Südkorea 2018 · 148 min. · FSK: ab 16 Regie: Lee Chang-dong Drehbuchvorlage: Haruki Murakami Drehbuch: Lee Chang-dong, Oh Jung-mi Kamera: Hong Kyung-pyo Darsteller: Yoo Ah-in, Steven Yeun, Jun Jong-seo, Kim Soo-kyung, Choi Seung-ho u.a. |
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Dreiergespann |
Eine mit leichter Hand hingeworfene Kurzgeschichte Murakamis bildet die Grundlage des Drehbuchs für Lee Chang-dongs neuen Film Burning, lange acht Jahre nach seinem letzten Film Poetry (2010) entstanden. Ist die große Pause Symptom einer Schaffenskrise? Brauchte Lee Chang-dong zum Neustart den Anlass einer von außen kommenden Idee, die Geschichte des weltberühmten japanischen Literaturnobelpreisanwärters? Gegenüber den mehr der trügerischen Alltagsidylle zugewandten Vorgängerfilmen Secret Sunshine (2007) und Poetry (2010) mit ihren mühsam nach innerem Ausgleich suchenden Protagonistinnen, die von schweren privaten Schicksalsschlägen getroffen waren, überrascht der neue Film jedenfalls durch düstere Thriller- und Mystery-Elemente.
Murakamis beiläufig plaudernder Ich-Erzähler taucht im Film Lee Chang-dongs auf als junger Mann, der Schriftsteller werden will und sich mit anspruchslosen Gelegenheitsjobs durchschlägt: Jong-su, ein etwas tumb wirkender, maulfauler Bursche, begegnet beim Ausliefern von einem Bündel von Klamotten an einen Billigdiscounter zufällig Hae-mi, einer Bekannten aus Jugendtagen, wieder. Sie stammt aus derselben Provinz wie er und lockt nun als Animateurin Kunden von der Straße in den Kleiderdiscount. Mit präzisem Gespür für die Figuren und den Raum um sie herum zeichnet Lee Chang-dong in wenigen Einstellungen hier zwei in der Großstadt Seoul Gestrandete, die einmal gehofft haben, ihre Chance zu kriegen und vielleicht immer noch von Glück und Erfolg träumen. Bei Jong-su scheint das weniger der Fall zu sein als bei Hae-mi, die mit einer nach wie vor naiven Begeisterung vom spirituellen großen Hunger der Buschmänner in Afrika spricht. Dorthin wird sie bald für mehrere Monate hinreisen, und Jong-su steht nach der kurzen Liebesbegegnung schon wieder zurückgeworfen auf sich da. Immerhin darf er in Hae-mis Wohnung während ihrer Abwesenheit für die Katze sorgen, die sich ihm aber einfach nicht zeigen will.
Lee Chang-dong lässt anhand dieser beiden jungen Leute sehr prägnant das Bild einer enttäuschten, betrogenen Generation im gegenwärtigen Südkorea aufscheinen, die sich ziemlich alleingelassen fühlt. Hae-mi hat keinerlei Bindungen zu Angehörigen, Jong-su hat sich um den abgewirtschafteten Bauernhof seines Vaters an der Grenze zu Nordkorea zu kümmern, der nach einem Angriff auf einen Gemeindebeamten mit seiner Umwelt gebrochen hat und unversöhnlich ins Gefängnis geht.
Eine weitere Ernüchterung erwartet Jong-su, als Hae-mi endlich aus Afrika zurückkehrt: Sie bringt einen Begleiter namens Ben mit, den einzigen Südkoreaner, der ihr in Nairobi begegnet ist und dem sie sich angeschlossen hat. Er stellt das Gegenbild zu dem Loser Jong-su dar: er ist reich und selbstsicher und gibt sich ganz seinem kultivierten Luxus hin, ein souveräner Spieler des Lebens, der über den Dingen zu stehen scheint und mit seinem schwarzen Porsche und seinem geschmackvoll eingerichteten Penthouse den Lebensstil der neureichen Schicht verkörpert. Jong-su ist fasziniert und irritiert, er ordnet ihn als einen der großen Gatsbys ein, von denen es zu viele gebe in Korea.
Eine narzisstische Erscheinung, in der sich die Wünsche und Träume auf einer undurchdringlich glatten und schönen Oberfläche spiegeln, ohne dass man weiß, ob etwas darunter oder dahinter steckt. Dieses unzugängliche Dahinter des unergründlichen Wesens von Ben wird zum geheimen Kraftzentrum, auf das Hae-mi und Jong-su fixiert sind. Eine eigenartig gelassene Ménage-à-trois entsteht, in der alles offen scheint, aber nichts sich entscheidet. Man traut diesem Ben tatsächlich alles zu, so unbestimmt und schillernd und verführerisch wird er inszeniert.
Einmal, nach einem Joint, gesteht er Jong-su seine geheime Leidenschaft, aufgegebene Gewächshäuser aufzuspüren und niederzubrennen. Ein Vertrauensbeweis, von dem man nicht weiß, ob er eine raffinierte Finte oder ein unvermuteter Moment der Wahrhaftigkeit ist, und der einen obsessiven Sog in Jong-su auslöst und den gesamten Film in eine neue, delirierende Phase eintreten lässt, in der es nur noch um Jong-sus Blick auf Ben geht. Denn Hae-mi ist urplötzlich verschwunden und Jong-su hat einen Verdacht…
Geschickt werden Indizien gestreut, die den Zuschauer bereitwillig das Phantasma teilen lassen, in das sich Jong-su hineinsteigert. Als würde er nun jenen metaphysischen großen Hunger ausleben, den er bislang nur im vagen Wunsch, schreiben zu wollen, kannte. Ob die dämonischen Züge, die Lee Chang-dong in der strikt sich an Jong-sus Blick heftenden intensiven Darstellung heraufbeschwört, nicht einer zu gewaltsamen Tour de force geschuldet sind, muss man beim Zuschauen selbst erfahren.
Die von Murakamis Kurzgeschichte und den losen Verbindungen zu Faulkners gleichbetitelter Story »Barn burning« (deutsch als »Brandstifter« übersetzt) ausgehenden Bezüge knüpfen ein Netz, dem man sich schwer entziehen kann. Die suggestiven Leerstellen, die den Zuschauer in Bann schlagen, könnten sich aber auch bloßen trügerischen Oberflächeneffekten verdanken. Die eindringlich-subtilen Alltagsbeobachtungen jedenfalls, die in Secret Sunshine und Poetry zu zwingenden Psycho- und Soziogrammen auskristallisierten, fallen in Burning letztlich dem Hang zu einer großen Mystery-Beschwörung zum Opfer.
Es ist ein Tanz in der Abendsonne, und es ist die Schlüsselszene dieses Films. Die drei Hauptfiguren sind zusammen in diesem Moment, in dem eine junge Frau in einer merkwürdigen, bewegenden Mischung aus Melancholie, resignativer Trauer und Sehnsucht für das Jetzt und Hier, nach dem Glück im Augenblick, zu tanzen beginnt. Verführerisch, selbstvergessen. Ganz langsam wandelt sich das Strahlen ihres Gesichts in Verzweiflung und Schluchzen.
Und wer sich ein bisschen auskennt in der Kinogeschichte, der erkennt womöglich auch an die Musik, die dazu im Hintergrund läuft. Sie stammt von Miles Davis und es ist die Musik zu Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott. Im Rückblick eine bewusste Prophetie des Regisseurs oder gar ein zynischer Witz von Ben, der Figur, die die Musik aufgelegt hat?
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Lee Chang-dong ist ein bewährter koreanischer Autorenfilmer, der schon mehrfach mit Filmen in Cannes und Venedig Preise gewann – kein Unbekannter also. Lee kann sehr poetische Geschichten erzählen, gleichzeitig mischt sich seine Poesie mit einem genauen und dabei unbedingt humanistischen Blick einerseits auf die Menschen, andererseits auf deren Zusammenleben.
Sein neuer Film Burning geht auf eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami zurück. Erzählt wird hier eine Dreiecksgeschichte: Im Zentrum steht Jong-soo, ein junger Mann mit schriftstellerischem Ehrgeiz, der durch einen Zufall Hae-mi wiedertrifft, eine alte Kindheitsfreundin. Sie verlieben sich, beginnen ein Verhältnis. Dann lernt Hae-mi einen anderen Mann kennen, eingangs erwähnten Ben, der sie fasziniert, und zum Eindringling in diese Freundschaft wird. Ben wird sofort als kalter, narzisstischer Yuppie charakterisiert, als reicher Schnösel. Er fährt einen schwarzen Porsche 911. Im Gespräch vergleicht ihn Jong-soo mit dem nihilistischen Millionär »Great Gatsby« aus Scott Fitzgeralds Roman.
Sie sehen sich ein paar mal zu dritt; in Bens Luxuswohnung wird gekocht, man geht mit seinen Freunden teuer essen. Jong-soo mag ihn nicht, wahrt aber den Schein. Was Hae-mi mit ihm wirklich verbindet, ob sie auch ein Verhältnis haben, bleibt unklar. Das geht so dahin, es gibt Eifersucht, man glaubt eher an ein übliches Beziehungsdrama.
Was dann aber passiert: Eines Tages, direkt nach dem Tanz in der Abendsonne, ist die junge Frau sehr überraschend verschwunden. Jong-soo versucht, sie zu erreichen, aber er findet sie nicht, sie ist spurlos verschwunden. Hat Ben etwas damit zu tun?
Das Rätsel entfaltet einen schönen Film mit einem unschönen Ende, der sehr viel über die koreanische Gesellschaft erzählt, auch in beiläufigen Eindrücken. Es geht nicht zuletzt um Kritik am Korea der Gegenwart, an charakterlicher und sozialer Korruption, und darum, wie Korea sich von sich selbst entfremdet und viele Traditionen des Zusammenlebens verloren gehen – die Einsamkeit im modernen Hyperkapitalismus.
Und es geht um die neue entstehenden
Klassengesellschaften: Denn Ben ist der Sohn aus reichem Hause, er arbeitet nicht, er will den westlichen Lebensstil adaptieren, italienisch kochen, Porsche fahren, einen amerikanischen Namen tragen.
In Hae-sis und Jong-soos Verhalten ihm gegenüber zeigt der Regisseur zwei potentielle Verhaltensweisen der Unterklassen: Frustration und unterdrückter Hass bei Jong-soo, Opportunismus, Anbiederung und Faszination bei Hae-si, unausgesprochener Neid bei beiden.
Das ästhetisch Besondere von Burning ist zum einen der genaue Blick, zum anderen die Beiläufigkeit des Erzählens und das Streuen von Leerstellen. Was passiert zum Beispiel, als die drei sich im Eltenhaus von Jong-soo treffen. Gegenüber wuchs Hae-mi auf, ihr Elternhaus ist aber abgerissen und spurlos verschwunden. Alle drei trinken, rauchen Marihuanna, aus der Musikalage von Bens Porsche läuft Miles Davis, und die bekiffte Hae-mi tanzt dazu in der
Abendsonne. Irgendwann zieht sie ihr T-Shirt aus, tanzt mit nacktem Oberkörper weiter: Verführerisch, selbstvergessen. Ganz langsam wandelt sich das Strahlen ihres Gesichts...
Später unterhalten sich Ben und Jong-soo. Er würde ab und zu leerstehende Gewächshäuser anzünden, sagt Ben, alle zwei Monate, was . Das Gespräch, das zunächst nur die Gleichgültigkeit und Launenhaftigkeit des Zynikers Ben zu illustrieren scheint, wird später erst als Metapher einer boshafteren
Wahrheit, als Geständnis Bens, erkennbar.
Als Hae-mi dann verschwindet, geschieht auch dies beiläufig: Jong-soo erreicht sie nicht. Man denkt sich nichts dabei, auch als das eine Weile so geht, denkt man, sie taucht nur ab, weil sie sich gestritten haben: »Die kommt schon wieder« – tut sie eben nicht.
Das alles, auch diese schmerzhafte Erkenntnis erleben wir mit den Augen der Hauptfigur; mit Jong-soos Augen der Hauptfigur sammeln wir – sozusagen detektivisch – kleine Indizien: Hae-sis Uhr in Bens
Badezimmerschublade. Bens Katze, die auf den Namen von Hae-sis Katze hört.
Der Film ist sehr genau erzählt und beobachtet, über Objekte wie das Feuerzeug von Ben, das dieser am Abend vor Hae-sis Verschwinden bei Jong-soo vergisst, sowie über die Beschreibung von Orten, Wohnungen, Zimmern.
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Was ist die Moral dieses Films über Obsessionen? Zum einen: Man muss sich entscheiden, was die Wahrheit ist, was für einen wahr ist. Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber jede Entscheidung hat Konsequenzen.
Zum zweiten: Man will sich manchmal einfach rächen, will einfach bestrafen. Es gibt das Gefühl: Der soll nicht leben. Der soll nicht glücklich sein.
Zum drittten: Männliche Verunsicherung und male rage. Wir begegnen hier jungen Männern, die mit sich selbst nicht im Reinen
sind.