USA/GB 2007 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Vilmos Zsigmond Darsteller: Ewan McGregor, Colin Farrell, Tom Wilkinson, Sally Hawkins, Hayley Atwell u.a. |
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Im Fieber der Spielleidenschaft |
Mit Homer, dem trojanischen Krieg und dem Untergang eines Reichs hat dieser Film seinem Titel zum Trotz zunächst einmal gar nichts zu tun: Cassandras Traum ist der Name eines Hundes, der bei einem Hunderennen als Under-Dog zum Überraschungssieger wird und einem wettbegeisterten jungen Mann einen größeren Batzen Geld einbringt.
Doch die Mythologie der Antike hat in Woody Allens Werk schon immer eine überaus wichtige Rolle gespielt, und erst zuletzt in Scoop fuhren Charaktere in Charons Kahn über den Totenfluss. So ist der Verweis auf Kassandra ebenfalls keineswegs Zufall: Der Regisseur erzählt von bösen Träumen und einem vorhersehbaren Unglück, vom Untergang einer Familie und dem Umgang mit Schuld, und weil er Woody Allen heißt, tut er dies als sarkastischer Buchhalter sozialen Verhaltens und allzumenschlicher Schwächen in Form einer bitteren Komödie, immer kurzweilig, aber mitunter nahe am Zynismus – man muss sich Allen nicht unbedingt als sympathischen Menschen vorstellen. Aber wer von allen geliebt werden will, ist ja auch oft langweilig.
Der erwähnte junge Mann heißt Terry (Colin Farrell) und für die Gewinnsumme kauft er sich gemeinsam mit seinem Bruder Ian (Ewan McGregor) eine schöne alte Segelyacht, und benennt sie nach dem glücksbringenden Hund. Die beiden Brüder wollen, das ist von Anfang an spürbar, höher hinaus. Im wahren Leben ist Terry nämlich ein einfacher Automechaniker, Ian führt mit mäßigem Erfolg das kleine väterliche Restaurant – es ist die britische »under middle class«, das proletarische Kleinbürgertum, mit seinem Cockney-Akzent, seinem gewöhnlichen Geschmack, seinen biederen Träumen, mäßiger Bildung und Hang zum Alkohol, das Allen hier ein wenig von oben herab genüsslich aufs Korn nimmt. Wie zuvor Match Point und Scoop spielt alles in London – das alte Europa ist für Allen in seiner fünften Schaffensphase – nach dem vor allem der Slapstick in Nachfolge der Marx-Brothers verpflichten Frühwerk, der »klassische« Phase zwischen 1977 und 1985, die bis heute Allens Ruhm bestimmt: Zurückhaltender, ruhiger und intellektueller steht in diesen Filmen ein latent tollpatschiger und lebensunfähiger New Yorker Stadtneurotiker, seine Befindlichkeiten und meist kurios scheiternde Liebesbeziehungen im Zentrum. Seit Mitte der 80er Jahre wechseln sich (film-)nostalgische Kostümwerke wie Radio Days (1987) mit Filmen ab, die vor allem die sozialen Beziehungen des gehobenen Mittelstandes ins Zentrum rücken, etwa der oscarprämierte Hannah and Her Sisters (1986). Seit Anfang der 90er wurde dann die Stilpalette breiter, Allens Werk aber auch konturloser und neben Großartigem steht Schwaches. Nach dieser »postmodernen«, verspielten Phase drehte Allen 2005 mit Match Point erstmals in Europa, zugleich wurde sein Ton ernster, bitterer, die Filme pessimistischer; es sind zuletzt sämtlich Kriminalgeschichten, in denen Menschen aus Gier und Schwäche morden – offenbar ein persönlicher Jungbrunnen, sein neuestes Werk, das gerade in Cannes uraufgeführt wurde, spielt in Spanien. Auch die erwähnte Spielleidenschaft ist ein Faktor, denn Spieler sind Menschen, die für eine kleine Chance ein hohes Risiko auf sich nehmen – in der Gewissheit, dass am Ende immer die Bank gewinnt.
Genau das passiert: Terry hat Schulden und die Kreditmafia im Nacken, Ian braucht Geld für seine neue anspruchsvolle Freundin. Der einzige Lichtblick am Horizont hat die Gestalt von Onkel Howard (Tom Wilkinson), dem reichen Onkel der – ein göttlicher Eingriff von Regiezeus Allen – gerade auf der Leinwand erscheint als beide Brüder am Boden sind. Der freundliche Gönner der Familie zeigt sein wahres Gesicht als er den Brüdern, die ihn um Hilfe bitten, das Geld (und noch viel mehr) zwar verspricht – als Gegenleistung aber einen Mord verlangt…
Das kann nicht gut gehen. Und es geht sogar überaus schlecht. Inszeniert hat es Allen, der sich auch hier wie in seinen letzten Filmen von Dostojewski ein paar Motive ausgeliehen hat, melancholisch, bitter und kühl: Auch Robert Bresson stand sichtbar Pate für diesen Alptraum ohne Erwachen. Und musikalisch ließ sich Allen auch wieder Neues einfallen: Erstmals stammt der Soundtrack von Philip Glass.
Das Ergebnis ist ein durchaus origineller Allen-Film, der Fans und Kenner zwar nicht überraschen wird, und auch qualitativ nicht an Allens beste Filme heranreicht. Aber den Kinobesuch lohnen die bösen Taten der Baine-Brüder in jedem Fall.