USA 2008 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Rian Johnson Drehbuch: Rian Johnson Kamera: Steve Yedlin Darsteller: Rachel Weisz, Adrien Brody, Mark Ruffalo, Rinko Kikuchi, Robbie Coltrane u.a. |
||
Zwei Geschichtenerzähler und ihr Opfer |
Trickbetrüger sind eigentlich Geschichtenerzähler – und umgekehrt: Beide schaffen Schein-Realitäten, in denen sich das Opfer (sprich: das Publikum) verlieren soll. Beide müssen dazu dessen Sehnsüchte kennen, und ein Stück weit erfüllen: Ihr Handwerk funktioniert am besten, wenn das Opfer ein Stück weit Komplize ist, wenn es belogen sein will. Es geht um die berühmte »willing suspension of disbelief« – und die greift am stärksten, wenn die eigenen Fantasien und
Wünsche des Publikums fleißig mitfabulieren.
Ein guter Trickbetrüger, ein guter Geschichtenerzähler zerrt die Menschen nicht gewaltsam irgendwohin, wo sie nicht hinmöchten. Er lässt sie weite Teile des von ihm vorbestimmten Wegs freiwillig gehen, er arbeitet mit einem möglichst unsichtbaren Locken und Führen.
Rian Johnson ist einer der außergewöhnlichereren Vertreter dieser Kunst. Sein Highschool-Film noir Brick war eines der verblüffendsten Debuts der letzten Jahre: Was vom Konzept her nach einer bloßen Genre-Parodie klang, entpuppte sich als nur am Rande humoriger, höchst eigener Kosmos, in dem tatsächlich Teenager in einer Chandler-Welt lebten.
Und nun also sozusagen »das schwierige
zweite Album«, die heikle Nachfolgefrage nach dem Überraschungshit. Und Rian Johnson enttäuscht mit The Brothers Bloom nicht: Wieder schafft er ein ganz eigenes Universum, das scheinbar widersprüchlichste Einflüsse zusammenspannt – wozu ihm nicht billige Ironie, sondern ansteckende Freude an der Fantasie und eine optimistische Melancholie als Bindemittel dient.
Weil’s eben um die Natur des Geschichtenerzählens (und Trickbetrugs) geht, ist der Film voller beiläufiger literarischer Anspielungen – von Joyces »Ulysses«, wie der Titel ja schon ahnen lässt, über (natürlich) Melvilles »The Confidence-Man«, das literarische Schwergewicht zum Thema Trickbetrug, bis zu Agatha Christies Hercule Poirot, dem unverkennbaren Vorbild hinter der von Robbie Coltrane füllig verkörperten Filmfigur des »Curators«.
The Brothers Bloom ist ein amerikanischer Film mit einer europäischen Seele, bei dem in New Jersey alte Schlösser stehen und die Helden ihre Hatz von Berlin über Prag bis St. Petersburg führt.
Und es ist ein Film, der bei allen Hochliteratur-Anleihen einerseits, andererseits auch Platz hat für pure Comic-Gestalten, wie die ebenso reizende wie schweigsame Sprengstoff-Expertin Bang Bang (Rinko Kikuchi).
Das titelgebende Brüderpaar ist von Kindestagen an ein eingespieltes, aber ungleiches Trickbetrüger-Gespann: Der geerdete, lebensfrohe Stephen Bloom (Mark Ruffalo) träumt vom perfekten Plan. Einem Plan, bei dem jeder bekommt, was er will und das »Opfer« keinen Schwindel bemerkt. Eine in kriminelle Realität umgesetzte Geschichte, die so gut geschrieben ist, dass an ihrem Ende jeder befriedigt ist, niemand ein Gefühl von Verlust hat.
Der melancholische Bloom Bloom (Adrien
Brody) hingegen sehnt sich genau nach einem Leben, das keiner vorher ausgetüftelten Story folgt. Er will nicht mehr Teil eines Plots sein, will aussteigen aus den Mechanismen des Erzählens. Das Leben soll einfach das Leben sein, ungeschrieben, mit allen Freuden und Enttäuschungen, die der Zufall bringt.
Aber zu den Mechanismen von Trickbetrüger-Storys gehört nunmal auch der eine, letzte, ganz große Coup, nach dem man sich zur Ruhe setzen darf. Und das ist in diesem Fall der Betrug an
der ebenso exzentrischen und absurd vielfältig talentierten wie attraktiven und einsamen Multimillionärin Penelope (Rachel Weisz).
Zu Beginn ist The Brothers Bloom angetrieben von der schieren Freude am Erzählen als Fabulieren, Fantasieren. Da ist er voll und voll mit bizarren Bildern, mit hinreißenden Ideen, mit brillanten Gags. Bei den ersten Coups der Blooms im Kindesalter, bei dem ersten Kontakt mit Penelope, ihren unglaublichen Hobbys, ihrem Wunderkammer-Schloss glaubt man sich definitiv in einem der besten Filme des Jahres. Da hat der Film noch Dampf und Zeit für Kätzchen im
Rollschuh-Rollstuhl, für Lochkamera-Fotografien und Geisterhöhlen.
Dieses Tempo und diese Dichte kann er dann aber leider doch nicht ganz halten. Irgendwann greift mehr und mehr der raffinierte Plot, verlangt die Konstruktion ihr Recht. Da drosselt sich die kindliche Begeisterung – aber das heißt nicht, dass der Film den Rest im Leerlauf verbringen würde.
Denn es gelingt ihm ziemlich gut das schwierigste Kunststück bei solch Trickbetrüger-Geschichten. Wo die
entscheidende Frage ja immer ist: Wenn alle Böden doppelt und dreifach, wenn Tote selten lange tot und (Liebes-)Schwüre meist nicht echt sind – wie bringt man das Opfer, das Publikum dann noch dazu, wahre Emotion zu investieren? Bei den schlechteren Vertretern der Gattung kommt meist irgendwann der Punkt, wo man es leid ist, noch irgend was zu glauben. Wo man spürt: Alles, was ich an Gefühlen wage, steht ein paar Minuten später schon wieder zur Disposition. Wo man sich wirklich als
Opfer fühlt eines bloßen Räderwerks, das eine selbstgefällige, beliebige Überraschung nach der nächsten produziert, insgesamt aber nur einer großen Verpuffung entgegenschnurrt. (Duplicity etwa war zuletzt ein solcher Film.)
Rian Johnson hingegen ist sich bei The Brothers Bloom dieser Gefahr wohlbewusst, und er versucht so behutsam und liebevoll mit seinen »Opfern«,
dem Publikum, und mit seinen Figuren umzugehen, wie es Stephen bei seinen ausgetüftelten Plots tut. Freilich zaubert auch Johnson die ein oder andere »Ha, es ist alles ganz anders!«-Wendung aus dem Hut. Aber man darf – ähnlich etwa wie bei dem großartigen The Prestige – trotzdem ernsthaft mitfühlen, mitbangen, mittrauern. Und dabei tatsächlich darauf vertrauen, dass man am Ende
nicht mit leerem Herzen dasteht.