Deutschland 2002 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Ulrich Köhler Drehbuch: Henrike Goetze Kamera: Patrick Orth Darsteller: Lennie Burmester, Trine Dyrholm, Devid Striesow u.a. |
Ein Sommertag. Es ist schwül und auch dem 19jährigen Paul rinnen die Schweißtropfen von der Stirn. Ein kurzer, spontaner, unsichtbarer Impuls, mehr ist es nicht, und sein Leben hat sich geändert. Denn Paul steigt nicht wieder ein in den olivgrünen Bundeswehrlastwagen, er bleibt einfach sitzen in der Hitze und sieht zu, wie die anderen davonfahren ohne sein Verschwinden zu bemerken. Man versteht ihn gut – ohne genau zu ahnen, warum.
Aber von nun an ist er »fahnenflüchtig«. Was das heißt, weiß er nicht wirklich, er denkt einfach an nichts, eigentlich auch nicht an Zuhause, wohin er jetzt fahren wird, in den Bungalow seiner Eltern, eigentlich auch nicht an seine Ex-Freundin Kerstin, die er dort wiedersehen wird...
Es herrscht eine eigentümliche Atmosphäre in Ulrich Köhlers Film Bungalow, und man weiß gar nicht so genau, warum einen das derart in den Bann zieht. Lakonisch sind Bilder und Dialoge, extrem langsam die Kamerafahrten, schon zu Beginn, wenn es ewig zu dauern scheint, bis sich die mit Soldaten beladenen Laster um die Kurven zur Raststätte schieben. Dies ist eine einzige minutenlange Einstellung bis zu dem Moment, an dem Paul nicht wieder einsteigt – intensiv und von allem Überflüssigen befreit.
So geht es dann auch auf dem elterlichen Grundstück weiter, das der Film im folgenden nur sporadisch verlässt. Äußerlich passiert nicht viel. Zwar dauert es nicht lang, bis Pauls Bruder mit seiner Freundin Lene aufkreuzt. Aber nur in ganz kleinen Schüben geht die Geschichte voran, und was da eigentlich genau passiert, ein Supermarktbesuch, Streitereien mit dem Bruder, eine Begegnung mit dem ehemaligen Lehrer, die Besuche Kerstins, hilflose Annährungsversuche Pauls gegenüber Lene, und um all das herum ein Alltag, der so lähmend und drückend ist, wie die Sommerhitze – das ist vermutlich alles für sich genommen gar nicht so wichtig. Nur als Ganzes verstärkt es die ratlose Verstocktheit dieser Hauptfigur, den man »Held« des Films zu nennen sich nicht traut. Ein junger Mann zwischen Ordnung und Gefühl, ziellos, dessen Antriebe man nicht begreift, und der einem wohl gerade deswegen plötzlich nahe kommt.
Konzentriert, cool und neugierig ist der Blick dieses Filmemachers, seine Aufmerksamkeit für kleine Annährungen und Entfernungen zwischen Figuren, für Blicke, und die stillen Kettenreaktionen, die sie auslösen. Es ist dabei nicht unbedingt ein besonders »jugendliches« Lebensgefühl, das Köhler zeigt, obwohl Paul natürlich auch ein entfernter, etwas zu ernsthafter Verwandter von Douglas Couplands und Richard Linklaters Früh-90er-»Slackern« ist. Aber die reiben sich noch an
etwas, das vielleicht nur die Erwachsenenwelt, vielleicht »die Gesellschaft« ist. Köhlers Paul fehlt ein solches Gegenüber. Das Ziel seiner Aggression bleibt diffus, wohl weil er mit einem stärkeren Gegner ringt: Dem Leben, und das heißt hier: dem Nichts. Und weil er in diesem Kampf schon immer kapituliert hat, im herkömmlichen Sinn jedenfalls. Existentialismus in der Provinz. Indem Paul ziellos rumhängt, sein wunschloses Unglück zu akzeptieren scheint, bleibt er noch am
ehesten widerständig.
Das alles zeigt der Regisseur stilistisch nüchtern, beeindruckend klar und konsequent, mit einigen Bezügen zu Haneke und zum französischen Kino, wohl auch zu einem Stil, den man aus Berliner Filmen der Gruppe um Christian Petzold kennt, mit einer für ein Debüt erstaunlichen Reife. Sein Stil ist einfach, fast dokumentarisch, dabei aber voller Spannung.
Köhler hat mit Bungalow einen Film über die Bundesrepublik jenseits aller Umschwünge von 89ff. gedreht, der mit seltener Genauigkeit die Brüche unter der Wohlstandsoberfläche aufscheinen lässt, ihre Obsessionen und, gewiss doch, auch »die Krise«. Aber diese ist hier eben metaphysischer zu verstehen; dem Bundeskanzler kann man diesmal ausnahmsweise nicht die Schuld geben, sondern, wenn überhaupt, Gott.
Und da, wenn Bungalow
seine Figuren und die Unmittelbarkeit ihrer Gegenwart übersteigt, kommen auch die Momente, wo sich Köhler etwas überhebt, wo sein Film zu raunen beginnt, den stilistisch erhobenen Anspruch nicht immer trägt, und bestenfalls noch vorgibt, etwas mehr zu sein und zu können, als er dann letztlich ist und kann. Etwa wenn der Regisseur, als eine Art Hintergrund seines Kammerspiels die Kulisse einer verborgenen, doch immer spürbaren Bedrohung aufbaut, die durch die Bilder der Kleinstadt
wabert, scheinbar beiläufig und insgeheim allzu bedeutungsvoll ein städtisches Schwimmbad explodieren lässt, ohne aber mehr darüber zu erzählen. Hier versucht der Film aus dem Diffusen Kapital zu schlagen – ein Bruch mit seiner sonstigen Präzision.
Aber dafür ist dies schließlich ein Debüt. Und gelegentlicher Verdruss wie einzelne Längen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bungalow besser ist, als viele deutsche Filme der letzten Zeit, und nicht ohne Grund einer der wenigen deutschen Filme, die im letzten Jahr mit großem Erfolg auf diversen ausländischen Festivals gezeigt wurden. Geschmackvoll gefilmt zeichnet Köhler ein intensives Portrait aus Ekel und Gleichgültigkeit, einer Welt, in der nichts passiert. Und gerade darin steht uns Bungalow vermutlich näher, als wir es gerne wahrhaben möchten.