Japan 1969 · 130 min. · FSK: ab 12 Regie: Eiichi Yamamoto Drehbuch: Kazuo Fukazawa, Hiroyuki Kumai, Osamu Tezuka Musik: Isao Tomita Schnitt: Masashi Furukawa |
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Zwiespältiges Frauenbild |
Wo in Frankreich die neusten Trickfilmproduktionen der Ghibli-Studios zumeist für volle Kassen sorgten, blieben Animes in Deutschland selbst bei Bundesstarts auf ihren Nischenplatz beschränkt. In den letzten zwei Jahren zeichneten sich im Kinomarkt leichte Veränderungen ab. Mit Plattformstarts ausgewählter Werke erregten Kazé samt den »Anime Nights« und Peppermint Anime samt des »Akiba Pass Festival« in mehreren Städten Aufmerksamkeit. Mit Einzelvorstellungen lassen sich teils hohe Einspielergebnisse erzielen, wie das Teenager-Körpertauschdrama Your Name bewies. Die zumeist jugendlichen Zuschauer ließen sich nicht einmal von der durchaus komplexen Erzählstruktur abschrecken.
Hierbei kann der einstige Vorreiter Rapid Eye Movies, einer der Förderer japanischer Animationskunst, nicht mehr ganz mithalten. Immerhin bringt man mit A Thousand and One Nights und Cleopatra samt der Wiederaufführung von Belladonna of Sadness der Mushi-Productions nach fast 50 Jahren endlich die Animerama-Trilogie von Eiichi Yamamoto und Manga-Starzeichner Osamu Tezuka ungekürzt in unsere Kinos. Ohne die Vorreiterrolle dieser einst gefloppten erotischen Trickreihe für Erwachsene wäre ein verrückter Stilmix wie Mutafukaz aus dem »Akiba Pass Festival«-Programm heute vermutlich undenkbar. In dieser französisch-japanischen Comicadaption fällt an einer Stelle der Ausdruck Hybrid. Tatsächlich erwiesen sich die Animerama-Filme in ihrer virtuosen Genrekombination als ihrer Zeit voraus. Angesichts der grafischen und inhaltlichen Experimente ist es jedoch bedauerlich, dass das Experiment nach dem dritten Film 1973 gestoppt wurde und sich Yamamotos Karriere lediglich im Fernsehsektor fortsetzte.
Yamamoto arbeitete mit Tezuka bereits bei der TV- und Kinoadaption seiner Manga-Hits »Astro Boy« und »Kimba, der weiße Löwe« zusammen. In ihrer Animerama-Trilogie zeigten sie sich von keinerlei Konvention beeindruckt, wobei besonders A Thousand and One Nights Cleopatra und Cleopatra eine stringente Handlung vermissen ließen. Nebenfiguren verschwinden mitunter aus dem Blickfeld. Handlungsfäden werden nur lose verknüpft, während der mäandernde Plot längst eine neue Richtung einschlägt.
Wie bei Belladonna of Sadness erweist sich das Frauenbild hier als zwiespältig. Einerseits kreierten die Autoren besonders in A Thousand and One Nights selbstbewusste Frauen wie die mordende Räubertochter Madia oder die Sklavin Milliam, die dem mittellosen Wasserverkäufer Aldin folgt. Ihre Reize setzten die Holden oft als Waffe ein. Anderseits geraten die Ladies als »Damsel in Distress« ständig in die Hände brutaler Männer, werden verfolgt, erpresst, missbraucht, geschändet und ermordet. Im Vergleich dazu wirkt die nach einem Schönheitsideal geformte Cleopatra eher als Opfer: ständig verliebt sie sich in die Ziele ihrer Intrigen verliebt, sei es Despot Cäsar oder Weichling Marcus Antonius.
Cleopatra (Kureopatora), in Deutschland einst um die überflüssige Science Fiction-Rahmenhandlung gekürzt als »Cleo und die tollen Römer« gestartet, stellt ohnehin den schwächsten, konventionellsten Teil der Trilogie dar. Vielleicht mag es am stärkeren Einfluss von Tezuka als Co-Regisseur gelegen haben, der bei A Thousand and One Nights nur als Produzent und Co-Autor beteiligt war und bei dem düsteren Belladonna of Sadness nicht mehr mitwirkte. Die Animation schwankt stets zwischen realistischen Charakteren und cartoonartigen Knollennasen-Männchen, die an Bruno Bozzettos reduzierten Stil erinnern. Dessen satirischer Humor erreicht stete Anachronismen, der durch albernen Slapstick aufgeweicht wird, bei dem die Charaktere dem Zuschauer schon einmal direkt die Zunge herausstrecken.
Stärker glänzen die makabren Parabeln um Begierde, Verführung, Macht, Intrige und Tod durch stete Verweise und Zitate. Gerade die heute harmlos anmutenden erotischen Einlagen nutzen das Medium für surreale Bildkompositionen, um explizite Einstellungen zu umgehen. Cleopatra glänzt immerhin als Spiel mit dem Medium Film wie Zeitlupen-Replays bei Kampfeinlagen oder dem Kinoformat bei verschobenem Bildstrich, kunstgeschichtlichen Exkursen, Comic-Intermezzi mit Sprechblasen, Selbstzitaten wie Cameo-Auftritte von Astro Boy und Co. oder Cäsars Tod als bizarre Kabuki-Theatereinlage.
Mitunter ermüdend wirkt A Thousand and One Nights durch seine Überlänge: er verknüpft Aladins Abenteuer mit weiteren Märchenmotiven wie Ali Babas Räuberhöhle, der Zauberlampe in der Funktion eines sprechenden Schiffs oder Sindbads Kämpfen gegen den Greif und andere Monstren. Wie bei Belladonna finden sich Einflüsse der Pop Art auf den grafischen Stil oder reduzierte, expressionistische Ingredienzien wie Schattenspiele, monochrome, symbolhafte Farbgebungen oder Scherenschnitt-Figuren bei Cleopatra. A Thousand and One Nights schwankt zwischen modernen psychedelischen Rocksongs oder einem wuchtigen klassischen Orchesterscore, was den parodistischen Anstrich hervorhebt.
Wo sich Yamamoto und Tetzuka noch aus Kostengründen mit verfremdeten Spielfilmbildern, etwa bei der halbherzigen Cleopatra-Rahmenhandlung, behelfen mussten, kann man heute auf CGI-Einsatz bauen. Davon macht Mutafukaz nach einem Comic von Guillaume »Run« Renard reichlich Gebrauch, ohne die Story zu überlagern. Seinen wilden Ritt durch die Stile zwischen Hiphop-, Ghetto-, Popkultur, mexikanischer Luchadores-Tradition, Paranoia-Horror oder frühen US-Cartoons darf man als direkten Nachfahren der Animerama-Reihe betrachten, was ebenso den schwarzen Humor betrifft. Die rasante Koproduktion soll im Herbst 2018 ebenso einen Plattformstart erhalten wie »Mary und die Blume der Hexen« des neu gegründeten Ponoc-Studios.
In der Tradition des Ghibli-Studios, das sich entgegen früherer Ankündigungen doch nicht ganz aus dem Filmgeschäft zurückziehen wird, verbindet Hiromasa Yonebayashis dritte Regiearbeit japanische und europäische Märchenmotive. Viele vertraute Elemente des bedeutenden Trickfilmstudios finden sich in dieser Kinderbuchadaption wie ein in eine fremde Umgebung verpflanztes neugieriges Mädchen, Freundschaft, eine Öko-Botschaft, der handlungstragende Einsatz der Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft oder das Auftreten bedrohlicher mechanischer Wesen. Selbst wenn das letzte Quäntchen Genialität eines Isao Takahata oder Hayao Miyazaki noch fehlt, erscheint der Fortbestand der traditionellen japanischen Animationstechnik gewährleistet. Mit Mind Game-Regisseur Masaski Yuasa, der zwei aktuelle Arbeiten für Teenager vorlegt (»Lu Over the Wall«, »Night is Short, Walk On Girl«), steht ein weiteres vielversprechendes Talent am Start. Er versteht es, grafisch und inhaltlich neue Wege zu bestreiten, ohne die Trickgeschichte verleugnen zu wollen.