USA/E 2003 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Oliver Stone Drehbuch: Oliver Stone Kamera: Rodrigo Prieto, Carlos Marcovich Schnitt: Elisa Bonora, Alex Marquez |
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Máximo Líder und Mr. Stone |
Der Wolf ist alt geworden. Flecken auf den Händen, Falten im Gesicht, so tief, dass sie auch der fusselige Guerillabart nicht mehr verbirgt. »Weil ich mich nicht rasiert habe, habe ich Monate Lebenszeit gewonnen«, witzelt der Comandante. Fidel Castro ist ein alter Mann, aber ans Abdanken denkt er noch lange nicht. 20 Jahre könnten es schon noch werden, so lässt er durchblicken.
Der kubanische Revolutionsführer hat Oliver Stone Audienz gewährt. Dass Fidel jederzeit das Recht hatte »cut!« zu rufen, um die Sequenz noch einmal neu drehen zu lassen, war der Deal. »Er hat nicht ein einziges mal eingegriffen«, sagt Stone.
Dafür hat der Regisseur wie erwartet um so eifriger geschnippelt: Unruhig zappelt die Kamera zwischen Gesicht und Händen des Diktators. Die Aufnahmen werden mit kubanischen Straßenszenen und Dokumaterial gemix. Ein Atompilz steigt zum Himmel, Che Guevara liegt aufgebahrt und Evita Peron schenkt ein wehmütiges Lächeln her. Wüste Bilderorgien, untermalt von nicht weniger turbulenten Tonsequenzen, Spanisch und Englisch überlagern sich, wechseln mit kubanischen Rhythmen.
Daraus entsteht ein unterhaltsames Treffen der Giganten, bei dem sich einer im Ruhm des anderen sonnt. In der 90-minütigen Essenz der Gespräche feuert der Regisseur heikle Fragen auf den Comandante ab: Wie war das mit der Schweinebucht, der Kubakrise, hat Fidel wirklich Russland aufgefordert, Atombomben auf Amerika zu feuern? Statements wie, auf Kuba habe es nie Folter gegeben, lässt der Filmemacher Castro widerspruchslos durchgehen. Fragen nach seinen Liebschaften weicht der Alte ohnehin aus, ja, die Namen der ein oder anderen Dame seien ihm bekannt. Ein Gentleman genießt und schweigt. Im übrigen dürften Brigitte Bardot und Sophia Loren ihn zu ihrer Fangemeinde zählen.
Stattdessen philosophiert er um so offenherziger über Leben und Tod. Dass er ein Diktator ist, gibt er offen zu. Aber einer, der Sklave seines Volkes sei. »Dies ist meine Zelle«, sagt Fidel und durchmisst sein Büro mit langen Schritten von einer Wand zur anderen. Tatsächlich hat Castro einiges erreicht für die Kubaner, mehr, als in manch anderem sogenannter Demokratie geboten wird: ein funktionierendes Gesundheitswesen, genug zu Essen für alle und vor allem Schulbildung. »Bei uns haben sogar die Huren Abitur«, sagt er und meint das völlig ernst. Tatsächlich erfreut sich der alte Guerillero großer Sympathien vor allem bei den jungen Menschen. Wo immer er auftaucht, wird er wie ein Popstar bejubelt. Mehr als 70 Prozent der jungen Menschen stehen hinter ihm.
Der Comandante vertraut darauf, dass die Jugend den Geist der Revolution weiterträgt, wenn er einmal nicht mehr ist. Doch Castro steht in der Tradition der Máximo Líder, der charismatischen Führerpersönlichkeiten Südamerikas. Es gibt keinen, der seinen Platz ausfüllen könnte. Der Traum von Cuba als letzter sozialistischer Enklave auf dem südamerikanischen Kontinent wird mit seinem Tod zuende sein. Auch Stone erliegt dem Charme von Macht und Charisma. Und so kippt das persönliche Porträt immer wieder zur unkritischen Hommage.
In der anschließenden Diskussion bringt Stone die Quintessenz des Films noch einmal auf den Punkt: »He is a hell of an actor«, sagt der Regisseur über seinen Star. Und genau das ist es, was der Film letztendlich zeigt: Die grandiose Vorstellung eines charismatischen Politmimen.
»Bei uns in Cuba haben sogar die Huren alle Abitur.« Man kann diesen verblüffenden Satz, der aus dem Mund Fidel Castros in Comandante zu hören ist, in zwei Richtungen verstehen: Als Zeichen für den Erfolg der Castro-Revolution, die bessere Lebensverhältnisse schuf, wie für die Tragödie eines Systems, das noch die Gebildeten dazu zwingt, sich zu verkaufen. Beide Lesarten sind in diesem Fall gewollt, gerade die Doppelbödigkeit ist es, an der US-Regisseur Oliver Stone viel liegt.
Hierzulande kennt man Stone, der immer wieder auch Dokumentationen dreht, nur durch seine Spielfilme. Erst gerade kam Alexander ins Kino, der den Griechenfürsten als charismatischen Polit-Visionär mit Starqualitäten zeigte, zugleich vorsichtig auch nach den Abgründen der Macht fragte. Genau dies beides tut Stone nun auch mit Fidel Castro. Comandante ist eine Dokumentation, klar, doch vor allem ist es ein typischer Stone-Film, in manchem – dem schnellen nervösen Schnitt ebenso wie dem Verzicht auf ein Moralisieren, das jede Macht per se für böse hält – typischer für Stone, als es Alexander war.
Drei Tage war Stone in Cuba. Über 30 Stunden Material brachte er zurück, schnitt das Mammutinterview – das in der ungekürzten Fassung im Internet nachzulesen ist – zu einem ebenso schnellen und eleganten, wie intelligenten Film zusammen. Intelligent ist vor allem die Haltung des Filmemachers Stone. Natürlich gab es schon bei der Premiere des Films auf der Berlinale – in diesem Fall sehr vorhersehbare – Proteste durch die Staatsanwälte der »political correctness«, die meinten, hier werde ein Diktator unkritisch und zu positiv dargestellt.
Irrtum. Stone ist nur subtiler. Denn was hätte es gebracht, wenn Stone sich auf ideologische Grundsatzdebatten eingelassen hätte, wenn er nach Castros Antwort auf seine Frage nach der Freiheit der Cubanischen Wahlen – »Cuba hat die freiesten Wahlen der Welt« antwortet der »maximo lider« und meint das offenbar noch nicht mal zynisch – noch fünfmal nachgefragt und mit gerunzelter Stirn seine Missbilligung auch dem Zuschauer kundgetan hätte? Castro spricht für sich selbst, das heißt: Er demontiert sich auch selbst. Glücklicherweise ist Stone kein Michael Moore, der seine Interviewpartner vor laufender Kamera beschimpft, noch kommentiert er in der pädagogischen Manier klassischer Dokumentarfilme aus dem Off, wie der Zuschauer die Bilder bitteschön zu verstehen hat – er lässt ihm vielmehr die Wahl, weil er seinen Bildern vertraut, weiß, dass sie für sich sprechen, und außerdem, dass die Dinge nicht ganz so einfach liegen.
Denn ohne die diktatorischen Verhältnisse oder manchen Mangel im Land zu vertuschen, ist Stone fair genug, auch die andere Seite zu zeigen: Er zeigt, dass Castro sich in Cuba ohne Angst vor Attentaten unters Volk mischen kann. Er vergleicht Castros Herrschaft mit der seines Vorgängers Batista, wo die Verhältnisse weit schlimmer waren, als heute. Im Gegensatz zu Argentinien, Brasilien, Bolivien, Peru und Kolumbien, von Haiti oder Nicaragua ganz zu schweigen, gibt es auf Cuba keine hungernde Kinder und eine Gesundheitsversorgung nach westlichem Standard, Bildung für alle und sauberes Trinkwasser. Er verschweigt die Folgen des US-Embargos nicht, dass Cubas Wirtschaft seit über 40 Jahren nahezu erdrosselt.
So ist Comandante eine spannende, anekdotenreiche Dokumentation über fast 50 Jahre cubanisch-amerikanische Geschichte, über die US-Intervention in der Schweinebucht und die Cuba-Krise 1962, über Che Guevara, Hemingway und Allende – auch von der Gegenwart sieht man mehr, als nur touristische Ansichten. Vor allem aber ist es das Portrait eines Mannes, der seinen eigenen Mythos überlebt hat, dessen Gefangener geworden ist. Fidel Castro, das wird in diesem Film klar, hat Charisma und Charme – wahrscheinlich ist das sein Geheimnis. Er ist Stone sympathisch, weil er mit Sturheit und Energie an seinen Idealen festhält. Aber nie verliert Stone deshalb die Souveränität, seinen kühlen Kopf: Wenn Castro sagt, »normalerweise bin ich sehr selbstkritisch«, dann schneidet Stone nicht, sondern zeigt, wie Castro sich selbst sofort dadurch widerspricht, dass er diesem Satz ein arg ausführlich geratenes Selbstlob und eine breite Litanei über den Erfolg der Revolution folgen lässt. Wenn Stone dazu dann noch den »Evita«-Kitsch-Song »Don’t cry for me, Argentina« spielt, sagt solch ein ironischer Kommentar alles.