USA 1995 · 177 min. · FSK: ab 16 Regie: Martin Scorsese Drehbuch: Nicholas Pileggi, Martin Scorsese Kamera: Robert Richardson Darsteller: Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James Woods u.a. |
Robert de Niro als Mafiosi, das ist nichts Neues. Aber de Niro im rosafarbenen Anzug schon. Und dann Sharon Stone in ihrem besten Film, in ihrer schönsten Rolle – zwei Gründe, genug, um sich Casino anzuschauen. Der dritte Grund ist der Regisseur, Martin Scorsese, dem hier ein weiteres Highlight seiner Karriere gelang. Der vierte Grund heißt Joe Pesci. Der spielt Nicky Santoro, einen der fiesesten, gemeinsten Mafia-Killer, den die Filmgeschichte je gesehen hat. Er spielt ihn fantastisch, denn er zeigt auch diesen Widerling als Menschen. Damit sind wir beim fünften Grund.
Wenn es die Mafia nicht gäbe, dann müßte man sie erfinden. Kaum eine zweite Institution zeigt die Schattenseiten des Kapitalismus in ähnlicher Deutlichkeit. Die Mafia hat das freie Unternehmertum auf seine Ursprünge zurückgestoßen: unter der romantischen Oberfläche des Händlers als Helden verbergen sich Macht und Gewaltverhältnisse.
Kein Wunder, daß dieser Wirtschaftszweig eine Filmindustrie immer schon interessiert hat, die nach großen romantischen Bildern und
spektakulären Taten dürstet. In den Geschäften der Mafia läßt sich das Geschäftemachen als solches in Bilder fassen, das Bilanzieren von Soll und Haben, und die brutalen Konsequenzen, die solche Abrechungen nach sich ziehen.
Und kaum ein Regisseur hat den schönen Schein der Mafia ähnlich entmythologisiert wie Martin Scorsese. An der Oberfläche ist der Mafiosi ein Rebell, irgendwie auch ein kleiner Robin Hood, und überdies ein Familienvater, der seinen Clan zusammenhält. Oft genug sympathisiert der Zuschauer mit ihm, schon weil in Hollywood am Ende doch Staat und Polizei gewinnen müssen. Diese falsche Haut zieht Scorsese der Mafia systematisch vom Leib.
Und in keinem Film gelingt ihm das besser,
als in Casino, das in den Filmhelden die spießigen Händler entlarvt. Fast wie in einem Dokumentarfilm zeigt Scorsese, wie die Spielhöllen von Las Vegas funktionieren, und wie die Mafia ihre Gewinne sichert. Der jüdische Mafioso Sam »Ace« Rothstein (Robert De Niro) – der auf der realen Geschichte des Frank (Lefty) Rosenthal basiert – ist ein solid-gewöhnlicher Geschäftsmann par excellence. Er setzt auf Effizienz und möchte keinen Ärger. Den bekommt
er erst, als er auf die Luxus-Hure Ginger McKenna (Sharon Stone) trifft. Was hier symbolisch an den drei Hauptfiguren – der dritte ist eben Nicky Santoro, der für Rothstein die Dreckarbeit macht und alle »complications« aus dem Weg räumt – erzählt wird, ist Aufstieg und Fall der amerikanischen Mafia, jedenfalls ihrer romantischen Phase.
Casino zeigt eine Industrie unter Rationalisierungszwängen, er zeigt, was sich unter den feinen Anzügen und Smokings, die auch die Mafiosis tragen, verbirgt. Er beschreibt, wie dieses System, das jahrzehntelang wie geschmiert läuft, auf einmal kollabiert. Innere Konflikte und Widersprüche sind schuld, aber auch der Beginn einer Globalisierung, die Las Vegas den großen Konzernen ausliefert, und in ein Disneyland verwandelt.
Mehr als alles andere ist
Casino ein Hohelied auf das alte Spieler-Mekka Las Vegas, das in den 70er Jahren untergangen ist. Las Vegas gehört zur Mafia wie die Utopie zur Wirklichkeit. Dieser Ort ist der realgewordene Traum eines Lebens jenseits der Regeln. Man kann als Bettler kommen, und als Millionär wieder gehen. Gäbe es diese Hoffnung nicht, dann hätte der Kapitalismus keinen Sinn.
Wie so viele andere wäre ich auch beinahe davor zurückgeschreckt, mir eine 3 Stunden lange Hommage an die Glitzerwelt von Las Vegas anzuschauen, 3 Stunden lang brutalste Gangstermethoden und das Zahnpastalächeln von Sharon Stone über mich ergehen zu lassen. Als ich ihn dann mehr zufällig doch noch ansah, kam natürlich auch alles wie erwartet:
Natürlich dreht sich der ganze Film um das Geschäft mit dem großen Glück, natürlich ist die detailgetreue Schilderung der Tricks & Spielregeln und blutigen Sanktionen der Gangsterwelt (pardon: Geschäftswelt) ein nostalgischer Abgesang auf diese einst so goldenen Zeiten.
Doch ganz so banal ist das von Scorsese gewählte Thema nicht; diese Äußerlichkeiten sind mehr Gerüst als alleiniger Filminhalt: Hört man den Erzählungen der Gangsterkönige genauer zu, so merkt man, daß hier mehr bezweckt wird als die bloße Dokumentation der austauschbaren Biographien. Da gibt es machtgierigen Gauner wie den schmierigen und oft unerwartet eiskalten Trickdiebkönig Nicky (Joe Pesci), luxussüchtige Gangsterbräute (die als Nutte aufgestiegene und ebenso wieder endende Mrs. Rothstein/Sharon Stone) und Casinobesitzende Saubermänner (Robert de Niro als Mr. Rothstein), die alles andere als eine weiße Weste haben und alles kontrollieren und haben können, nur nicht die Frau, die ihnen zum vollendeten Glück fehlt.
Eben dies ist der rote Faden in dem Streben aller Charaktere des Films: Sie alle suchen, jeder auf seine Art, verzweifelt nach dem großen Glück. Welcher Schauplatz wäre hierfür geeigneter als Las Vegas, die Hochburg des irdischen Glücks, wo immer wieder unzählige Menschen ihr Seelenheil mit materiellen Erfolgsmomenten verwechseln? Diese Aussage wird nicht offen ausgespochen, doch die gesamte Erzählhaltung Rothsteins ist so angelegt, daß man einerseits zuviel Symphatien für ihn hegt, um ihn als Unmeschen aburteilen zu können; andererseits ist sie kommentarlos-distanziert genug, um den Zuschauer vor einer platten Identifikation mit Rothstein zu bewahren und ihm Freiraum für das eigene Urteil zu lassen. Dieser gleichermaßen nostalgische wie nüchterne Rückblick findet sein musikalisches Gegenstück in dem wehmütig-resignierten und doch reulosen Tonfall des Animals-Klassikers »House of the Rising Sun«, welcher den Niedergang der dieser »glanzvollen« Ära in den Schlußszenen untermalt.
In eben dieser Grundstimmung verläßt man dann auch nach 176 niemals langweiligen Minuten das Kino, beinah wie geläutert. Doch wovon? Obwohl man gemeinsam mit Rothstein das Gefühl hat, um ein paar wichtige Lektionen des Lebens reicher geworden zu sein, bleibt die Frage nach dem Sinn. Wozu wählt Scorsese gerade diesen einerseits belanglosen, nicht eben aufwühlenden und dennoch extrem brutalen Erzählstil? Vielleicht, weil er gerade mehr den Anflug einer Ahnung hinterlassen, als ein vorgekautes Urteil liefern wollte – denn eins hat er erreicht, dieser Film geht einem nicht so schnell wieder aus dem Kopf.