guten Ethan Hawke als Chet Baker. All die Sensibilität, Unsicherheit und Getriebenheit Bakers bringt Hawke mit großer Intensität zum Ausdruck. Teilweise wirkt sein Spiel dabei ein wenig zu manieriert. Aber ähnlich manieriert wirkt es, wenn Baker in Stücken, wie »My Funny Valentine« neben der Trompete auch den Gesang übernimmt. Da vereinen sich tiefe Empfindsamkeit mit gefühlsduseligem Kitsch. Es ist genau diese Ambivalenz, die Bakers besonderes Charisma ausmacht. Am Anfang seiner Karriere galt der gutaussehende junge Trompeter als der James Dean des Jazz. Dreißig Jahre später war Baker vorzeitig gealtertert, zu einer von Heroin ausgezehrten Mumie mutiert. Aber die Trompete spielte er weiterhin wie ein junger Gott. Die Konzertaufzeichnung »Chet Baker in Tokyo« von 1987 gilt als ein absoluter Höhepunkt der Spielkunst des trompetenden Junkies.
Born to Be Blue stilisiert Baker nicht zu einem Helden, sondern stellt gerade die Widersprüchlichkeit dieses Musikers heraus. Durchaus heroisch wirkt Bakers Comebackversuch, als er mit gebrochenem Kiefer und ausgeschlagenen Zähnen erneut das Spielen zu erlernen versucht. Aber auch Bakers Griff zur Nadel wird nicht einfach mit frühkindlichen Traumata wegpsychologisiert. Bei seinem ersten Date mit seiner späteren Freundin Jane bemerkt der Trompeter lakonisch, dass er sich Heroin aus dem einfachen Grund heraus spritzt, weil er darauf steht, high zu sein. Da ahnt Jane allerdings noch nicht, wie weit Bakers Liebe zu dieser Droge tatsächlich reichen wird.
Das semi-fiktionale Biopic Born to Be Blue ist kitschig und brutal, feinfühlig und klischeebeladen, klassisch brav und frei improvisiert. Aber genau diese Widersprüchlichkeit vereint sich zu einem stimmigen Porträt der ambivalenten Persönlichkeit Chet Bakers.
Es war ein glanzvoller Beginn: Anfang der 1950er Jahre wurde der Jazztrompeter, Sänger und Komponist Chet Baker nach nur wenigen Auftritten als einer der ersten Weißen zum Star der damals noch vollkommen schwarzen Jazz-Musik. Bald galt er als der »Prince of Cool«, eine Sensation, ein James Dean des Jazz, der am musikalischen Äquator auftauchte, und in einem Augenblick alles zu verändern schien.
Zugleich begann Baker schon früh, mit Mitte 20, Heroin zu nehmen. Und so folgte der
Absturz auf dem Fuß. Die harte Droge sollte Baker für den Rest seines Lebens begleiten, und bald stürzte er ab ins Vergessen. Erst knapp zwei Jahrzehnte später kam es zu einem großartiges Comeback: Im Sommer 1973 im New Yorker »Half Note«. Weitere 15 Jahre später starb Baker dann, zwischen Entzug
So weit die biographischen Eckdaten. Die Geschichte, die Regisseur Robert Budreau zwischen diesen zentralen Bögen erzählt, ist aber nicht die offizielle, »große«. Sie ist vielmehr klein, intim, eher wie ein zärtliches Trompetensolo.
Manches ist in seinen Einzelheiten einfach offen erfunden, ein Spielfilm eben. In seinem inneren Kern aber ist der bereits 2015 fertiggestellte »Born to be blue« aber überaus wahrhaftig.
Chet Baker hatte weiße Hautfarbe, auch wenn er wie ein Schwarzer spielte. Darum wurde er früh mit dem umgekehrten Rassismus mancher Schwarzer konfrontiert.
Zum Beispiel vom großen Miles Davis, mit dem Baker von Anfang an eine scharfe Rivalität verband. Davis provoziert Baker: Sein Spiel sei süßlich, er selbst sehe aus wie ein Model... An der Westküste, von wo Baker herstammte, galt er als »great white hope«, die »große weiße Hoffnung«, an der Ostküste solle er sich erstmal
durchschlagen.
So erzählt dieser Film von Kampf, von Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg – man hat das ehrlich gesagt, schon ziemlich oft gesehen. Die längst zum Klischee geronnene Fabel der Erlösung eines kaputten Typen durch die Kunst.
Was den Film interessant macht, ist, wie der Regisseur dieses existentielle Drama erzählt. Visuell mischt der Regisseur Schwarzweiß-Szenen mit Farbe, außerdem nutzt er den – fiktiven – Dreh einer Filmbiographie, in der Baker sich selbst spielte, um die Hauptfigur ihr eigenes Leben rekapitulieren zu lassen. Vor allem aber hat er einen großartigen Hauptdarsteller: Für Ethan Hawke ist es einer der besten Auftritte seiner Karriere, wer alte Originalaufnahmen zum Vergleich heranzieht, erkennt schnell: Hawke ist Chet Baker.
Es fällt auf, dass Hollywoods-Musik-Filme der letzten Zeit, ob Whiplash oder La La Land oder jetzt dieser Film besonders gern von Zucht und Ordnung, von Hierarchien und Zwang erzählen. Dies ist aber eher eine Beobachtung am Rande.
Viele sogenannte Music-Biopics, Filmbiographien über Musiker, sind nicht besonders gelungen, weil sie zur Heroisierung tendieren. Ihre Hauptfiguren sind Genies und große Kerle. Dieser Film folgt eher dem Modell »Gefallener Engel«. Der Chet Baker dieses Films ist kein Übermensch. Stattdessen werden wir Zeuge eines ständigen Konflikts zwischen Freiheit und Anpassung, Spiel und Disziplinierung.
Budreaus bemerkenswerter Film lebt von seiner Musik und seinem Hauptdarsteller. Die Story dagegen ist tausendmal erzählt und längst erstarrt zum Klischee.