GB/USA/CZ 2006 · 145 min. · FSK: ab 12 Regie: Martin Campbell Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade, Paul Haggis Kamera: Phil Meheux Darsteller: Daniel Craig, Eva Green, Mads Mikkelsen, Judi Dench, Caterina Murino u.a. |
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Neudefinition einer Marke: Daniel Craig als 007 |
Es ist weitgehend bekannt, dass große Firmen aufgrund ihrer Aktien einen gewissen Marktwert besitzen. Weniger geläufig ist jedoch, dass sie daneben auch noch einen sogenannten Markenwert haben, welcher beziffert, was die Marke bzw. der Markenname bzw. der »Brand« von Google, Coca Cola, Mercedes und Co. wert ist. Je bekannter, je verbreiteter und je beliebter eine Marke ist, um so höher liegt ihr (rein theoretischer, zukünftige Erträge abschätzender) Markenwert.
In der Filmindustrie spielt der Markenwert in seinen vielfältigen Ausformungen seit jeher eine wichtige Rolle und zeigt sich z.B. in den markanten Emblemen und Trailern der großen Filmstudios oder im sogenannten Starsystem Hollywoods. Wenn Julia Roberts 20 Millionen Dollar für einen einzigen Film erhält, dann eben nicht nur für ihre schauspielerische Leistung (wenn es nur um diese ginge, gäbe es »günstigere« Schauspielerinnen) sondern vor allem für ihre werbe- und geschäftswirksame Marke.
Eine weitere Bedeutung hat der Markenwert bei Filmfortsetzung, Filmserien oder der Verfilmung von Fernsehserien (bis zu einem gewissen Grad auch bei der Verfilmung von Büchern, Comics, Musicals, etc.).
Entscheidend ist hier nur selten eine logische und adäquate Fort- bzw. Umsetzung der Vorlage, sondern die kommerzielle Verwertung einer kulturellen Marke. Dafür reicht in der Regel die Übernahme der Grundhandlung, der wichtigsten Charaktere, einiger unverkennbarer
Markenzeichen (Ausstattung, Design, Running Gags) und des Titelsongs und schon ist es weitgehend egal, dass die Neuauflage inhaltlich und stilistisch Lichtjahre von der Vorlage entfernt ist.
Eine der erfolgreichsten Marken des Kinos war und ist in dieser Hinsicht James Bond, der gerade durch die Perfektionierung seines unverkennbaren Brands (Martinis, M, Q, Moneypenny, Gadgets, Autos, Titelsequenz und -musik, Sprüche wie »Mein Name ist Bond, James Bond«...) die Veränderungen von über 40 Kinojahren und zahlreiche personelle Wechsel scheinbar mühelos überstanden hat.
Als nun James Bond in seinem neuesten Abenteuer in Casino Royale einige dieser alten Erkennungsmerkmal über Bord warf oder bestenfalls als ironischen Witz überleben ließ, kam das manch einem ähnlich verrückt vor, als wolle Coca Cola fortan sein Produkt mit einem neuen Schriftzug, in einem Tetrapack und unter dem Namen »Blubber Brause« verkaufen.
Tatsächlich aber ist das Vorgehen der Macher von Casino Royale keineswegs unsinnig, sondern steht vielmehr in bester Bond-Tradition und sichert geschickt die Attraktivität und damit den Fortbestand der Serie.
Denn die Erfolgsformel, die dem Bond-Mythos über all die Jahre geholfen hat, lautet scheinbar paradox: Laufender Wandel bei gleichzeitiger Konstanz.
Die äußerlichen Konstanten wie Wunderauto oder geschüttelte Martinis waren der verbindende Rahmen, in dem sich zum Teil erhebliche stilistische Veränderungen vollziehen konnten ohne die erfolgreiche Marke James Bond zu gefährden.
Ganz nebenbei entwickelten sich die Bond-Filme so zu sehr präzisen Indikatoren für allgemeinkulturelle und filmische Trends, was von Themen wie Weltraumfahrt bis Medienmacht und Reminiszenzen vom Blaxploitation- bis zum Hongkong-Kino
reichte. In Casino Royale stehen u.a. die beiden Trendsportarten Parkour (in der spektakulären ersten Verfolgungsjagd) und Poker, sowie die 9/11-Thematik und die Darstellung Afrikas als Herz der kriminellen Finsternis für dieses feine Gespür der allgemeinen Stimmungslage.
Wichtiger aber noch als die Reaktion auf die wechselnde Nachrichtenlage ist die fortwährende Neuorientierung an filmischen Standards, womit man an dem Punkt ist, an dem Casino Royale vermeintlich gegen das Gesetz seiner Serie verstößt, sich in Wirklichkeit aber (wie sein smarter Held im Film) aus zahlreichen Bedrohungen gleichzeitig befreit.
Denn lang war die Liste der Probleme, der sich die Bond-Serie gegenüber sah.
Zahlreiche der Running Gags und Konstanten waren nach der zwanzigsten Version einfach verbraucht. Man hatte sie erst ernst genommen, dann ironisiert, dann wieder ernst genommen, dann selber parodiert, schließlich zu Tode geritten.
Ähnlich erging es James Bond selber, der mal härter, mal romantischer, mal satirischer, mal zynischer, mal intelligenter sein durfte und trotzdem immer blasser wurde.
Inhaltlich drohten politische und soziale Veränderungen, die neuen Verhältnisse zwischen Männern und Frauen und die rasende technische Entwicklung den guten alten James ins Lächerliche abzudrängen.
Ohnehin in der lächerlichen Ecke verorteten zahlreiche Parodien (allen voran Austin Powers) den Mythos Bond, wobei die Serie selbst oft genug zu ihrer Ridikülisierung beigetragen hat.
Und schließlich schlief auch die Konkurrenz nicht.
Im Actionfilmgenre war Bond schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge und attraktive Allroundhelden wie Ethan Hunt oder Jason Bourne wilderten ganz unverhohlen im Revier von 007.
Die Macher von Casino Royale haben diese Herausforderungen erkannt und begegnen ihnen mit einer vorsichtigen Entrümpelung und vor allem (einmal mehr) einer sehr geschickten Ausrichtung an aktuellen Filmtrends wie:
- mehr Realität. Als Folge davon ist Casino Royale physischer, härter, brutaler und schmerzhafter. James Bond wird menschlicher gezeichnet, ist deshalb durchaus (in jeder Hinsicht) verwundbar, nicht mehr so allmächtig und allwissend wie gewohnt.
Auch greift hier kein abstrakter Superschurke in einem ausgebauten Vulkankrater nach der Weltherrschaft, sondern sorgen einige sehr nachvollziehbare Bösewichte für ein bedeutend kleineres und deshalb bedeutend
bedrohlicheres Schreckensszenario.
- mehr Ernsthaftigkeit. Mit Witz und Ironie wird wieder sparsamer bzw. bewusster umgegangen und wenn sie eingesetzt werden, dann entweder sehr sophisticated oder am Rand zum Sarkasmus, auf alle Fälle weit entfernt von der flapsigen Eigenparodie früherer Filme.
- mehr Hintergrund. Nachdem jahrzehntelang Fortsetzungen und Sequels im Kino dominiert haben, will nun jedermann sehen, »wie alles begann« und Prequels erfreuen sich großer Beliebtheit.
Im Gegensatz zu Batman Begins, der unter ähnlichen Vorzeichen aus seiner Seriensackgasse zu entkommen versuchte, lässt Casino Royale bei seiner Herkunftsforschung zum Glück
noch genügend Fragen offen, um seinem Helden eine Aura des Ungewissen zu belassen.
Wie geschickt der neue Bond so zwischen filmischer Erneuerung und gleichzeitiger Beibehaltung bzw. Umgestaltung seines Mythos balanciert, zeigt die vielfach falsch dargestellte Szene, in der James die unvermeidliche Frage eines Barkeepers nach dem »geschüttelt oder gerührt« mit einem unfreundlichen »Do I look like I give a damn?!« beantwortet.
Diese Szene zeigt nicht den »unfertigen« Bond, dem es noch egal ist, wie sein Martini gemacht wird und sie ist auch kein Beleg dafür, dass hier mit alten Bond-Traditionen radikal gebrochen wird (wer dies oder ähnliches behauptet, hat große Teile des Films verschlafen und/oder nicht verstanden).
Vielmehr demonstriert diese kleine Szene, dass es in der Welt des James Bond auch weiterhin geschüttelte Martinis geben wird, nur dass sie fortan nicht mehr zu den tragenden Säulen des Films zählen werden und dass der neue Bond in bestimmten dramatischen Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, andere Sorgen hat, als die Art und Weise, wie sein Drink gemischt wird.
Casino Royale gelingt somit eine wichtige Neudefinition der Marke James Bond, der sich in Zukunft wohl weniger durch sein Auto, sein Getränk und seine Mitarbeiter, sondern mehr durch seinen zeitlosen Charakter definiert.
Und nur so kann das verrückte Vorhaben gelingen, einen Film, der den Beginn einer 1962 gestarteten Filmserie darstellt, in der Jetztzeit spielen zu lassen. Entscheidend ist eben nicht das Modell des Aston Martins, der durchs Bild fährt,
sondern wer ihn lenkt und das war, ist und wird (immer) sein: Bond, James Bond.
PS: Noch radikaler mit denen Gesetzen der Serie brach in diesem Jahr Miami Vice. Michael Mann stellt hier die in Hollywood üblichen Regeln zur Serienverfilmung komplett auf den Kopf und gelangt dadurch zu einem bemerkens- und sehenswerten Ergebnis.
Auch was Stil bzw. Style, Dramaturgie, visuelle Umsetzung und Trendbewusstsein betrifft, bilden Miami Vice und CASINO ROYALE ein überaus spannendes Doppel.