Deutschland/E 2022 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: André Szardenings Drehbuch: André Szardenings Kamera: André Szardenings Darsteller: Julius Nitschkoff, Lana Cooper, Karin Hanczewski, Moritz Führmann, Zoe Trommler u.a. |
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Ohne falsche Gefühle | ||
(Foto: missingfilms) |
Wie Teenager albern Bruno und Toni in einer spanischen Ferienanlage herum, spielen Versteck, halten sich zärtlich in den Armen, schließlich schlafen sie im gleichen Bett. Doch dann sagt der bald 21-Jährige »Mama« zu ihr. Später erfahren wir, dass Toni 15 war, als sie Bruno zur Welt brachte. Seit zwölf Jahren jobben die beiden schon als Reinigungskräfte in Ferienanlagen auf Ibiza. Sprunghaft und chaotisch wirkt die junge Frau noch heute, dagegen übernimmt Bruno mehr Verantwortung, macht notfalls Überstunden, wenn das Geld knapp wird.
Wenn sie in einem Bungalow etwas mitgehen lässt oder einfach nicht zur Arbeit erscheint, deckt er sie oder bügelt ihre Dummheiten aus. Das gelingt nicht immer, deshalb haben die beiden schon mehrmals den Arbeitgeber gewechselt. Ihre intensive Beziehung gerät aus dem Lot, als Toni eines Tages die hübsche Hannah mitbringt, die nun Brunos Platz in ihrem Bett einnimmt. Der Sohn muss damit klarkommen, dass er nicht mehr allein im Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Mutter steht.
In seinem Kinodebüt schildert der 1989 in Düsseldorf geborene André Szardenings eine symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung, die durch eine intensive Liebe ebenso geprägt ist wie durch eine emotionale Abhängigkeit. Der Absolvent der Internationalen Filmschule Köln bettet das planlose Dahinleben des Paares auf der spanischen Urlauberinsel in sonnendurchflutete Frühsommerbilder ein, die eine entspannte, manchmal aber auch irritierende Urlaubsatmosphäre evozieren. Denn auf der Insel halten sich in der Nebensaison kaum Touristen auf, die verbliebenen Gaststätten schließen früh. So hat Bruno zwischendurch Zeit, sich mit dem jungen Mädchen Zoe anzufreunden, das ziellos durch die einsamen Ferienanlagen streift.
Jenseits der unbeschwerten Kulisse und der albernen Späße von Bruno und Toni wird jedoch schnell klar: Die Szenerie hat einen doppelten Boden, die beiden stecken in einer toxischen Beziehung. Die ist zwar offenkundig nicht inzestuös, auch wenn Mutter und Sohn manchmal so intim miteinander umgehen wie ein Liebespaar. Aber mit ihrem emotionalen Klammergriff und dem Mangel an Verantwortungsbewusstsein hindert Toni Bruno schon zu lange am Erwachsenwerden.
Wahrscheinlich würde das Mutter-Sohn-Duo noch jahrelang wie Nomaden über die Urlauberinsel tingeln, wenn sich Toni nicht eine Geliebte angelacht hätte. Hannah ist eine selbstbewusste Frau und bringt die fragile symbiotische Beziehung ungewollt schnell aus der Balance. Bruno spürt, dass er sich aus der besitzergreifenden Mutterbindung befreien und das unbefriedigende Larifari-Dasein mit den prekären Arbeitsbedingungen hinter sich lassen muss.
Szardenings, der auch das Drehbuch geschrieben und die Kamera geführt hat, erzählt konsequent aus der Sicht des jungen Protagonisten. Der souverän agierende Nachwuchsdarsteller Julius Nitschkoff trägt denn auch über weite Strecken die sensible Inszenierung. Es ist kaum zu übersehen, dass der Filmemacher ihm die Rolle sozusagen auf den muskulösen Leib geschrieben hat. Für seine Leistung wurde Nitschkoff auf den Biberacher Filmfestspielen 2022 mit dem Silbernen Biber als bester Schauspieler ausgezeichnet, der Film selbst gewann den Debüt-Biber. An Nitschkoffs Seite können aber auch Lana Cooper als Toni und Karin Hanczewski starke Akzente setzen.
Der Regisseur zeigt Mut zur Lücke, lässt viele Fragen offen. Prinzipiell ist es reizvoll, wenn hier nicht alles durchbuchstabiert wird wie in vielen anderen deutschen Kino- und Fernsehfilmen. Aber um die Figuren etwas gehaltvoller und lebendiger zu machen, wären einige Hintergrundinformationen hilfreich gewesen. So hätte man zum Beispiel gerne gewusst, wie es Mutter und Sohn nach Ibiza verschlagen hat, wo der Vater geblieben ist und ob Toni als Mutter schon immer überfordert war. Zuweilen wirkt das Außenseitendrama ein wenig improvisiert und unausgereift, erinnert mit der Lässigkeit der Hauptfiguren und dem jugendlichen Überschwang der Gefühle an deutsche Mumblecore-Filme wie Love Steaks von Jakob Lass, entwickelt aber trotz der dünnen Story durchaus einen eigenständigen Erzählton.