Großbritannien 2007 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Anton Corbijn Drehbuch: Matt Greenhalgh Kamera: Martin Ruhe Darsteller: Sam Riley, Samantha Morton, Alexandra Maria Lara, Joe Anderson, Toby Kebbell u.a. |
||
Ruhm – Absturz – Tod von Ian Curtis |
Vom Filmanfang an ist dieses Dasein ein Vorlaufen zum Tode. Wir Zuschauer wissen, dass das Leben von Ian Curtis mit nur 23 Jahren zuende ging, und dieses Wissen verändert unseren Blick auf das, was wir auf der Leinwand sehen. Wir suchen nach Indizien für den Tod, nach kleinen Anzeichen, wir blicken aus größerer Distanz, als wir es täten, wäre hier alles offen.
Ian Curtis war der Lead-Sänger der britischen Post-Punkgruppe Joy Division aus Manchester. Ganz am Anfang nannte sie sich Warshaw. Nach Curtis' Selbstmord 1980 wurde aus ihr New Order. Zunächst ein Insider-Tip arbeitete Joy Division von Anfang an an der eigenen Unsterblichkeit: Schon der Name, entnommen aus dem Roman The House of Dolls den der ehemalige Nazi-KZ-Insasse Yehiel De-Nur 1955 unter dem Pseudonym Ka-tzetnik 135633 veröffentlicht hatte, und in der er von jüdischen Sexsklavinnen während des Zweiten Weltkriegs erzählt, die (auch damals schon sehr gut vermarktbare) Ästhetik der Marketing-Verweigerung – keine Interviews, keine Hits auf den Alben, nur Schwarz-Weiß-Fotos – verband sich mit augenzwinkerndem Spiel mit Verweise auf die Ästhetik des Faschismus (die Geschichte von deren kurzer Blüte bei der Linken während der Spätsiebziger ist auch noch nicht geschrieben). Nur zwei Alben »Unknown Pleasures« (Juni 1979) und »Closer« (Juli 1980) erschienen, doch die Wirkung war bahnbrechend. In seinem gerade auf deutsch erschienenen Standardwerk »Rip it up and start again« schreibt der Musikhistoriker Simon Reynolds voller Begeisterung: »Man muss kein Faible für mystische Schwärmereien haben, um Curtis als Seher zu betrachten, dessen persönlicher Schmerz für viele andere wie ein Prisma funktionierte, in dem sich das Unbehagen und das Leid im Großbritannien der ausgehenden Siebzigerjahre brachen. Jener persönliche Schmerz war jedoch auf banale Weise spezifisch und durch die Probleme eines Erwachsenen entstandeneine gescheiterte Ehe, Ehebruch und Krankheit.«
Was ist nun Control? Control ist der erste Film von Anton Corbijn. Corbijn, 1955 geboren, ist einer der bekanntesten Fotografen der Welt. Außer Modephotographien fotografierte er vor allem viele Musikgruppen, drehte Musikvideos. Er ist Profi, aber auch Fan und auf seine Art weit mehr als die meisten anderen ein Insider. 1979, mit 24 ging Corbijn nach London, und besuchte dort unter anderen am 9. November ein Konzert von »Joy
Division«. Danach, so lässt uns die Filmhomepage [http://www.control-film.de] wissen, nahm er Kontakt zu der Band auf, und machte am 10.11.79 einige Photographien von ihr. So hat Corbijn immerhin einen persönlichen Eindruck der Menschen, von denen sein Film handelt, und weit mehr persönliche Erinnerungen, als die meisten seiner Zuschauer. Das muss kein Vorteil sein, lässt vor allem erstmal den Gedanken aufkommen, dass man gerne einmal dieses Hirn aufklappen und hineinsehen würde, die
Bilder anschauen und die Töne hören möchte, die Corbijn in seinem Kopf hat.
Corbijns Fotos der Band einem Londoner Subwayschacht legten nicht nur den Grundstein zur Joy Division-Mythologie, sie begründeten auch Corbijn eigenen Ruhm, insofern ist dieser Film auch ein Stück Arbeit an der eigenen Biographie, und, ganz diskret, auch am eigenen Ruhm. Mehr als jede andere Kunst schreibt die Popmusik gern solche Geschichten von Fans aus denen selber Künstler werden, von
wechselseitigem Parasitentum am Celebrity-Kult. Zum Einstieg seines Films verdoppelt Corbijn diese seine Haltung klug anhand der Hauptfigur, und erzählt die wohlbekannte Musikgeschichte vom Genie und der Initiation seines künstlerischen Potentials: Auch Ian Curtis war zunächst einmal ein Fan und hatte auf einem Konzert der Sex Pistols sein Damaskus-Erlebnis.
Corbijn erzählt in seinem ersten Spielfilm überaus stilbewusst und -sicher, in grobkörnigen, ausgeblichenen Schwarzweißbildern die Geschichte dieses Lebens nach. Etwas zu stark womöglich konzentriert er sich dabei auf die Curtis' Liebe zu zwei Frauen: Seiner Ehefrau Debbie, die er bereits mit 15 Jahren in der Plattenbausiedlung bei Manchester kennenlernte, in der er aufwuchs, und bald heiratete – sie wird von Samantha Morton mit der von dieser ungewöhnlichen, großartigen Darstellerin gewohnten Intensität verkörpert. Und zu der belgischen Diplomatin Annik Honore, gespielt, und das im Rahmen des Möglichen ausgezeichnet von der Deutschen Alexandra Maria Lara. Der Film geht auf Debbie Curtis' Buch Touching From the Distance zurück, und Debbie Curtis ist auch Co-Produzentin des Films. Schwer zu sagen, welche Färbung er dadurch genommen hat, und ob überhaupt eine. Es heißt zumindest, die Witwe sei mit dem Ergebnis nicht völlig zufrieden gewesen. Offenkundig parteiisch ist der Film nicht, nur vielleicht einfach etwas zu konzentriert auf diese Liebesgeschichten, während alles andere hier mit einer erstaunlich souveränen Beiläufigkeit abgehandelt wird.
Nun ist Debbie Curtis zwar eine sympathische Person, aber keineswegs besonders interessant. Wie auch die wenigen Auftrittsszenen in Control klar machen, war Joy Division von Anfang an erschütternd, epochemachend und einflussreich – dem nachzuspüren verschenkt Corbijn ein wenig zugunsten des Beziehungsdramas. Was der Film an persönlichen Details und Gossip im Übermaß präsentiert, lässt er auf der Ebene von Curtis' musikalischer Entwicklung vermissen. Kaum etwas über die künstlerische Entwicklung der Band, nichts über ihre Erneuerung der Musik. Dies ist gewiss der erklärten Absicht Corbijns geschuldet, dem Mythos vom Künstler, der noch mit seinem Tod die Authentizität seines Werks existentiell beglaubigt, entgegenzuarbeiten, doch gelingt genau darum diese Absicht nur an der Oberfläche. Letztendlich leidet Control nämlich unter einer indirekten Überpsychologisierung: Kunst wird hier ganz auf persönliches Schicksal zurückgeführt, die romantische Zerrissenheit des musikalischen Ausdrucks von Joy Division findet ihre Entsprechung in Curtis' Zerrissenheit zwischen Musik und Herkunft, bzw. später zwischen zwei Frauen.
Der Anfang gefällt am besten. In dem kristallisiert sich Curtis' Genie erst allmählich heraus; zunächst ist er ein introvertierter Teenager mit dem leicht verschleierten Blick eines 17-Jährigen, und geht – wie oben erwähnt – als very ordinary fan auf Konzerte von David Bowie und den Sex Pistols, dann wird er vom William Wordsworth Ode »Intimations of Immortality« rezitierenden Hamlet seines Proletarierviertels zum Popstar der Stunde. Immer wieder die
Passagen der Konzerte. Man muss sich gut auskennen in der Musik(Geschichte) der late senventies – und der Rezensent muss hier gestehen: Das tut er nicht –, um wirklich zu würdigen, was der Film auf dieser musikalischen Ebene tut, und wie er wohl aus Sicht eines Fans wahrgenommen wird. Kenntnis von Joy Division und New Order ist natürlich zweifellos hilfreich, aber keineswegs ausreichend – andererseits auch nicht Voraussetzung um den Film schätzen zu
können. Die Musik ist, auch wenn man sie kennt, jedenfalls mitreißend, und Corbijn gelingt es, dem Zeitkolorit Überraschungseffekte abzugewinnen. Wenn man überdies Michael Winterbottom’s 24 Hour Party People gesehen hat, wird man immerhin einige Geschehnisse wieder erkennen.
Nichts wissen muss man aber, um die Genauigkeit dieses Zeitgeist-Portraits wahrzunehmen, um zu fühlen, wie traurig diese Geschichte ist, und zugleich wie zwingend erzählt.
Schlechthin umwerfend ist dabei die Leistung von Sam Riley, der als Debütant in der Titelrolle gleich wie ein geborener Rockstar wirkt, charismatisch und voll lodernder Intensität.
Die Ästhetik ist streng und auf ihre Weise einzigartig. Äußerst wirkungsvoll wird das grobkörnige Schwarzweiß. Es wirkt wie direkt aus den Spätsiebzigern genommen – David Lynchs Eraserhead ist eine offenkundige Referenz – und ruft doch die Schönheit älterer Filme ins Gedächtnis, zeigt, dass man solche eleganten Kinobilder auch heute machen kann und weckt damit die Hoffnung, dass man sie auch öfters machen wird. Es erinnert an alte Photographien, noch mehr vielleicht an Bilder der 40er, 50er und 60er Jahre als an jene der späten 70er. Es erinnert auch an die Filme des sozialrealistischen britischen »Free Cinema« der 60er. Großartig fängt Corbijn die Atmosphäre des Alltags der britischen Unterschicht ein – ohne Nostalgie, voller Tristesse, und gerade darin schön.
In seiner Stilisiertheit untermauert der Film natürlich die Mythologie, das Ikonische seines Gegenstandes, und macht damit genau das, was er behauptet, zu verweigern. Im Kern erzählt der Film auf seine Weise aber von jugendlichem Lebensgefühl und Selbstwahrnehmung, erinnert darin ein wenig an Gus Van Sants Last Days.
Zugleich muss man der momentanen Neigung widerstehen, diesen Film zu überschätzen. Letztlich ist Control eine überaus vorhersehbare Standard-Filmbiographie über einen Musikstar, und darin allen Stereotypen der Künstlerbiographie seit den Tagen Vasaris verhaftet: Normalität – frühe Zeichen der Begabung – göttliche Zeichen: Epilepsie!! (= Genie & Wahnsinn) – Berufung – manisches Künstlertum – früher Aufstieg und Ruhm
– Leiden an Aufstieg und Ruhm – Absturz – Tod. Einmal mehr ist auch der moderne Künstler ein großer Einzelner, ein auratischer Weltferner zwischen Genie und Wahnsinn, kein Teamarbeiter in den Zwängen von Soziologie und Ökonomie. Das Sein der göttlichen Berufung bestimmt das Außenseiter-Bewußtsein.
Alles in allem fehlt hier jede Überraschung, jede Irritation. Die Fans bekommen, was sie wollen – und das »ist auch gut so« – und die Einsteiger erhalten
den Basis-Kit, um vielleicht Fans zu werden. Keineswegs ist dies aber ein Film, der jenseits seines eleganten Aussehens neue künstlerische Kontinente entdeckt. Ein hübscher Film, aber kein großer.
Anton Corbijn: »In Control.« Deutsch/englische Ausgabe, 120 Abbildungen in Duotone. Schirmer/Mosel, 2008 [visuelles Tagebuch der Dreharbeiten. Handschriftliche Notizen, Zeichnungen und Photographien]