USA 2013 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Kimberly Peirce Drehbuch: Lawrence D. Cohen, Roberto Aguirre-Sacasa Kamera: Steve Yedlin Darsteller: Julianne Moore, Chloë Grace Moretz, Gabriella Wilde, Portia Doubleday, Alex Russell u.a. |
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Solide und züchtige Horrorkost |
Bekanntermaßen ist nicht alles Gold, was glänzt und auch nicht jeder bekannte US-Horrorklassiker der 70er- und 80er-Jahre besticht durch seine tatsächlichen filmischen Qualitäten. Oftmals ist es mehr die rohe, ungefilterte Kraft dieser Werke und die schlichte Tatsache, dass sie die ersten Filme ihrer Art waren, die Low-Budget-Streifen wie Wes Cravens The Hills Have Eyes (1977) zu Genre-Klassikern hat werden lassen. Deshalb ist es weder verwunderlich, noch von vornherein verwerflich, dass Hollywood sich seit Jahren daran macht, scheinbar den gesamten Katalog dieser zumeist schmutzigen, kleinen Filme, die zu ihrer Zeit zumeist in heruntergekommenen Bahnhofskinos liefen, neu zu verfilmen. Keineswegs jedes dieser Remakes ist missglückt oder überflüssig. Da die tatsächliche Messlatte in Wirklichkeit oftmals alles andere als hoch hängt, gelingen zum Teil Neufassungen, die dem Original ebenbürtig oder sogar überlegen sind. Ein gutes Beispiel aus der jüngeren Zeit hierfür ist Frank Khalfouns Maniac, ein Remake von William Lustigs gleichnamigen Slasher aus dem Jahre 1980. Auch wenn diese Neuverfilmung nicht frei von Makeln ist, so ist Khalfoun doch eine zeitgemäße Neuinterpretation des alten Materials gelungen, die sehr eigenständig neben dem berüchtigten Original steht.
Im Falle von Brian De Palmas Carrie – Des Satans jüngste Tochter von 1976 sieht die Sachlage jedoch vollkommen anders aus. Dieser Horrorklassiker brachte für De Palma den kommerziellen Durchbruch und gilt bis heute als eine der gelungensten Stephen-King-Verfilmungen und als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Trotz eines für aktuelle Verhältnisse vergleichsweise beschränkten Budgets überzeugt De Palmas Version von Carrie noch heute auf ganzer Linie aufgrund der überzeugenden Darsteller und aufgrund De Palmas virtuoser Regiearbeit. Szenen, wie der Abschlussball sind bis ins letzte Detail hinein ausgearbeitet und zugleich von einer Eleganz und von einer Flüssigkeit, die den Film zu einem zeitlosen Lehrstück für eine perfekte Inszenierung machen. Auch ist dieses Meisterwerk auf ganz verschiedene Weise lesbar. De Palmas Carrie überzeugt einerseits als ein klassischer Tennie-Horrorfilm. Darüber hinaus ist der Film aber auch lesbar als eine Anprangerung eines erdrückenden gesellschaftlichen Konformitätsdrucks und eines bedrohlichen religiösen Fanatismus. Schließlich kann die Handlung auch als Angstfantasie eines pubertären Mädchens verstanden werden, womit sich Carrie als ein amerikanischer Seelenverwandter des tschechischen Märchens Valerie – Eine Woche voller Wunder aus dem Jahre 1970 entpuppt.
Carrie – Des Satans jüngste Tochter gehört somit zu genau der Kategorie von Filmen, die ein jedes Remake von vornherein überflüssig erscheinen lässt. Trotzdem hat Kimberly Peirce die große Herausforderung angenommen und versucht den Stoff zu modernisieren. Was dabei herausgekommen ist, gleicht bei oberflächlicher Betrachtung auf derart frappierende Weise dem Original, dass sich die Frage stellt, wozu der ganze Aufwand eigentlich notwendig war. Wer De Palmas Version des Films jedoch kennt und schätzt, der wird zu seiner großen Verärgerung feststellen, dass in der Neuverfilmung auf fast schon hinterhältige Art praktisch alles entfernt wurde, was den ursprünglichen Carrie zu dem unwiderstehlichen Meisterwerk macht, das der Film ist. Immerhin wird die Generation von Kinobesuchern, die das Original nicht mehr kennt, in Peirces Carrie den relativ uninspirierten, aber dennoch grundsoliden Horrorfilm sehen, welcher das Remake im direkten Vergleich mit anderer US-Stangenware dann doch noch ist.
Das Remake beginnt damit, dass Margaret White (Julianne Moore) zuhause im Bett ohne Hilfe einer Hebamme die kleine Carrie zur Welt bringt. Doch die psychisch gestörte religiöse Fanatikerin sieht in dem Kind eine Frucht des Bösen und ist versucht das Baby mit einer Schere zu erstechen. Die alleine mit ihrer Mutter lebende Carrie (Chloë Grace Moretz) ist auch mit 16 Jahren noch vollkommen unaufgeklärt. Gerät in Panik, als sie nach dem Sportunterricht unter der Dusche ihre erste Periode bekommt. Die anderen Mädchen lachen Carrie aus und bewerfen sie mit Tampons. Die Rädelsführerin Chris Hargensen (Portia Doubleday) nimmt die Szene sogar mit ihrer Handykamera auf und stellt das Video ins Internet. Als die Sportlehrerin Miss Desjardin (Judy Greer) dies erfährt, schließt sie Chris vom Abschlussball der Schule aus. Um sich hierfür an Carrie zu rächen schmiedet Chris gemeinsam mit ihrem Freund Billy Nolan (Alex Russell) einen gemeinen Plan. Doch Chris' Freundin Sue Snell (Gabriella Wilde) schämt sich für den Vorfall in der Mädchendusche. Deshalb überredet sie ihren Freund, den Mädchenschwarm Tommy Ross (Ansel Elgort), nicht mit ihr, sondern zusammen mit Carrie zum Abschlussball zu gehen. So nimmt die Katastrophe unweigerlich ihren Lauf...
Bei Brian De Palma wird die Duschszene durch eine der berühmten Kamerafahrten eingeleitet, für die der Regisseur berühmt ist. Der unverhohlen voyeuristische Blick gleitet vorbei an jungen, nackten Frauen, die sich unbeschwert im Umkleideraum bewegen. Dann fällt der Blick auf die nackte Carrie, die sich unter der Dusche wäscht, wobei plötzlich Blut sichtbar wird. Mit dieser perfekten Eröffnung wird gleich deutlich, dass dieser Film als Subtext die erwachende Sexualität einer jungen Frau behandelt. Kimberly Peirce zeigt in ihrer »Neuinterpretation« die gleiche Szene, allerdings ohne De Palmas geschmeidige Kamerafahrt oder sonstige Finesse in der Inszenierung. Auffällig ist auch, dass in der Neufassung alle Mädchen sowohl beim Duschen, als auch in der Umkleide bekleidet sind, was erstens nicht besonders realistisch erscheint und womit darüber hinaus auch deutlich wird, dass Sexualität in diesem von Sexualität handelndem Film offenbar unerwünscht ist. Hier wurde eindeutig weniger auf inhaltliche Stringenz, als auf eine zielgruppengerechte Altersfreigabe in den USA geschaut.
Dafür wird die Bösartigkeit des Verhaltens der Mädchen in dieser Szene im Remake dadurch gesteigert, dass die Szenerie per Handykamera aufgenommen und ins Internet gestellt wird. Diese naheliegende Idee ist nicht nur aufgrund des aktuellen Booms von Found-Footage-Horror-Filmen zwar alles andere als originell. Aber immerhin ist diese Neuerung im Kontext der Handlungsentwicklung als eine dramatische Steigerung effektiv. Dies ist auch bereits so ziemlich die einzige Modernisierung, die im Remake von Carrie tatsächlich Sinn ergibt. Die größte Differenz zum Original besteht in der Neufassung nämlich darin, dass alles Irrationale, Mystische und Widersprüchliche komplett getilgt wurde und durch eine banale Eindeutigkeit ersetzt wurde. Peirce reduziert die gesamte Handlung einfach auf einen simplen Rache-Plot. All die sexuellen Anspielungen und mystischen Assoziationen mussten weichen. Das so entstandene Vakuum versucht die Regisseurin wie derzeit üblich mit möglichst plakativer Gewalt wieder aufzufüllen.
Auch gibt es in der Neuverfilmung kein Ereignis, das sich nicht sehr frühzeitig überdeutlich ankündigt. Gleich zu Beginn sieht man eine Bibel auf einer Treppe, dann die in ihrem eigenen Blut liegende Mutter, die zwischen ihren Beinen ein Baby entdeckt. Aber weil das alles noch einen letzten Rest an Zweifel lassen könnte, mit was für einer Frau man es hier zu tun hat, richtet diese bereits im nächsten Moment eine übergroße Schere auf das Neugeborene. Ein Graus. Auch Carries Entwicklung telekinetischer Kräfte ist natürlich nicht so langsam, dass der Zuschauer eventuell noch selbst etwas zum Nachdenken hätte. Nein, hier klirrt das zerspringende Glas nicht, sondern es kracht. Damit auch wirklich noch der Letzte versteht, was da gerade vor sich geht, liest Carrie nicht nur Wälzer um Wälzer über Telekinese, sondern doziert auch noch fleißig aus dem Inhalt dieser Bücher. Und sobald diese Superfrau mit ihren beeindruckenden Superkräften einmal ein paar Messer oder andere Objekte zum höchst kontrollierten Schweben bringt, wird die Bedeutungsschwere dieser Tat noch von überlauten Soundeffekten unterstrichen.
Die äußerst hübschen Chloë Grace Moretz in der Rolle von Carrie hat so rein gar nichts von dem häßlichen kleinen Entlein aus Stephen Kings Geschichte und aus Brian De Palmas Film. Deshalb ist Carries Außenseiterrolle in der Neuverfilmung auch wesentlich schwerer greifbar. Angeblich soll so gezeigt werden, dass Carries Selbstbild aufgrund der permanenten Attacken durch die pychotische Mutter so sehr gestört ist, dass sie sich selbst als unattraktiv wahrnimmt und dies deshalb auch ausstrahlt. Wahrscheinlicher ist da doch eher, dass man als Protagonistin unbedingt ein Eye Candy plazieren wollte, auch wenn dies auf Kosten der Glaubwürdigkeit geht. Im Original wurde Carries Antagonistin Chris Hargensen auch durch die eindeutig hübschere Nancy Allen verkörpert, die De Palma später sogar heiratete. In der Neuverfilmung ist Portia Doubleday in dieser Rolle einfach nur hässlich und gemein. Das bzw. die Gute und die Böse müssen in diesem auf dumpfe Überdeutlichkeit Wert legenden Film offensichtlich bereits in ihrer Erscheinung erkennbar sein. Wahrscheinlich der politischen Korrektheit zuliebe dürfen am Ende auch nur die wirklich Bösen bestraft werden und selbst die Rache gibt sich nach Möglichkeit als eine zwar ungewöhnliche, aber effektive Form der Selbstverteidigung.
Wie gesagt: kennt man Brian De Palmas Originalverfilmung nicht, so ist Kimberly Peirces Version von Carrie immer noch solide Horrorkost. Doch dem echten Gourmet kann bei diesem fiesen filmischen Fast-Food schon recht übel werden.