USA 2018 · 107 min. · FSK: ab 0 Regie: Marielle Heller Drehbuch: Nicole Holofcener, Jeff Whitty Kamera: Brandon Trost Darsteller: Melissa McCarthy, Richard E. Grant, Dolly Wells, Ben Falcone, Gregory Korostishevsky u.a. |
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Eine Frau, die schlechtes tut und es nicht einmal bereut |
Und die Post-#MeToo-Welle rollt und rollt. Und dringt dabei schäumend und gurgelnd in Bereiche vor, die bislang undenkbar waren. Vor allem die Literatur scheint dabei ein besonders attraktives, da besonders weites Feld, zu sein, um Handlung und Historie neu zu bewerten und gegebenenfalls umzuschreiben. Hatten wir es in den letzten Monaten schon mit einer verkappten Nobelpreisträgerin zu tun, mit Mary Shelley, der Frankenstein-Autorin, und Colette, der großen französischen Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin, macht sich Marielle Heller in ihrer dichten, dunklen und vielschichtigen Filmbiografie Can You Ever Forgive Me? auf die Suche nach der der erfolglosen Autorin und Fälscherin Lee Israel.
Die lange als Journalistin und Biografin erfolgreiche Israel (Melissa McCarthy) hat 1991 ihren Erwerbsarbeitsjob in einer Redaktion verloren und sich im Zuge von Alkoholproblemen und Schreibblockaden mit dem Mute der Verzweiflung dazu durchgerungen, gefälschte Briefe von berühmten Autoren und Schauspielern an Antiquariate zu verkaufen. Der unerwartete Erfolg und die Leichtigkeit der Fälschungsarbeit – die durch leicht zu beschaffende, antiquarische Schreibmaschinen fast leichter scheint als in heutigen digitalen Zeiten – verleitet die lesbische Autorin einen altbekannten, schwulen Helfer, Jack (Richard E. Grant), mit ins Boot zu holen und die Operation auszubauen.
So unkonventionell dieser Plan-B klingt, so überraschend und immer wieder gegen den Strich gebürstet, sieht er sich auch an. Denn Heller, die sich bislang vor allem durch ihre furiose filmische Adaption des Jugendbuchs The Diary of a Teenage Girl und als Regisseurin der Ausnahmeserie Transparent ausgezeichnet hat, verzichtet nahezu völlig darauf, ihre »Heldin« mit Standard-Sympathieschablolen für den Zuschauer zurechtzuschneiden: die von Melissa McCarthy großartig in Szene gesetzte Israel ist stattdessen übergewichtig, drogenaffin, schlecht gekleidet und auch im Umgang mit ihren Mitmenschen alles andere als einfach. Zwar verzichtet Heller nicht auf die unfreiwillige Komik, die ein solcher Mensch in seiner unkonventionellen Reibung mit der Realität entwickelt, doch Hellers Schwerpunkt bleibt das Lebensumfeld einer einsamen Frau, die sich schwer dabei tut, sich selbst gut zu verkaufen. Nicht nur weil sie ihr Äußeres verweigert, sondern auch, weil sie vom Literaturmarkt angeekelt ist. Selbst diesen Ekel hinterfragt Heller jedoch, indem sie zeigt, dass er zum einen tatsächlich auf einer Marktdynamik beruht, die Israel zurecht kritisiert, zum anderen aber auch Teil der Unsicherheit und des fehlenden Selbstbewusstseins ist, in die sich Israel mehr und mehr hineinfrisst. Dass die erfolgreiche Fälschung dann auch so etwas wie Rache an der Oberflächlichkeit eines Systems ist, das innere Schönheit gar nicht erkennt, ist am Ende doppelte Genugtuung für Israel und der eigentliche Spannungsbogen, den Heller subtil, Szene für Szene, in dunklen Räumen, Kneipen, muffigen Antiquariaten und einen tristen Lebensalltag faszinierend dicht auslegt.
Doch Can You Ever Forgive Me? mit seinen überragenden schauspielerischen Leistungen von Richard E. Grant und Melissa McCarthy, die sich einer Verpuppung gleich aus ihren bislang rein komödiantischen Rollen zu einem dämonischen Schmetterling der Dunkelheit verwandelt, ist auch ein weiteres, beeindruckendes Statement gegen das stereotype Frauenbild Hollywoods. Hatte Steve McQueen in Widows schon Frauen bei kriminellen Handlungen gezeigt, die immer wieder wie die ganz normalen Frauen von nebenan aussahen, aber immerhin aus ehrenvollen Gründen handelten, so geht Heller noch einen Schritt weiter.
Denn Heller nimmt auf subtile Art und Weise auch die Kritik an der wirklichen Lee Israel auf, deren autobiografisches Buch Grundlage des Films ist und das sich bei Erscheinen dem Vorwurf stellen musste, aus moralischer Verwerflichkeit auch noch Kapital schlagen zu wollen. Heller beschönigt nichts, sondern zeigt auch hier Israel auf ihr skelettiertes Psychogram reduziert – eine Frau, die schlechtes tut und es nicht einmal bereut und nicht einmal durch eine ja tatsächlich mögliche Partnerbeziehung mit einer schönen Frau vom »Bösen« erlöst wird. Und weil Heller dieses unkonventionelle Verhalten mit wirklich allen Schwächen und Stärken transparent macht, wird Israel am Ende doch zur Heldin, sie sie nie war und wohl auch nie sein wollte. Einfach nur, weil wir sie verstehen, soondern vor allem auch verstehen, dass jeder Lee Isreals Potenzial – das gute wie das schlechte – in sich hat, ganz egal, ob Mann oder Frau.