Österreich 2011 · 104 min. · FSK: ab 6 Regie: Christoph Mayr Drehbuch: Christoph Mayr Kamera: Moritz Gieselmann Schnitt: Paul Sedlacek |
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Die fragwürdige Summe der einzelnen Beweise |
Ein Dokumentarist hat grundsätzlich die Wahl zwischen Beobachtung und Propaganda. Das mag einfach klingen, ist es aber nicht: Dass schon allein in der Anwesenheit der Kamera, der Auswahl des Materials und dessen Montage eine Verfremdung und womöglich eine Wertung des Vorgefundenen liegt, mag eine Binsenweisheit sein – im Zeitalter von „Scripted Reality“ und der immer schwieriger werdenden Unterscheidung des Wahren vom Manipulierten kann man sie dennoch gar nicht oft genug wiederholen.
Das gilt erst recht angesichts der perfiden Taktik einiger der erfolgreichsten amerikanischen Dokumentationen der jüngeren Vergangenheit im Stile von Michael Moore oder Morgan Spurlock: Sie täuschen ihre Filme als Reportagen vor, als – zumindest partiell – direkte Wiedergaben der Wirklichkeit, als Tagebücher einer Recherche. Und das, was sie finden, ist ihnen stets Mittel zur Agitation. Den Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung wohl, als Moore in Sicko einen britischen Arzt bis in dessen – eigenes – Haus verfolgte, um sinngemäß zu dem Schluss zu kommen: Wenn dieser Mann so schön lebt, dann kann es um den National Health Service im Lande ja so schlecht nicht bestellt sein.
Auch der österreichische Regisseur Christoph Mayr beginnt Bulb Fiction mit dem Versprechen einer ergebnisoffenen Recherche: Es wird bald im ganzen Gebiet der Europäischen Union keine Glühlampe mehr zu kaufen geben, so legte es die Verordnung Nr. 244/2009 fest. Um den Stromverbrauch zu senken, sollen in Zukunft nur noch sogenannte Energiesparlampen in den Regalen liegen und langfristig auch des Nachts unsere Zimmer erhellen.
Das Problem: Die Kompaktleuchtstofflampen enthalten Quecksilber, sie gehören mit zu den letzten Produkten, die das giftige Zeug noch in sich tragen dürfen. Offensichtlich gilt es also, die gesundheitlichen Risiken in den heimischen vier Wänden gegen den Nutzen des geringeren Energieverbrauchs abzuwägen. Und so begibt Mayr sich nach Brüssel, zu Lampenproduzenten, Strahlenphysikern, auf den Entsorgungs-Hof, zu Greenpeace und zu Wirtschaftswissenschaftlern, um argumentatives Material für diesen Vergleich zu sammeln.
Doch zum Einsteig macht er sich auf in die bayerische Provinz, nach Linden. Der kleine Max hat dort den Dampf aus einer zerbrochenen Leuchtstofflampe eingeatmet, die Folge waren Haarausfall, Zitterschübe, Depressionen. Nicht, dass diese Geschichte nicht bedrückend wäre oder dass Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt bestünden: Aber wieder einmal ist der Besucher – ein präsenter Erzähler, keine allwissende Voiceover-Stimme – eingeladen, an einem Einzelschicksal teilzunehmen.
In der Folge freilich trägt Mayr tatsächlich beeindruckend informatives Material zusammen: An der TU Wien wird die offizielle Messweise des Quecksilbergehalts auseinander genommen, aus medizinischer Sicht wird der Mangel an Infrarotgehalt und Farbspektrum der neuen Leuchten kritisiert, und die Geschichte der Licht-Industrie entlarvt der Film als eine durchaus mafiöse.
Immer da aber, wo er sich von diesem sorgfältig recherchierten Bereich löst, wird seine Argumentation oberflächlich und nebulös – so bekommen auch EU-Bürokratie, Emissionshandel und Arbeitsschutz auf der Müllhalde mal eben ihr Fett weg. Grandios dagegen die Farce eines Interviews mit Andras Toth, einem Experten der EU-Energiekommission: Toth darf nicht vor die Kamera, die Antworten gibt seine Sprecherin – und Toth flüstert ihr aus dem Off die nötigen Informationen ein.
Christoph Mayr hat seinen Film für die „Wutbürger“ gedreht, er will, und diesen Begriff benutzt er vollkommen distanzlos und unironisch, die „Wahrheit“ aufdecken. Mit der ist es aber noch viel komplizierter als eingangs erwähnt: Denn die unendliche Tot-Differenzierung, und die Suche nach dem vollkommen lückenlosen Gesamtbild einer komplexen Problematik – sie können auch lähmen und verdammen zur Entscheidungsunfähigkeit. Die Wahrheit ist mehr als die Summe der einzelnen Argumente und Beweise und gleichzeitig geht es ohne diese nun auch wieder nicht. Mayrs Film zumindest mag durch seine offen zur Schau gestellte Parteilichkeit ein gesundes Misstrauen gegenüber den dokumentarischen Bildern unserer Zeit wecken – und gleichzeitig darauf stoßen, dass Umweltschutz ein so komplexes Thema ist, dass nicht einmal Fachleute es ganz durchschauen. Und der Verbraucher, das wäre das pessimistische Fazit, hätte dann nur noch die Wahl zwischen den Mayrs und den Toths dieser Welt.