USA 1999 · 121 min. · FSK: ab 16 Regie: Martin Scorsese Drehbuch: Paul Schrader, Joe Connelly Kamera: Robert Richardson Darsteller: Nicholas Cage, Patricia Arquette, Ving Rhames, Tom Sizemore u.a. |
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Im Rettungswagen durch die New Yorker Nacht |
Nur Musik kann noch helfen. Wenn Frank sich in seinen Krankenwagen setzt, will er das Radio einschalten, aber das darf er nicht, denn dann kann man die Funkansagen der Zentrale nicht mehr verstehen. Dabei rettet Musik sogar Leben: »Spielen Sie etwas, was er mochte. Vielleicht kann das helfen« rät er den Angehörigen, als er wieder einmal zu spät kommt, um das Leben eines Patienten noch zu retten. Und manchmal geschieht tatsächlich ein Wunder, das Wunder der Auferstehung...
Bringing Out the Dead, die vierte Zusammenarbeit von Drehbuchautor Paul Schrader mit Regisseur Martin Scorsese (nach Taxi Driver, Raging Bull und The Last Temptation of Christ) ist voll von religiösen Metaphern. Mehr als einmal werden die Zuschauer Zeuge, wie Tote wieder zum Leben erweckt und Gebete erhört werden, wie so oder so Menschen wiederauferstehen. Man erlebt eine Kreuzigung und sieht eine Pièta. Frauen heißen Rose oder Mary, auch diejenige seltsam unschuldige Unberührbare (Patricia Arquette), die Frank vor der Straße retten will, um damit sich selbst zu retten in seiner Einsamkeit. Noch die Zeitspanne des Films – von Donnerstag Abend bis Sonntag morgen ist österlich.
Drei Tage, nein drei Nächte im Leben von Frank Pierce (Nicholas Cage) einem Rettungssanitäter im Dickicht der Großstadt Manhattan. Scorsese ist zurückgekehrt in die Viertel von Mean Streets und Taxi Driver. Auf der Straße herrscht der Wahnsinn einer Hölle auf Erden, ihre Ränder sind bevölkert von
Junkies, Pennern, Prostituierten und anderen Hoffnungslosen. Rettung ist hier nur eine Täuschung auf Zeit, seinem eigentlichen Schicksal der Isolation als zentralster und unvermeidlicher Grunderfahrung menschlichen Lebens entgeht niemand.
Mit drei Kollegen treibt Frank durch die Nacht, und liest die schlimmsten Fälle auf – John Goodman, Ving Rhames, und Tom Sizemore verkörpern als verfressen-lethargischer, gläubig-naiver oder hyperaktiv-sadistischer Charaker diese
Partner als verschiedene Varianten der Flucht vor den schrecklichen Realitäten.
Frank selbst ist ein Heiliger. Seine Verdrängungsmechanismen funktionieren nicht, er bleibt berührbar und wird verfolgt von den Geistern jener, die er nicht retten konnte. Um noch Angst zu haben, darüber ist er in seiner Verlorenheit weit hinaus. Er ist zu müde. In dem Grundgefühl, irgendwann einfach mit allem Schluß machen zu wollen, und seine Alpträume mit einem Schlag zu beenden, ist dieser Frank Pierce ein naher Verwandter des Taxi Drivers Travis Bickle, sein Bruder im Geiste.
Mit all diesen Charakteren und Atmosphären wirkt Bringing Out the Dead, dessen Geschichte nach dem gleichnamigen Roman von Joe Connellyim Jahr 1992 angesiedelt ist, wie eine Rückkehr in Scorseses düstere Welt der 70er Jahre. Eine transzendentale Reise in die urbane Depression und die kalte Einsamkeit der Großstadtnacht.
Was den Film trotz drastischer Erlebnisse und seinem Grundton der Hoffnungslosigkeit, der über film noir-Melancholien weit
hinausgeht, zu einem zeitgemäßen Stück Kino macht, ist aber seine Kamera: experimentell, suggestiv und wunderbar sind die Bilder, voller Tempowechsel, extremer Beschleunigungen und Verlangsamung, plötzlicher Schwenks und schraubender Fahrten. Anders als in früheren Filmen Scorseses wird hier eine Intensität erzeugt, die keine Distanz mehr kennt, die zum Zuschauen zwingt, auch da, wo einer lieber wegsehen möchte. Es sind diese Bilder, die der gelegentlich moralisierenden,
aber immer berührende Anklage gegen Amerika einen Kontrapunkt aus bitterem Humor entgegensetzen, einem Sarkasmus, der in erster Linie zum Schutzschild wird vor der alltäglichen Katastrophe.
So hat es Frank seinem Regisseur zu verdanken, dass es am Ende nicht wie bei Travis zu dem Amoklauf kommen muss, den die Situation suggeriert. Bringing Out the Dead ist lebensweiser – es wird einfach so weitergehen, und wie Frank werden wir alle standhalten. Keine blendenden Aussichten, aber ein großartiger Film.