USA 2000 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Tarsem Singh Drehbuch: Mark Protosevich Kamera: Paul Laufer Darsteller: Jennifer Lopez, Vince Vaughn, Vincent D'Onofrio, Marianne Jean-Baptiste u.a. |
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In der (Alp-)Traum-Welt |
Eine australische Firma hat sich schon vor zwei Jahren ein Patent für Experimente und die Züchtung von Chimären ausstellen lassen, wie in den vergangenen Tagen in allen Zeitungen zu lesen war. Und in Zeiten, in denen alles dem rationalen Blick des Wissenschaftlers ausgesetzt wird, das Innerste nach Außen gekehrt, die Gene, das Geheimnis des Lebens ergründet und transparent gemacht werden sollen, scheint es nun, als würden die verkommenen und überlebten mythologischen Vorstellungen, die Zeichen der symbolischen Ordnung in die Wirklichkeit drängen, real werden. Das Kino hat das schon immer geahnt, Science-Fiction hieß das damals, als das Leben die Phantasie noch nicht überholt hatte. Und jetzt können wir vielleicht schon übermorgen die Phantasmen der Drehbuchschreiber neben uns auf der Straße erleben. Im Kino waren die Mensch-Tier-Hybriden schon immer der Alptraum, wenn man an Cronenbergs The Fly denkt, an The Island of Dr. Moreau oder den letzten Teil der Alien-Saga. So gesehen ist The Cell gar nicht so weit von der Realität entfernt, auch dort geraten die Grenzen zwischen Traum, Archetyp, Mythologie und Realität immer wieder ins Wanken, manifestieren sich in den Schizophrenien der Protagonisten.
Ein Team von Psychologen hat einen Weg gefunden direkt ins Unbewußte ihrer Patienten einzudringen. Und weil der Film aus Amerika kommt ist die Seelenlandschaft auch nichts anderes als ein normaler Spielfilmraum. Catherine Deane heißt die schöne Reisende auf der Suche nach den Problemen im Gehirn des Anderen. Als der Serienkiller Carl Stargher, kurz bevor er geschnappt wird, ins Koma fällt und das FBI keine Chance mehr hat ihn zu fragen, wo er sein letztes Opfer, das noch am Leben ist, versteckt hält, tritt Catherine ins Unbewußte des besagten Mörders ein, um den Aufenthaltsort der Verschleppten zu finden. Es beginnt ein wüster Trip durch die mentalen Landschaften des Gewaltverbrechers.
Die Story ist einfach gestrickt, lose zusammengesetzt aus den Versatzstücken der letzten paar Filme über Massenmörder. Die Dialoge grausam bis widerlich (fast so schlimm wie die Platitüden im letzten, ersten Star Wars – Teil), aber darum geht es ja nicht, es geht um diesen Raum (Un-)Bewußtsein, die Inszenierung der Traumwelten. Der Rest des Filmes, klassisch in Szene gesetzt, macht den Antagonismus auf zwischen der Liquidität, dem ständigen Fluß, der ständigen Veränderung und Bewegung der imaginierten Räume und der Materialität der wirklichen Räume. Da ist sie wieder, die strikte Trennung nach res cogitans und res extensa, Körper und Geist, wie schon in Matrix, von der Versuchsanordnung her gleichen sich die Filme wie ein Ei dem Anderen. »Stirbst du im Traum stirbst du auch in der Wirklichkeit«, zwecks des Nervenkitzels.
Der Regisseur Tarsem hat in der Vergangenheit Videoclips und Werbung gemacht und das ist dem Film nur dienlich, weil viel gespielt wird mit dem, was das Zelluloid an Qualitäten zu bieten hat. Beschleunigung / Verlangsamung, das gewagte Spiel mit Nähe und Distanz, der Umgang mit irrealen Größenverhältnissen zwischen Mensch und Raum. 1945 kreierte noch Salvador Dali für Hitchcock in Spellbound die Traumwelt, aber von dem was man in The Cell zu sehen bekommt (nach der special-effects-Inflation und THX) könnte selbst das spanische Universalgenie nur träumen. Tarsem hat sich wirklich einen exzellenten Stab von Mitarbeitern gesucht um sein Kino, das Kino der Sensationen, die Jahrmarktsattraktion, in Szene zu setzen. Man hat alles schon mal irgendwo gesehen, aber nicht in dieser Opulenz, dieser Verschwendung. Eiko Ishioka, Kostümdesignerin, hat die Rüstung, mit der die Figuren auf ihre Psychotrips geschickt werden, einfach aus Coppolas Dracula mitgebracht, wo sie auch schon die Ausstattung betreute. April Napier (Kostüme) hat bei den Clips für NINE INCH NAILS mitgearbeitet und der erste Ausflug in Starghers Gehirn wirkt visuell wie ein halbstündiger Videoclip zu einem Song von MARILYN MANSON, weil die Ikonographie der Gestalten identisch ist. Tarsem entwickelt eine gewaltige Bildsprache, irgendwo zwischen Gemälde, Comic und Experimentalfilm. Jonas Mekas, der im Lotto gewonnen hat und es den Großen in Hollywood nun endlich zeigen will. Die Bilder enden teilweise in reiner Form, reiner Farbe, in der Abstraktheit, der Zweidimensionalität der Leinwand. Das ist wie bei MANSON, das Spiel mit den mythologischen Bezügen ist wie Rost an der Mythologie selbst, die Verweise, die Bedeutungen lösen sich auf, alles geht auf in der Oberfläche der mise-en-scène, in Licht, Farbe, Form.
Übrig bleibt die Hilflosigkeit des Killers und seine verzweifelten Versuche in diesem Strom der Bilder das Wirkliche zu finden, die Statik, den eigenen Körper. Die Grenzen zwischen Realem und Irrealem verschwimmen in der Wahrnehmung von Innen und Außen, die mit jedem Moment stärker ineinander fließen. Analog steigern sich die Grausamkeiten, die Perversitäten, der Sadismus, der von Zeit zu Zeit in Masochismus umschlägt, um das Ich im Rausch der Bilder wiederzuentdecken. Das Thema gipfelt schließlich in der Parallelmontage am Ende des Films, als Catherine noch einmal in das Unbewußte des Killers eindringt, um die Traumata zu lösen während der FBI-Agent Peter Novak in der Wirklichkeit das letzte Opfer aus der Zelle, in die Stagher seine Opfer sperrt, befreit. Er schafft im Außen die Symmetrie zur Befreiung im Inneren.
Der Gewaltdarstellung nach folgt The Cell dann dem Horror-Film. So schneidet der Killer im Traum dem FBI-Agenten den Bauch mit einer Schere auf, zieht den Darm heraus und wickelt ihn an einem Drehspieß aus dem Inneren heraus auf. Das ist stringent, um die Auflösung Innen / Außen noch einmal deutlich zu machen und wird hübsch überhöht durch die Stilisierungen der mise-en-scène, ändert aber nichts an den pathologischen Untertönen. Die Szene mit dem Pferd, das fragmentiert wird, gab es schon in der »Sensations«-Ausstellung von junger britischer Kunst aus der Sammlung Saatchi zu sehen, aber im Kontext eines Museums, nicht dem des Multiplex. Das zerstückelte Pferd in den Glaskäfigen lebt weiter, die Organe arbeiten und das fügt dem ganzen noch einmal eine ganz neue Dimension hinzu.
Am Ende sehnt man sich zurück nach ein bißchen Wirklichkeit und wenn man zurückkommt auf die Chimären dann kann sich vielleicht mehr vorstellen – denkt man an Kracauer, der in den 20´ern schon wußte, dass wir das Kino brauchen, um uns auf die Wirklichkeit in der Moderne (Postmoderne, wie auch immer) vorzubereiten.