USA 1997 · 97 min. · FSK: ab 16 Regie: John Irvin Drehbuch: Ken Solarz Kamera: Thomas Burstyn Darsteller: Harvey Keitel, Famke Janssen, Stephen Dorff, Timothy Hutton u.a. |
»Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher.« Offenbar wollte Regisseur John Irving diese wie immer weise Weisheit Albert Einsteins beherzigen, als er City of Industry drehte. Da ist alles so einfach wie in einem Western der frühen Fünfziger. Es gibt wenig Schauspieler, wenig Schauplätze und wenig Handlung. Zwei Brüder, Roy (Harvey Keitel) und Lee (Timothy Hutton) sind zwar Gangster, doch im Prinzip haben sie eben doch ein gutes Herz, und gehen anständig und tüchtig, gut amerikanisch eben ihrem Verbrechen nach. Mit zwei anderen Kumpels rauben sie einen Diamantenhändler aus, und zuerst klappt der Coup wie am Schnürchen. Doch beim Teilen der Beute entpuppt sich der eine, Skip (Stephen Dorff, der so spielt, als hielte er sich für James Dean, was ihn unsympathisch und insofern als ehrloses Arschloch sehr glaubhaft macht) als wahrlich furchtbarer Schlimmfinger, und läßt alle Gangsterehre außer Acht. Nachdem er den optimistischen Trottel Lee und das Macho-Großmaul Jorge (Wade Dominguez) gekillt hat, verschwindet er mit der ganzen Beute. Doch Roy, der überlebte, weil er nicht an das Gute im Menschen glaubt, und im richtigen Moment aufs Klo mußte, jagt und erwischt Skip am Ende des Films. Zwischendurch hatte er noch Gelegenheit, Jorges Witwe (Famke Janssen) kennenzulernen, und ihr Gutes zu tun.
Wäre das alles, müßte man City of Industry nicht gesehen haben. Doch da ist zum einen die Atmosphäre, in der diese nicht wirklich wichtige, wenn auch über weite Strecken spannende Story erzählt wird. Das Skizzenhafte, Stimmungsvolle, überhaupt nicht Mainstreamige macht die Qualität von City of Industry aus.
Und da ist Harvey Keitel, der als großer Schweiger und blutbesudelter Schmerzensmann wieder einmal einen Film allein in
höhere Sphären reißt. Wenn Keitels Roy sagt: »I am my own police«, dann ist das nicht nur Macho-Gewäsch, sondern auch ein schöner Kinomoment. Man fragt sich an solchen Stellen ob es sich um umabsichtliche oder um sehr bewußte Kommentare zur Wirklichkeit handelt, wenn in versteckter Form Western-Elemente wieder ins Kino der 90er Einzug halten. Da ist der Bruder, der als lonely cowboy und einsamer Rächer in die Stadt einreitet -nicht mehr auf dem Pferd, sondern im Auto, aber das sind
Nebensächlichkeiten. Der sich an die Regeln hält, und allein ein ganzens Dutzend harter Jungs fertig macht.
Da ist die Moral, die zwischen guten und schlechten Verbrechern unterscheidet, und nicht zuläßt, alles über einen spaßigen Kamm zu scheren, wie Mr.Tarantino das gern tut. Verbrechen lohnt sich, lautet die Quintessenz, die nur vordergründig ein Bruch mit alten Kino-Regeln darstellt, Verbrechen lohnt sich, vorausgesetzt, Du hältst Dich an die Regeln, und hast
Familiensinn.
Die Rückkehr des Western ist auch die Rückkehr archaischer Traditionen. Sie ist nur möglich, weil man in der Moderne der 90er die Gesetzlosigkeit wiederentdeckt. Helden müssen hier Gangster sein, den die Polizei kommt nicht einmal vor.
Und vielleicht ist selbst der Titel ein Kommentar. Denn es bleibt etwas unklar, ob City of Industry sich nun nur auf jene Fabrikkulisse außerhalb der Stadt bezieht, an dem der Show-down inszeniert wird.
Oder ob damit auch die Tatsache mitgemeint ist, daß Industry ja soviel bedeutet wie Fleiß. Bezogen auf die US-Gesellschaft wäre die folgende Neuinterpretation einer Tugend dann in der Tat einmal etwas Neues.