Dänemark/F 1996 · 158 min. · FSK: ab 12 Regie: Lars von Trier Drehbuch: Lars von Trier Kamera: Robby Müller Darsteller: Emily Watson, Stellan Skarsgard, Katrin Cartlidge, Jean-Marc Barr u.a. |
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Das Paar |
Wer im Auto nicht lesen kann, weil ihm schlecht dabei wird, sollte sich für Breaking the Waves ein Plastiktütchen einstecken. Lars von Triers zweieinhalbstündiger Film ist ausschließlich mit der Handkamera gedreht. Und Robby Müller fuchtelt damit so übermotiviert herum, daß man danach eine Folge »NYPD Blues« einlegen möchte: zum Zuschauen – Entspannen – Nachdenken. Schnittfehler, Unschärfen und Farbschwankungen signalisieren unmißverständlich, daß jetzt Kunst gemacht wird hier. Movieheads können über den Masochismus der Cineasten immer wieder staunen, doch da wir auch ein tolerantes Völkchen sind (und sich der Regisseur mit Europa ewigen Respekt verschafft hat), konzentrieren wir uns tapfer auf einen festen Punkt und geben acht auf die Geschichte:
Die Free Church of Scotland zählt zu den humorloseren Vertretern des angelsächsischen Puritanismus: Tanz, Musik und Schmuck sind verboten, selbst der Kirchturm muß glockenlos bleiben, und daß das Weib in der Gemeinde zu schweigen hat, versteht sich von selbst. In diesem Milieu ist Bess großgeworden, ein unterbelichtetes Mädchen mit einem Herz aus Gold, deren unanständige Neigung, sich völlig ihren Gefühlen hinzugeben, medikamentös behandelt wird. Daß sie sich ausgerechnet einen britischen Bohrinselarbeiter zum Mann nimmt, wird nicht nur von ihrer Gemeinde, sondern auch von ihrer schwesterlichen Freundin Dodo mit Besorgnis gesehen. Die Hochzeit findet dennoch statt, Jan kommt mit seinen Kumpels Terry und Pim von der Bohrinsel geflogen, und in der kurzen Zeit, die den beiden bleibt, um Mann und Frau zu werden, entdeckt Bess das einzige Talent, das Gott ihr gegeben hat: Sie ist wirklich gut im Bett.
Der Tag des Abschieds wird zum Drama und die Wochen des Wartens erstrecken sich endlos für die junge Ehefrau. Als Jans Freund Terry für ein paar Tage nach Hause darf, weil er sich an der Hand verletzt hat, betet Bess um eine vorzeitige Rückkehr ihres Mannes. Gott reagiert postwendend und knallt Jan ein Bohrgestänge gegen den Hinterkopf, auf daß dieser fortan vom Hals abwärts gelähmt bleibe und den Rest seiner Tage bei der selbstsüchtigen Ehefrau verbringe. So zumindest interpretiert Bess den schrecklichen Unfall, durch den sie einen verkrüppelten Gatten zurückerhält, der nur mühsam am Leben erhalten werden kann.
Der praktisch denkende Jan, ein gutherziger und verständisvoller Mann, weiß, daß er nie wieder mit seiner Frau schlafen wird. Er bittet sie deshalb, sich einen Liebhaber zu nehmen, und ihm davon in allen Details zu berichten. Besessen von dem Gedanken, an seinem Unglück schuld zu sein, und in der christlichen Überzeugung, daß Gott durch ein Opfer versöhnt werden kann, versucht Bess, seinen Wunsch zu erfüllen. Zuerst mit Dr. Richardson, ihrem Psychiater, dann immer wahlloser und erbärmlicher mit irgendwelchen aufgelesenen Männern aus dem Hafen. Daß die Gemeinde sie verstößt und ihre eigene Mutter sie nicht mehr ins Haus läßt, beirrt sie nicht in ihrem Glauben, Jan retten zu können. Als sich sein Zustand nach einer besonders häßlichen Eskapade für kurze Zeit bessert, macht sich Bess bereit für den letzten Opfergang.
Breaking the Waves ist die Passionsgeschichte eines schlichten Herzens. Lars von Trier erzählt sie mit unterschwelligem Humor und dank seiner großartigen Schauspieler gelingt es ihm, jegliches Pathos zu vermeiden. Die Kargheit des Produktionsdesigns, der sparsame Einsatz von Musik und die gnadenlose Sperrigkeit der Kamera ziehen uns tatsächlich in den Bann einer vom religiösen Wahn bestimmten Nordwelt: unsinnlich, kalt und deprimierend. Das ist ein bißchen wie Odorama und sicherlich nicht jedermanns Geschmack: Man verläßt das Kino mit körperlichem Unbehagen, irritiert auch durch den mystischen Schluß, der den Film, ganz überraschend, an den Rand des unfreiwillig Komischen treibt. – Doch herrje, ist das womöglich ironisch gemeint? Der Cineast schätzt solche Ungereimtheiten und nennt sie, mit der Verachtung des Kenners für semantische Traditionen, »spannend«.
»Spannend« ist allerdings ein Wort, das man auf die Leistung der Schauspieler anwenden sollte, allen voran Emily Watson als Bess und Katrin Cartlidge als Dodo: In einer einzigen Szene, als Dodo auf der Hochzeitsfeier eine Rede hält, hin- und hergerissen zwischen Eifersucht und Mißtrauen gegen Jan, der jetzt die Verantwortung für Bess übernimmt, und dem ehrlichen Wunsch, daß ihre Freundin glücklich werden möge, zeichnet sie einen leidenschaftlichen und strengen Charakter, dessen ganze Kraft darauf gerichtet ist, die gefährdete Bess vor ihrer gefühlskalten Umwelt zu schützen. Und Emily Watson (eine Royal Shakespeare Company Schauspielerin in ihrem ersten Film) traumwandelt so entrückt auf dem schmalen Grat zwischen tiefer Gläubigkeit und religiösem Wahn, daß, hätte die Acadamy of Motion Picture Arts and Sciences irgendetwas mit Kunst zu tun, der Preisträger für die beste weibliche Hauptrolle jetzt schon feststünde. Es ist schwer vorstellbar, daß die Intensität dieser beiden Schauspielerinnen in der Synchronisation erhalten bleibt. Abgebrühten Kunstsüchtigen wird daher empfohlen, den Film in der Originalfassung zu sehen.