Deutschland 2015 · 89 min. · FSK: ab 12 Regie: Nikias Chryssos Drehbuch: Nikias Chryssos Kamera: Matthias Reisser Darsteller: Pit Bukowski, Daniel Fripan, Oona von Maydell, David Scheller |
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Reformpädagogischer Albtraum |
Der Vater macht Licht. Klaus ist schon an seinem Platz. Klaus geht zu Hause in die Schule. Klaus ist und bleibt acht Jahre alt. Klaus wohnt mit seinen Eltern im Bunker im tiefen Wald. Dort kommt ein Student hin. Der will da in Ruhe arbeiten. Die Eltern von Klaus sind die Vermieter vom Studenten. Die Eltern wollen, dass er was anderes macht. Die Eltern wollen nur das Beste. Die Eltern kriegen das. Erstmal.
Unwirkliche unwirtliche Orte, die Unmöglichkeit zeitlicher Verortung, bizarre Figuren, die äußerst absurde Dinge tun – Irritation total ist die Strategie der Grusel-Komödie Der Bunker von Nikias Chryssos. Und die funktioniert vom ersten Moment an. Aus einer Welt, die es nicht geben kann, lässt sich der Horror der anderen Welt immer umso deutlicher zeigen.
Das Elternhaus als Bildungs- und Erziehungsanstalt des Unheils mag uns noch aus Dogtooth in pulsierender Erinnerung sein. Und in der Tat ist der griechische Schocker von Giorgos Lanthimos erklärte und spürbare Inspiration von Chryssos Arbeit. Gleichwohl der Hundszahn in Der Bunker kein erklärtes Requisit ist, treibt er auch hier sein unvermeidbares Unwesen – es gibt nun mal Figuren, deren Coming-of-Age-Story anders und schmerzhafter verläuft, entsprechend bleibend ist dann ihr Eindruck. Die lakonische Zumutung, die einem in Dogtooth ununterbrochen den Atem raubte, wird hier zum mulmigen Dauervergnügen, das es sogar zu herzzerreißenden Momenten und überraschenden Wendungen schafft.
Schwarzer Humor, der alte Drahtseilakt: Geht er daneben, ächten sie ihn wegen Geschmacklosigkeit, gelingt er, feiern sie seinen Tiefgang. Gibt es ein geeigneteres Mittel, sich mit schwarzer Pädagogik auseinanderzusetzen? Oft hilft nur Böses gegen das Böse. Der Bunker packt seine Düsterheit in lächerliche Kostümierung und demaskiert einen immer noch lebendigen Bildungsbegriff als Krakentum des Faktenwissens und Machtinstrument, das zuverlässig und bedarfsgerecht diskriminiert, unterdrückt und nur bedingt an seiner matten Strahlkraft eingebüßt hat. (Oder ist das „Pauken“ von Zahlen oder Worten etwa doch schon aus den Unterrichtszimmern verschwunden?)
Chryssos hat für seinen reformpädagogischen Albtraum in grellen Bildern den perfekten Ort gefunden: im Bunker bleibt die Welt der gewünschten Ordnung in Sicherheit, solange keine Konfrontation mit dem Unbekanntem, kein Lernen also, stattfindet. Die „guten Stuben“ des Untergrunds, die in ihrer faschistischen Ästhetik an Seidl’sche Keller erinnern, hat Chryssos hervorragend ausstaffieren und besetzen lassen. Dafür holte er sich bewährte Darsteller, mit denen er schon in der Vergangenheit zusammenarbeitete: Pit Bukowski als blockierter Student auf schmalem Grat zwischen Verbündetem und Verräter, Daniel Fripan, sonst eher in Täterrollen zu sehen, verweist als Anti-Matzerath nicht wenige deutsche Komödianten auf ihre Plätze, und Oona von Maydell gibt, ganz dem Bunker angemessen, einen brünetten Magda-Goebbels-Klon mit umwerfendem Minenspiel und Cronenberg’schem Gebrechen. Bonmot-Lieferant ist zweifelsohne David Scheller als Vater, der schon allein mit Sätzen wie „Wenn Sie mal reden wollen … ich hab‘ auch Diplome!“ die Eintrittskarte in die National-Narrhalla mutiger Skurrilitäten erspielt. Da nämlich gehört Der Bunker eindeutig hin, neben Im Himmel ist die Hölle los, Wir Können Auch Anders oder Der Kuckuck und der Esel.
Ein bisschen schade nur, dass Chryssos für seinen verrücktesten Einfall im Lauf der Handlung den Pausenknopf gedrückt und somit die letzte Kurve Abgefahrenheit nicht genommen hat. Vielleicht war es ja Absicht. Im Bunker brennt noch Licht.