USA 2009 · 81 min. · FSK: ab 16 Regie: Larry Charles Drehbuch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines u.a. Musik: Erran Baron Cohen Kamera: Anthony Hardwick, Wolfgang Held Darsteller: Sacha Baron Cohen, Gustaf Hammarsten, Josh Meyers u.a. |
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Ein »echter« Schtaar? |
Sich in der heutigen Medienwelt über einen bestimmten Film zu informieren, ist ein ambivalentes Vorhaben. Das unergründliche Internet, unzählige Fernseh- und Radiosender und oben drauf zahlreiche Presseerzeugnisse bieten problemlosen Zugang zu vielfältigen Quellen, hinter denen (nicht immer klar erkennbar) wahlweise die Produzenten bzw. Verleiher, denen freundlich gestimmtes Infotainment, seriöser Journalismus, unabhängige Liebhaberei oder privater Dilettantismus stecken. Dass sich in dieser Meinungsvielfalt zu jedem Film so ziemliche jede mögliche Einschätzung findet, ist für alle die Menschen, die von ihrer eigenen Meinung sehr überzeugt sind und die von einer Kritik nichts anderes als deren Bestätigung erwarten, ein großer Vorteil. Wer lange genug im Mediendschungel sucht, findet immer eine Kritik, die ihm die Gewissheit gibt, einen Film richtig verstanden und empfunden zu haben.
Für die Menschen, die sich dagegen gerne ein differenziertes Bild machen wollen (was sowohl vor als auch nach dem Kinobesuch möglich ist), stellt die Masse an Erklärungen und Bewertungen eine verwirrende Herausforderung dar. Ein schönes Beispiel hierfür ist aktuell Brüno, der neue Film mit Sacha Baron Cohen, der bereits mit Borat erhebliche (Medien)Aufmerksamkeit erregt hat.
Diesmal ist es die Kunstfigur des sehr schwulen österreichischen Modejournalisten Brüno, der sich auf eine aberwitzige Reise nach und durch Amerika macht, um dort berühmt zu werden. Wie bei Borat mischen sich auch hier klar erkennbare Spielszenen mit dokumentarischen Passagen, wobei oft unklar bleibt, in welchem Umfang diese vermeintlich »echten« Momente nicht auch inszeniert sind.
Das Aufsehen, das dieser Film erregt, ist ähnlich (erstaunlich) hoch wie bei Borat und auch dieses Mal findet man auf dem großen Markt der Meinungen das gesamte Spektrum der Bewertungen. Für die einen ist Brüno nur dumm, ordinär und genau so ignorant wie das, was er zu kritisieren vorgibt, für die anderen ist er bemerkenswert kritisch und mutig aber filmisch schlecht umgesetzt, wieder andere finden ihn rundum gelungen.
Feststellen kann man somit, dass Brüno auf alle Fälle ein weit überdurchschnittlich kontroverser Film ist. Die Frage ist nun, warum sich die Berichterstattung (auch das seriöse Feuilleton) derart widersprüchlich gerade an diesem Film abarbeitet?
Vermutlich ist es das Zusammentreffen von drei Faktoren, das Brüno für die Medien so verlockend bzw. unausweichlich macht. Es sind dies sein kritischer Ansatz, die verwendeten
Stilmittel und die äußere Form.
Was Brüno zum Liebling der Kritik prädestiniert, ist sein ironisch bis sarkastischer Umgang mit Missständen und Auswüchsen wie etwa Schwulenfeindlichkeit oder die Abgründe der (amerikanischen) Kultur und Medienlandschaft.
Solche Themen garantieren einem Film gerade in der anspruchsvollen Kritik immer Aufmerksamkeit und Sympathie, weckt dort aber auch konkrete Erwartungen. Denn wer sich aufmacht, zu kritisieren, lächerlich zu machen oder Irrsinn aufzuzeigen, der hat dabei Bitteschön ein gewisses Niveau einzuhalten, da sonst für den Zuschauer (und Rezensent) nicht klar ist, wo er sich amüsieren, entrüsten, wundern oder betroffen zeigen soll.
Genau diesen Fauxpas begeht Brüno (wohl mit voller Absicht) aber, indem er sich stilistisch weitgehend auf die Ebene des medialen Mülls, mit dem er sich beschäftigt, begibt. Ein erheblicher Teil der Kontroverse um Brüno dreht sich letztlich um die Frage, ob das funktioniert und ob das »zulässig« ist oder ob der Film damit die gleichen Schwächen hat wie das, was er kritisiert bzw. ob er dessen (Un)Geist sogar noch fördert.
Dass über eine solche Frage überhaupt Unklarheit bestehen kann, liegt an den fehlenden bzw. bewusst verweigerten ästhetischen und moralischen Aussagen und Einteilung. In einem Film von Michael Moore oder Erich Wagenhofer bestehen nie Zweifel, was die »richtige« moralische Position ist, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Bei Brüno ist das alles nicht so klar.
Darf man da etwa über die derben Späße über Schwule lachen? Ist es hier erlaubt, weil das Gezeigte ironisch gebrochen ist? Oder versucht der Film uns zum verbotenen Lachen zu verführen und damit einer latent homophoben Haltung zu überführen? Oder ist der Film letztlich genau so reaktionär wie ein bayerischer Stammtisch und (wenn wir uns hier amüsieren) wir mit ihm? Darf man eigentlich über die Schwulenfeindlichkeit anderer Menschen lachen? Sind all diese Bedenken nur Auswüchse einer absurden Political Correctness oder ist das Geschimpfe über die wildgewordene Political Correctness nichts anderes als der Versuch, guten Gewissens wieder in alte Stereotypen und Feinbilder zu verfallen?
So wie man sich derart über den Inhalt bzw. die Aussage des Films den Kopf zerbrechen kann, lässt sich auch bezüglich seiner Form munter spekulieren. Ist das Gezeigt nur obszöner Müll oder ist es ironischer Müll und deshalb akzeptabel oder ist es gar »camp« oder pseudo-camp oder ist es anspruchsvoller als es auf den ersten Blick scheinen mag...?
Im Gegensatz zu anderen Filmen, die versuchen (bzw. vorgeben) etwas Ordnung in unsere komplizierte Welt zu bringen, verschärft Brüno dieses Durcheinander, stößt den Zuschauer mitten hinein und lässt ihn dann auf sich selbst gestellt zurück. Das mag mancher als gemein und unangenehm empfinden, das kann für andere aber zu einer durchaus spannenden Erfahrung werden, was allerdings voraussetzt, dass man sich auf das eigene Empfinden verlässt (bzw. verlassen kann) und darauf vertraut, dass man schon selber merken wird, ob der Film eine reaktionäre oder diffamierende Haltung transportiert oder formal ein Haufen Mist ist.
Gerade seine Form betreffend sollte man sich aber nicht von Oberflächlichkeiten täuschen lassen. Wenn Brüno auf den ersten Blick auch wie eine dilettantische Aneinanderreihung von einzelnen Sketchen und Streichen wirkt, steckt doch einiges inszenatorisches Geschick in ihm. Dieses zeigt sich zum einen in vielen einzelnen Szenen, die zwar alle improvisiert und spontan wirken, die jedoch ohne Inszenierung (in welcher Form auch immer) nie so perfekt und gut getimt hätten sein können.
Und es zeigt sich am gesamten Film, der in seiner wohldurchdachten und undurchdringlichen Mischung aus Gestelltem und Realem ein Abbild seines zentralen Themas, der Inszenierung des amerikanischen Alltags, ist.
Die Frage, die der Film Brüno immer wieder stellt und nie wirklich beantwortet, ist: Was ist echt? Was ist echt an der gezeigten Talkshow? Was ist überhaupt echt an einer Talkshow? Was ist echt an einem »Cage-Fight«-Event (die diffizile Grenze zwischen Inszenierung und realem Schmerz / Sport / Körpereinsatz in solchen Sportarten zeigt mustergültig der Film The Wrestler)? Was ist echt am Leben der Prominenten? Inszeniert sich letztlich nicht jeder Mensch irgendwie? Was ist echt in den Nachrichten und den Medien? Was bedeutet »echt« in einem Dokumentarfilm und was in einem Spielfilm?
Selbst solch tiefgründige Reflexionen kann man im Film Brüno finden, wenn man sich nicht von einigen Derbheiten täuschen bzw. abschrecken lässt. Dass manche diesem Film aufgrund seiner expliziten Szenen reflexartig bisher unbekannte Geschmacklosigkeit vorwerfen, kann man getrost ignorieren.
Zum einen weil solche Urteile auf persönlichen, zeit- und umfeldabhängigen Empfindungen aufbauen, weshalb »Niveau« grundsätzlich nicht kategorisierbar ist (ist Brüno geschmackloser als »South Park« oder »Family Guy« oder »Jackass«?). Davon abgesehen sagen solche Kategorien rein gar nichts über den künstlerischen Wert einer Sache aus, was etwa das Werk von John Waters beweist (es ist nebenbei bemerkt erstaunlich, dass Waters in den Besprechungen zu Brüno nie genannt wird).
Zum anderen sind die hier im Rahmen einer überdrehten Satire präsentierten »Geschmacklosigkeiten« doch nichts, wenn man sie mit den (weniger offensichtlichen) obszönen und abstoßenden Inhalten, mit denen uns ein Teil der Medien Tag für Tag konfrontiert, »informiert« und »unterhält« vergleicht.
Nicht fehlen sollte hier der Hinweis, dass es wohl seit den Tagen des Stummfilms keinen Filmkomiker mehr gab, der seiner Aufgabe mit so viel Körpereinsatz nachkam, wie aktuell Sacha Baron Cohen.