USA/I 1979 · 156 min. · FSK: ab 18 Regie: Tinto Brass, Bob Guccione Drehbuch: Giancarlo Lui, Bob Guccione, Gore Vidal, Tinto Brass Kamera: Silvano Ippoliti, Tinto Brass Darsteller: Malcolm McDowell, Helen Mirren, Peter O'Toole, Teresa Ann Savoy, John Steiner u.a. |
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Die einkalkulierte Verschwendung der eigenen Person... | ||
(Foto: Tiberius / 24 Bilder) |
Alles strebt in Caligula nach der imposanten Inszenierung. Das Zentrum der Macht als immersives Totaltheater. Die Kamera befindet sich in gigantischen Bauten, einer gänzlich künstlichen, surrealen Welt, in der Menschen und Tiere wie Statuen wie Vorhänge wie Fackeln und Säulen zu Installationen und lebenden Tableaus geformt werden. Selten geht es einmal nach draußen und wenn, dann beispielsweise zum nackten Kriegsspiel. Alles ist hier Kunst, Spiel und Spektakel, auch eine Geburt. Ein Vorhang senkt sich, Musik spielt, Trommeln werden geschlagen, Qualm steigt auf. Goldener Prunk, Feder-Fächer und die Gebärende stößt bereits mit gespreizten, blutigen Beinen ihre Schreie aus. Der Sündenpfuhl des Tiberius (Peter O’Toole), des abdankenden, kranken Kaisers, hat derlei Szenen schon am Beginn warnend vorweggenommen. Wenn sein junger Nachfolger Caligula den Palast betritt, warten dort Gerüste und Gesteinsformationen, die die Rahmen für Orgien bieten. In einem Tümpel planschen Nackte. Danach werden brutale Bestrafungen, Marter und Hinrichtungen vollzogen. Monströse und Deformierte sind in den Kulissen drapiert und beobachten das Treiben. Von der empfangenen Macht bleibt ein höllisches Zerrbild.
Die zweischneidige Pointe dieses Caligula-Films bestand schon immer darin, dass sie zwar, ihres skandalösen Rufes gemäß, allerlei Grenzüberschreitungen sexueller und gewalttätiger Art zeigt. Zugleich haftete diesen Überschreitungen ein gewisser konservativer Gestus an. Sexuelle Ausschweifung und enthemmte Leidenschaften über alle Schranken hinweg – das gilt diesem Film allein als Perversion, als Versinnbildlichung und Gipfel der Verkommenheit, ohne tiefergehend zu reflektieren. Interessant und eindringlich ist jedoch, wie seine Kritik an einer politischen und künstlerischen Dekadenz von deren Gestaltung her gedacht ist. Sie kippt in reinen Sadismus. Pomp und Material ersticken und verschlingen nicht nur den Kaiser und seine Opfer. Sie überwältigen einen auch beim Sehen dieses sich zynisch auskotzenden Sandalenfilms. Lust und Gewalt schaukeln sich hoch, ehe sie ihren Zenit des Empfindens selbst überschritten haben. Die eigentlich aufregenden Aspekte von Caligula sind weniger realpolitischer denn ästhetischer Natur. Beziehungsweise: eine brutale Realpolitik, die dauerhaft an ihrer eigenen konfrontativen Exzess-Ästhetik arbeitet, die sich wohl in ihr fühlt. Um historische Akkuratheit oder Authentizität und Realismus geht es nicht, sondern um eine gespiegelte Überhöhung, eine Wahrhaftigkeit über die Übertreibung und Verkünstlichung.
Der Plot ist dabei schnell umrissen: Nach der Ermordung von Tiberius lässt sich Caligula zum neuen Caesar ernennen, was den Auftakt für ein Leben voller Exzess, Ausbeutung und Erniedrigung bildet – bis man dem Tyrannen-Kaiser blutig das Handwerk legt. Die Macht hat seinen Geist verdorben. Man kann das leicht als Mahnmal gegen all die Autokraten der Weltgeschichte lesen, die meinen, sich alles und jeden zum Untertan degradieren zu können, die im Überfluss leben, während andere leiden, die Gewalt ausüben, nur weil sie es können. Caligula ist jedoch kein Film, der diese Machtfrage sonderlich anregend verhandelt. Was ihn so packend macht – und hier hat er über die unterschiedlichen Schnittfassungen und Jahre hinweg kaum an Wucht und düsterer Faszination eingebüßt – ist die Exzentrik und Geschlossenheit seiner sadistischen Form, in deren Spielen alle gezwungene Teilnehmer sind. Subjekte sind in den installativen Räumen und Bühnenwelten nur noch verfügbare Objekte, Spielzeug, Inventar. Man wartet abwechselnd auf Ekstasen und den Untergang und häufig geschieht alles zugleich.
Dass Caligula über 40 Jahre nach seiner Premiere noch einmal in neuem Gewand in die Kinos kommt, kann man als Sensation betrachten. Allein die chaotische Produktion dieses Mammutwerks ist Geschichte: Unfälle am Set, finanzielle Probleme, heftigste künstlerische Differenzen, mehrere Distanzierungen beteiligter Personen. Ein Regisseur, Tinto Brass, dem die Macht über den finalen Schnitt entzogen wurde. Stattdessen: die berüchtigte Hardcore-Porno-Vision, die Bob Guccione, dem Geldgeber und Gründer des »Penthouse«-Magazins, vorschwebte und CALIGULA letztendlich übergestülpt wurde. Nicht weniger legendär ist die internationale Zensurgeschichte, die über den Film immer wieder schnippelnd, verändernd und verfälschend hinwegfegte. Das Resultat waren diverse Versionen mit unterschiedlicher Länge. Eine weitere kommt nun mit dem Ultimate Cut hinzu. Es ist ein Film, der immer neu entsteht, in dem allesamt unvollendete Ideen und Ansprüche kollidieren.
Unter der Leitung von Thomas Negovan wurden Unmengen an archiviertem Drehmaterial neu aufbereitet und zu einer Montage zusammengefügt, die zumindest dem Originaldrehbuch von Gore Vidal näherkommen soll. Mit aufwendigen technischen Bearbeitungen hat man Dialoge bereinigt, Bilder aufgehübscht, digitale Effekte eingefügt. Dazu dröhnt ein neuer Score im Hintergrund mit unheilvollen Ambient-Sounds und Drones und bedrohlichen Gesängen, um dieses Horror-Theater der Mächtigen atmosphärisch zu begleiten. Neu ist ebenfalls eine animierte Traumsequenz, die den Film eröffnet. Es ist eine Fassung, die kurzweiliger, kohärenter und mitreißender erzählt erscheint, obwohl sie mit fast drei Stunden Laufzeit daherkommt. Verschont bleibt man nun von nicht enden wollenden Porno-Szenen, von denen die ältere Fassung zwar lebt, die den Film aber extrem träge und erschöpfend anmuten lassen. An expliziten Sex- und Gewaltszenen fehlt es auch dem neuen Cut nicht. Er lässt aber ein größeres Gespür dafür erkennen, wann man lieber springen und kürzen sollte, um einem Effekt nicht den Reiz mit schierer Dauer zu stehlen.
Caligula fühlt sich auch heute noch im besten Sinne albtraumhaft an, weil sein artifizielles Kuriositätenkabinett so bizarr und unwirklich erscheint. Diese riesigen steinernen Gesichter an den Wänden und Tempelanlagen gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Diese roten Gemäuer, welche die Palastzimmer mitunter wie das Innere eines menschlichen Organismus‘ erscheinen lassen! Diese riesige Tötungsapparatur, mit Menschen gespickt, die sich ratternd durch den Hof bewegt und den eingegrabenen Opfern die Köpfe abschlägt! Eine fahrende Bühne überrollt hier sinnbildlich Menschen. Die Farbe des Blutes und die Farbe ihrer Fassade sind eins. Ebenso markant: die ständigen Aufführungen, Rituale und das gruselige Tänzeln Malcolm McDowells, dessen Caligula ungebremst vergewaltigt, quält, geifernde Blicke verteilt oder in den Palast pisst. Auspeitschungen, Erniedrigung, Mord. Herrschaft, die auf Willkür, Konsum und Verschwendung gebaut ist, und ihr inszeniertes Image will wohlgepflegt sein.
Wenige Jahre vor Caligula erschien Pier Paolo Pasolinis Meisterwerk Die 120 Tage von Sodom, sein letzter vollendeter Film. Eine Abrechnung mit dem Erbe des Faschismus. Dessen sadistische Orgien streben der totalen Vernichtung entgegen und scheinen sich in die Auswüchse einer auf Dauerkonsum ausgerichteten Lebensrealität der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwandelt zu haben, so eine Lesart, die in der Rezeption des Films und Pasolinis Gesamtwerk wiederholt bemüht wurde. Auch solche Eindrücke und Gedanken hallen in dem verfemten, selbstzweckhaften Spektakel-Kult von Caligula nach. Sie enden in diesen ähnlich gelagerten Räumen absoluter Verfügungsmacht einer souveränen Gewalt. »Ich sollte mir selbst viel klarer darüber werden, dass ich unsterblich bin«, sagt der Kaiser gegen Ende beim Lustwandeln. Eine Verschwörung schwant ihm zu diesem Zeitpunkt längst, aber was soll man ihm, dem selbsternannten Gott, schon anhaben? Die Obszönität seiner Herrschaft kennt keine Grenzen und sie wird sich weiter vererben. Sie wundert sich selbst darüber, wie schnell, wie hilf- und willenlos sich alle ihrem Diktat ergeben. Am Höhepunkt ihrer Exzesse steht in diesem verstörenden, einzigartigen Film die womöglich einkalkulierte Verschwendung der eigenen Person. Es ist ihr letzter Lustgewinn. »Ich bin am Leben«, sagt der Ermordete noch, während das Blut aus ihm sprudelt.